Der Sozialtisch mit dem Premier tagt schon. Aber selbst der Koalitionspartner versteht nicht, mit welchem Ziel

Tripartite im Off

Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 11.04.2025

Premier Luc Frieden hatte vergangene Woche im Parlament diese Andeutung gemacht: „Ech fannen et gutt, wann een dat net ëmmer ëffentlech mécht. Do kann een den aneren besser verstoen.“ Antwortete er der Grünen-Abgeordneten Djuna Bernard auf die Frage, wann der „Sozialtisch“ stattfinden soll, den Luc Frieden für die „nahe Zukunft“ angekündigt hatte, als er sich Mitte Januar mit den Vorsitzenden der Gewerkschaften OGBL und LCGB, Nora Back und Patrick Dury, traf. Zwischen Mitte Januar und voriger Woche hatten sich zweieinhalb Monate an naher Zukunft in Vergangenheit verwandelt.

Weil der Premier es lieber informell handhabt, tagt der Sozialtisch schon, ohne dass es publik gemacht wurde. Das Staatsministerium teilt dem Land mit, „seit einigen Wochen“ fänden Treffen zwischen Luc Frieden, OGBL und LCGB sowie dem Unternehmerdachverband UEL statt, „sowohl bilateral als auch zu dritt“. Es handle sich um Arbeitstreffen, um die verschiedenen Positionen anzuhören und sich auszutauschen. „Auch zum Kollektivvertragswesen und den damit verbundenen Aspekten.“ Die Gespräche gingen in eine „gute Richtung“, seien aber noch nicht zu Ende.

Wie die Gespräche zu Ende gehen sollen, ist allerdings nicht klar. Ob der Premier sich die verschiedenen Posi-
tionen anhört, sie anschließend in die Regierung trägt, die dann Entscheidungen trifft. Oder ob zu dritt Kompromisse gesucht werden sollen. Diese Frage sei noch offen, gibt das Staatsministerium Bescheid.

Was nur ein anderer Ausdruck dafür sein dürfte, dass bei den „guten Gesprächen“ zu dritt bisher nur oder vorwiegend schon bekannte Positionen ausgetauscht wurden. Keine der drei Seiten will sich dazu äußern, was besprochen wurde. Anscheinend aber waren die Begegnungen zu dritt nicht häufig. Land-Informationen zufolge gab es nur eine, am 14. März. Eine Woche vor dem CSV-Kongress in Ettelbrück und zwei Wochen vor dem Nationalkongress des OGBL Ende März. Es hat auch etwas zu bedeuten, dass die UEL zwei Termine für eine Pressekonferenz absagte, auf der sie Vorschläge für eine „Modernisierung des Arbeitsrechts“ machen wollte. Der erste Termin sollte der 11. März sein, drei Tage vor dem Treffen mit dem Premier und den Gewerkschaften. Der zweite Termin am 28. März wurde abgesagt, weil die Tripartite im Off noch nicht zu Ende ist. Bei der es natürlich auch um das Arbeitsrecht geht.

Luc Frieden gibt sich gelassen, doch er steht unter Zeitdruck. Am 13. Mai will er in der Abgeordnetenkammer seine diesjährige Erklärung zur Lage der Nation abgeben. Das ist in fünf Wochen. Könnte er darin nicht zumindest einen Ansatz präsentieren, wie der Konflikt mit OGBL und LCGB gelöst werden soll, ohne die UEL zu verärgern, sähe das nicht gut aus für den Premier, der gern sagt, an Herausforderungen messe sich „Leadership“. Obendrein könnte die Herausforderung anschließend noch größer werden, wenn im Juni oder vor den Sommerferien die Regierung endlich ihre Vorschläge für eine Rentenreform publik macht. Enthalten sie Kürzungsideen, wird das zur Folge haben, dass sich dem Front syndical von OGBL und LCGB auch die CGFP anschließt, ähnlich wie 2011. Das wäre eine erweiterte Front zum Thema Renten und würde den Sozialdialog noch mehr unter Spannung setzen. Kollektivverträge und Arbeitsrecht sind technische Themen. Mit ihnen zu mobilisieren, ist für eine Gewerkschaft auf Dauer nicht einfach. Das ist ganz anders, wenn es um die Renten geht.

Etwas wird der Premier OGBL und LCGB geben müssen. Was beide sich erwarten, hatte Nora Back am Montag nach dem Nationalkongress ihrer Gewerkschaft im RTL-Radio gesagt: „eine Zusicherung der Regierung, nicht gegen die Kollektivverträge zu gehen“.

Dass den Gewerkschaften das Exklusivrecht zur Verhandlung der Verträge erhalten bleibt, scheint politisch festzustehen. Nachdem CSV-Arbeitsminister Georges Mischo und Luc Frieden selber zurückgerudert waren und erklärten, in der Sitzung des Ständigen Beschäftigungskomitees CPTE am 8. Oktober hätten die Gewerkschaften Mischo falsch verstanden, nahm die Abgeordnetenkammer am 21. Januar einstimmig einen Antrag von LSAP, Grünen, Linken und Piraten an, der die Regierung auffordert, den „rôle exclusif“ der Gewerkschaften weiterhin anzuerkennen. Am 22. Oktober hatten CSV und DP demselben Text nur ohne das Wort „exclusif“ zustimmen wollen.

Doch das reicht nicht mehr. Nora Back warf der Regierung im Radio vor, „andere Angriffspunkte“ gefunden zu haben: die Inhalte der Kollektivverträge. Zwei Tage zuvor hatte sie das in ihrer Grondsazried beim OGBL-Kongress „ee frontalen Ugrëff géint déi lëtzebuergesch Gewerkschaftsbeweegung“ genannt. Ein Hinweis darauf, dass sich zwei Wochen vorher beim Treffen mit Premier und UEL ein Weg zu einer Einigung abgezeichnet haben könnte, war das nicht gerade.

Die Inhalte der Kollektivverträge ändern zu wollen, deutet der Koalitionsvertrag von CSV und DP zumindest an: „Les dispositions légales relatives aux conventions collectives seront révisées, entre autres, afin de permettre une réorganisation du travail et une amélio-
ration des conditions de travail, notamment en ce qui concerne la conciliation entre vie privée et vie professionnelle“ (S. 173).

Was sich wie ein neutrales Modernisierungsvorhaben lesen lassen kann, ergänzte UEL-Direktor Marc Wagener im Dezember in einem Land-Interview um die Sicht des Unternehmerdachverbands: Dass in Luxemburg der Abdeckungsgrad mit Kollektivverträgen viel kleiner ist als die in der EU-Mindestlohnrichtlinie angestrebten 80 Prozent, liege einerseits am Index, andererseits am Arbeitsrecht, das „schon extrem weit geht“. Der Code du travail, so Marc Wagener, solle auch weiterhin den Inhalt von Arbeitsverträgen regeln, das Recht auf bezahlten Urlaub, Feiertage und Mindestlohn. „Bei der Arbeitsdauer, der Teilzeitarbeit und ähnlichen Dispositionen ist aber eine Öffnung notwendig. Mindestanforderungen sollten im Arbeitsrecht bleiben, doch im Rahmen von Tarifverträgen oder anderen Abkommen sollten Ausnahmeregelungen möglich gemacht werden“ (d’Land, 13.12.2024).

Vermutlich waren es konkretere Ideen in diese Richtung, die die UEL auf ihrer zweimal abgeblasenen Pressekonferenz vorstellen wollte. Falls sie Gegenstand der Gespräche beim Premier mit OGBL und LCGB sind, ist es an sich unwahrscheinlich, dass die beiden Gewerkschaften ihnen zustimmen würden: Das Arbeitsrecht lockern, um es zur Verhandlungsmasse machen zu können, würde die Kräfteverhältnisse dauerhaft verschieben. In Luxemburg gilt das principe de faveur: Kollektivverträge können nur besser sein als das geltende Arbeitsrecht. Die einzige Grauzone, das wissen auch Gewerkschaftler, ist die Arbeitszeitorganisation. Ob ein Kollektivvertrag sie für Beschäftigte günstiger regelt als der Code du travail, ist nicht immer klar. Umso weniger, je komplexer die organisatorischen Anforderungen eines Betriebs sind.

Vielleicht könnten Regierung, UEL und Gewerkschaften sich einigen, Kollektivvertrags- und Arbeitsrecht in diesem Punkt so miteinander abzugleichen, dass alle drei Seiten das als Erfolg darzustellen vermögen. Es würde aber kaum helfen, einen weiteren politischen Brocken aus dem Weg zu räumen, der für OGBL und LCGB mit den Kollektivverträgen verbunden ist: Die Verlängerung der zulässigen Sonntagsarbeitszeit im Handel von vier Stunden auf acht. Dafür liegt im Parlament jener Gesetzentwurf von Arbeitsminister Mischo, den OGBL und LCGB als einen weiteren Angriff auf das Sozialmodell ansehen.

Bemerkenswert ist die Rolle, die CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz spielt.Der parlamentarische Ausschuss für Arbeit und Beschäftigung, dem Spautz vorsitzt, wird sich mit Mischos Gesetzentwurf befassen, sobald dazu das Gutachten des Staatsrats vorliegt. Diesen Montag im RTL-Radio deutete Spautz an, der Text könnte so geändert werden, dass acht Stunden nur über Kollektivverträge mit Gewerkschaften zu haben wären. Er ging noch einen Schritt weiter und wiederholte seine Idee von einem „Gesamtpaket“, über das eine Einigung mit den Sozialpartnern gesucht werden sollte: von der Sonntagsarbeit und den Ladenöffnungszeiten über die Arbeitszeitorganisation bis hin zu den Kollektivverträgen. Im Regierungsprogramm stünden nur Ziele, aber nicht, auf welchem Weg sie erreicht werden sollen.

Spautz achtete darauf, das als lediglich seine Position auszugeben. Ein Signal an die Regierung und den Premier ist es trotzdem. Doch die schon laufenden Vorhaben zu stoppen und vieles, wenn nicht alles, was unter „Travail“ im Koalitionsprogramm steht, im Paket zur Verhandlung zu stellen, stünde im Widerspruch zu dem Ansatz, den Luc Frieden pflegt und sich damit schmückt. Eine Woche nach dem Januar-Treffen mit Nora Back und Patrick Dury erklärte er beim Neujahrsempfang der Fedil, der Sozialtisch werde eine Übung in „talking and listening“ sein. Anschließend entscheide die Regierung.

Wie durchsetzungsfähig Marc Spautz mit seiner Position sein wird, ist eine der spannenden Fragen rund um den Sozialdialog. Daran wird sich auch ablesen lassen, wie stark in der CSV-Kammerfraktion der soziale Flügel noch ist und in der Partei insgesamt sozialkatholisches Gedankengut. Beim Parteikongress in Ettelbrück hatte Spautz seine Divergenz mit der Regierungslinie zur Sonntagsarbeit erklärt. Eine knappe Woche später wiederholte er das in einer Gastrede beim OGBL-Kongress. Einen Tag später mahnte CSV-Finanzminister Gilles Roth im Radio, die Partei müsse nach außen hin geschlossen auftreten. Am Dienstag voriger Woche stellten in der CSV-Frak-
tion verschiedene Mitglieder Spautz wegen seines Auftritts beim OGBL zur Rede. Die Sitzung endete mit dem Beschluss, dass die Fraktion ihre politische Position zum Gesetzentwurf über die Sonntagsarbeit finden werde, sobald das Staatsratsgutachten vorliegt. Das kann bedeuten, dass eine Mehrheit Spautz’ Ansichten teilt, das muss aber nicht so sein.

Am Ende wird sich die Frage stellen, ob Luc Frieden es versteht, die Vorstöße des früheren LCGB-Generalsekretärs politisch auszunutzen. Und mittlerweile äußert sich zum Sozialdialog auch der Koalitionspartner. Es sei „wichtig, dass die Gesetze, die Reformen, die den Arbeitsbereich betreffen, diskutiert werden in den Runden, die historisch aufgebaut wurden, und das wir dort nach Konsens suchen“, sagte die designierte DP-Parteipräsidentin Carole Hartmann gestern im 100,7. Ob sie wirklich Konsens meinte, war nicht so klar, denn sie fügte hinzu: „Zumindest sollte jeder die Möglichkeit haben, sich einzubringen, wenn Ankündigungen gemacht werden.“ Doch Hartmann fand auch, „der Sozialtisch ist nicht alles“, und sie verstehe „nicht wirklich, was sein finales Ziel sein soll“. Das wisse nur der Premier.

Peter Feist
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