Der OGBL versuchte, die Dramatik des Konflikts mit der Regierung auf seinen Nationalkongress zu tragen
 

Marc Spautz war auch da

Photo: Gilles Kayser
d'Lëtzebuerger Land du 04.04.2025

Als am vorigen Freitagvormittag in Messehalle 7 auf dem Kirchberg der OGBL seinen Nationalkongress eröffnete, wollte der Unternehmerdachverband UEL ein paar hundert Meter weiter in der Handelskammer eine Pressekonferenz geben. Thema: „Vorschläge der UEL zur Modernisierung des Arbeitsrechts.“ Dieses „Erbe des Industriezeitalters“ an die „neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten“ anzupassen, sei unumgänglich, hatte die UEL in ihrem Teaser geschrieben.

Doch zwei Tage vorher sagte sie die Veranstaltung ab. Und ersparte dem Konflikt um das Luxemburger Sozialmodell eine Eskalation. Zurzeit fänden „Diskussionen mit allen Beteiligten statt“, auch mit den Gewerkschaften, gab die Presseabteilung der UEL dem Land als Grund der Absage an. Öl ins Feuer gießen will sie offenbar nicht. Und noch ist nicht abzusehen, wann die von Premier Luc Frieden im Januar angekündigte Sozialronn mit UEL, OGBL und LCGB stattfinden soll. Vielleicht wird sie auch gar nicht groß: Am Dienstag in der Abgeordnetenkammer sagte Frieden, „ech fanne gutt, wann een dat net ëmmer ëffentlech mécht, do kann een den aneren besser verstoen“.

Weil die beiden Gewerkschaften sich vom Premier hingehalten fühlen, hatte die OGBL-Spitze um Präsidentin Nora Back keinen taktischen Grund, beim Kongress den Ton zu dämpfen. OGBL-Nationalkongresse finden nur alle fünf Jahre statt, deshalb bedeuten sie viel. Der Kongress vom vergangenen Wochenende bedeutete wegen des anhaltenden Zerwürfnisses mit der Regierung um die Kollektivverträge und die Rolle der Gewerkschaften im Privatsektor noch mehr.

Dass Back mit 97,88 Prozent der Stimmen der 600 Delegierten für weitere fünf Jahre in ihrem Amt bestätigt wurde, überraschte nicht. Gegen sie kandidiert hatte niemand, und beim Stand der politischen Dinge ist die 45-jährige Psychologin einfach winning. Immer sah das nicht so aus. Nach ihrer Wahl 2019 zur Nachfolgerin von André Roeltgen schrieb Paperjam sie zu „la femme la plus puissante du pays“ hoch. Ende März 2022, als wegen des Ukraine-Kriegs die schon vorher hohen Energiepreise dramatisch weiter gestiegen waren, wurde Back beinah zur Paria: Der Index war wieder Thema geworden, die Tripartite tagte. Der OGBL-Nationalvorstand wollte die Verschiebung nur einer einzigen Indextranche akzeptieren, die DP-LSAP-Grüne-Regierung wollte weitergehen, bot zum Ausgleich einen Steuerkredit an. Weil die Regierung nicht nachgab, verließ Back mit der OGBL-Delegation kurz vor Mitternacht des 30. März die Verhandlungsrunde in Senningen. Der Kompromiss wurde mit CGFP und LCGB geschlossen. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, der OGBL habe den Bezug zur ökonomischen Realität verloren. Auch LSAP-Minister halfen dieses Bild zu verbreiten. Am 1. Mai 2022 zog der OGBL mit einem 2 000-köpfigen Protestzug und unterstützt von déi Lénk durch die Hauptstadt vom Bahnhof zum Neimënster. Mit dem LCGB feierten nicht nur CSV-Politiker, sondern auch Xavier Bettel, Corinne Cahen und Yuriko Backes. Der OGBL schien am linken Rand angelangt. Nur ein paar prominente Sozialisten zeigten sich auf seinem 1. Mai-Fest 2022.

Es ist müßig, zu fragen, wie es weitergegangen wäre, hätten die Energiepreise in den Monaten danach nicht noch weiter zugelegt. Der blau-rot-grünen Regierung konnte nicht daran gelegen sein, die größte Gewerkschaft länger zu marginalisieren. Die DP hatte begonnen, ihr sozialliberales Profil zu pflegen, denn das Wahljahr 2023 nahte. Vorsichtshalber galt das Gesetz nach der Tripartite vom März 2022 nur für eine einzige Indextranche, doch nun drohten weitere. Als die Tripartite im September 2022 wieder zusammenkam und Regierung anbot, tief in die Staatskasse zu greifen, Gas- und Strompreis zu deckeln, um zu vielen Indextranchen zuvorzukommen, war das in erster Linie ein Zugeständnis an die UEL. Weil es dennoch Tranchen geben sollte, konnte der OGBL das als „Rückkehr zum normalen Funktionieren des Indexmechanismus“ ausgeben und war wieder da. Schaden genommen hatte allerdings sein Verhältnis zum LCGB.

Im Tätigkeitsbericht, den der Nationalkongress am Freitagnachmittag hörte, sind diese Begebenheiten nachzulesen. Sie stehen dort aus OGBL-Sicht, und der Gewerkschaft wird immer recht gegeben. Im Rückblick hatte sie in der Energiekrise insofern recht, als sie sich mit ihrer Unnachgiebigkeit den Ruf erwarb, auf keine politischen Befindlichkeiten einer Regierung oder einer Partei Rücksicht zu nehmen. Mit Kohärenzproblemen zu kämpfen hatte der OGBL in den fünf Jahren 2019 bis 2024 dennoch. Zum Beispiel überraschte Anfang 2022, als die Covid-Seuche noch nicht ausgestanden war, am Nein des OGBL-Vorstands zu einer „sektoriellen Impfpflicht“ im Gesundheits- und Pflegewesen vor allem die Begründung: Ausgerechnet den Pflegeberufen, den gefeierten Helden der Pandemie, könne keine Impfpflicht zugemutet werden. Dass die damalige Regierung sich selber nicht einig war und sich von der CSV treiben ließ, war natürlich nicht hilfreich. Die vom OGBL-Vorstand benutzte Symbolik aber erweckte den Eindruck, Mitgliederschwund vorzubeugen, war wichtiger als die Minderung des Übertragungsrisikos ausgerechnet in Spitälern und Altenheimen.

Klimaschutz wurde für den OGBL auch zur Herausforderung. Der Tätigkeitsbericht erwähnt, dass der OGBL in der Energiekrise dafür eintrat, die turnusgemäße Erhöhung der CO2-Steuer 2023 auszusetzen. Er erwähnt nicht, dass der OGBL die Einführung der CO2-Steuer generell sehr kritisch sah. Vor diesem strategischen Dilemma stehen viele Gewerkschaften: Sie wissen um die Wichtigkeit der Klimafrage, doch wenn die Klimapolitik an die Kaufkraft rührt, wird diese prioritär. Der Erhalt von Arbeitsplätzen ebenfalls.

Dass heute rechtspopulistische bis rechtsradikale Parteien die Interessen der „schaffend Leit“ besser zu repräsentieren behaupten als eine „Elite“ oder die „Parteien der politischen Mitte“, bringt Gewerkschaften in die Rolle von Verteidigern der Demokratie. Das ist ein interessanter Prozess, weil vor allem Gewerkschaften im Privatsektor Demokratie kaum anders verstehen können als Demokratie in der Wirtschaft. Die ab Ende der 1970-er Jahre dem neoliberalen Modell Platz machen musste, in dem die Marktgesetze zu Naturgesetzen erklärt werden, und dass eine sozusagen klassenlose Gesellschaft entstünde, sobald jeder verinnerlicht hat, dass eine wettbewerbsfähige Wirtschaft allen nützt, und jeder Mensch danach streben sollte, seine eigene Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Ähnlichkeiten mit dem Credo Luc Friedens in seiner Regierungerklärung vom 22. November 2023 sind nicht zufällig. Letzten Endes liegt darin der Kern des Konflikts von OGBL und LCGB mit der CSV-DP-Regierung und ihrem Premier. Was die beiden Gewerkschaften in ihrem Front syndical so nahe zueinander gebracht hat, dass Nora Back in ihrer Grondsazried beim Kongress feststellte, die Zusammenarbeit werde „immer enger“, OGBL und LCGB seien heute „Freunde“.

Das liegt zum einen am Gewicht der politischen Herausforderungen. Die Infragestellung der Rolle der Gewerkschaften im sozialen Dialog, beim Abschluss von Kollektivverträgen, zu denen überdies nicht klar ist, was die Verträge künftig regeln sollen und was nicht, richtet sich gegen den noch verbliebenen Fundus an Demokratie in der Wirtschaft hierzulande. Zum anderen wurde bei den Sozialwahlen im vorigen Frühjahr der OGBL nach Stimmen gestärkt, verteidigte mit 37 Mandaten seine absolute Mehrheit in der Arbeitnehmerkammer (CSL). Während der LCGB auf Unternehmensebene Erfolge erzielt hatte, in der CSL aber einen seiner zuvor 18 Sitze an die Aleba verlor (d’Land, 3.5.2024). Mit dem im Dezember 25 Tage lang durchgehaltenen Streik beim Plastikgranulathersteller Ampacet, dessen Management einlenkte, den Kollektivvertrag weiterbestehen zu lassen, demonstrierte der OGBL, dass er sich offenbar nicht nur mit Streiks im geschützten Sektor durchzusetzen vermag.

Der Versuch der OGBL-Spitze, die Dramatik des Konflikts mit der Regierung beim Nationalkongress über Gastredner transportieren zu lassen, endete widersprüchlich. Déi Lénk nahm es dem OGBL übel, nicht gebeten worden zu sein, eine Ansprache zu halten. 2022, während der Paria-Phase, hatte die Partei zum OGBL gehalten. Mitte Mai 2022 beschlossen beide eine „gemeinsame Front“ und eine „verstärkte Zusammenarbeit“ zur „Verteidigung der sozialen Errungenschaften der Lohnabhängigen und der Rentner“. Der OGBL zog es vor, Marc Spautz und Taina Bofferding einzuladen, und gab zur Erklärung, mit den Vorsitzenden der größten Mehrheits- und der größten Oppositionsfraktion die Verhältnisse im Parlament abzubilden. Die Regierung blieb wegen der Konfliktlage ausgeladen.

Marc Spautz einzuladen, war natürlich kein neutraler Akt. Doch der prominenteste Vertreter des kleiner gewordenen CSV-Gewerkschaftsflügels blieb vorsichtig, sagte nicht viel mehr als schon in den Medien, in der Kammer und beim CSV-Kongress am 22. März: Dass die Reaktion von OGBL und LCGB ihn nicht verwundere, wenn es um Kollektivvertragspolitik und nationale Repräsentativität geht. Dass das Sozialmodell „im Mittelpunkt stehen“ müsse. Er sei jedoch, fügte er an, zuversichtlich, dass sich eine Einigung werde finden lassen: „Der Premier hat gesagt, er wird eine Sozialrunde machen. Ich weiß, dass dazu die Vorbereitungen laufen.“

Vor Spautz hatte Taina Bofferding gesprochen, nach ihm sprach Nicolas Schmit, der frühere EU-Sozialkommissar. Schmit referierte vor allem über Europa, den Zusammenhang zwischen mangelnder Sozialpolitik und erstarkendem Rechtsextremismus. Er stänkerte kurz gegen Georges Mischo, „der es nicht besser weiß“, und bescheinigte Marc Spautz: „Du wärst der beste CSV-Arbeitsminister gewesen, den wir nie haben werden.“ Taina Bofferding versuchte, die Oppositionsarbeit der LSAP folgenreicher darzustellen, als sie ist, und schloss mit den Worten: „Vive d’LSAP, Vive den OGBL!“ Da zeigte sich, wie folgenschwer Einladungen zu Ansprachen sein können: Gerade jetzt wäre es für den OGBL gefährlich, den Ruf zu verspielen, keine Rücksicht auf politische Befindlichkeiten zu nehmen und unabhängig zu sein. „Mir si voll op enger Linn!“, rief Nora Back Taina Bofferding zu. Wahrscheinlich war das vor allem höflich gemeint.

Denn erfahrungsgemäß ist der OGBL nur dann stark, wenn er nicht nur droht, sondern auch durchzuziehen vermag, womit er droht. Auch mit dem LCGB an seiner Seite. Dass die beiden Gewerkschaften erst für den 28. Juni zu einer Großkundgebung aufrufen, enthält das Risiko, dass die Mobilisierung sich bis dahin nicht aufrechterhalten lässt. Vielleicht ist es gerade das, worauf die Regierung und ihr Premier setzen, wenn die große Sozialrunde einfach nicht anberaumt wird: dass die Aktion des Front syndical sich abnutzt. Courage und alles Gute wünschte Sophie Binet, die Generalsekretärin der französischen CGT, die ebenfalls Gastrednerin war, Nora Back. Und war sich vielleicht gar nicht im Klaren darüber, wie sehr die Luxemburger Kollegin die Wünsche brauchen konnte.

Peter Feist
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