Nichts mehr los um die Nordstad? Wer das behauptet, macht Jean-Marc Friederici fast ein wenig böse. Der Stadtplaner ist seit knapp einem Jahr der erste fest angestellte Mitarbeiter der Nordstad. Er trägt den Titel „Projektmanager“ und kümmert sich um Planungsdinge ebenso wie um den operativen Kontakt zwischen den sechs Nordstad-Gemeinden und der Regierung. „Nichts los“ hieße demnach irgendwie auch, dass der junge Mann seinen Job nicht richtig versehe.
Aber andererseits nahmen die sechs Gemeinden sich 2006 vor, gemeinsam dafür zu sorgen, dass die kleine Region um Ettelbrück, Erpeldingen und Diekirch, um Bettendorf, Schieren und Colmar-Berg nach und nach zum zweiten „Oberzentrum“ des Landes werde. Das andere Oberzentrum ist die Südregion – mit Belval vorneweg, über das vor zwei Monaten die Medien berichteten, es werde „mehr und mehr zum Place to be“.
Vor vier, fünf Jahren war auch die Nordstad immer wieder Medienthema. Damals gingen aus einem internationalen Wettbewerb ehrgeizige Vorschläge für eine Bebauung entlang einer „Zentralen Achse Nordstad“ von Ettelbrück über Erpeldingen nach Diekirch hervor. Luxlait stellte Ideen für eine von ihr getragene Urbanisierung auf dem ehemaligen Laduno-Gelände in Erpeldingen und Colmar-Berg in den Raum. Ein Masterplan Nordstad entwickelte Vorgaben, denen alle sechs Gemeinden sich anschlossen, um sie in ihren General-Bebauungsplänen zu berücksichtigen. Und ein Mobilitätskonzept Nordstad sorgte für einen kleinen Polit-Skandal, weil es den Abbau der Bahnstrecke Ettelbrück-Diekirch vorsah.
Verglichen damit, klingt es nicht sehr aufregend, wenn Friederici heute darauf verweisen kann, dass seit zehn Tagen die neuen Statuten für das Gemeinde-Syndikat in Kraft sind, das die Nordstad-Gewerbezone Fridhaff betreiben und für interkommunale Wirtschaftsförderung sorgen soll. Oder dass es neuerdings eine Nordstad-Energieberatung gibt. Dass lokale Sportclubs zu Nordstad-Vereinen fusioniert haben. Dass in den letzten Jahren zahlreiche Studien zu verschiedenen Themen angefertigt wurden. Oder dass ein Hochwasserschutzkonzept in Arbeit ist.
Wahr ist allerdings: Für die Nordstad gibt es kein Gegenstück zum Fonds Belval, keine Entwicklungsgesellschaft, wie es die teils vom Staat, teils von Arcelor-Mittal getragene Agora S.A. ist. Und während die 140 Hektar Industriebrachen in Belval früher der Arbed gehörten, hatten allein die 42 Hektar in der Gewerbezone Fridhaff bis vor kurzem mehr als 30 unterschiedliche Besitzer, mit denen der Verkauf an die Gemeinden erst einmal ausgehandelt sein wollte. „Das“, sagt Frederici, „dauerte zwei Jahre. Währenddessen aber liefen andere Planungsarbeiten auf Hochtouren.“
Dass es „etwas ruhiger geworden ist um die Nordstad“, liege auch am Ausgang der Gemeindewahlen vom Oktober, meint Gast Jacobs. Er ist Bürgermeister von Colmar-Berg und hat zurzeit turnusgemäß für ein Jahr die Ko-Präsidentschaft in dem politischen Ausschuss inne, in dem Regierung und Gemeinden das Werden der Nordstad gemeinsam begleiten. Dass von den 18 kommunalen Mitgliedern zehn neu im Ausschuss sind, ist auch ein Grund, weshalb Fragen von Langfrist-Charakter, fast wie im EU-Rat, einer „Troika“ aus der aktuellen, der vorigen und der künftigen Ko-Präsidentschaft übertragen wurden.
Und aller oberflächlichen Ruhe zum Trotz, stehen schon für die nächste Zeit ein paar Entscheidungen an, die ohne weiteres auch öffentlich von sich reden machen könnten – technische, aber auch politische Entscheidungen.
Auf den ersten Blick technisch mutet an, dass das Aufgabenfeld des Gemeindesyndikats Zano (für Zone d’activité Nordstad) erweitert werden könnte. Noch ist Zano ein Syndicat à vocation unique, das die Erschließung des Fridhaff, aber auch die regionale Wirtschaftsförderung verwaltet. „Mehr als 45 Prozent der Nordstad-Bewohner arbeiten auch hier. Das ist eine Besonderheit landesweit, die wir unbedingt erhalten und am liebsten ausbauen wollen, denn es hat mit Lebensqualität zu tun“, betont Friederici. Einen hauptberuflichen Sekretär hat Zano schon, er ist der zweite Nordstad-Angestellte. Dass die 42 Hektar Zano-Fläche, die nun dem Syndikat gehören, in Erbpacht abgegeben werden können, soll helfen, ansiedlungswilligen Betrieben Preise anzubieten, die besser sind als ihre aktuellen Lagen innerhalb der Ortschaften. Dort soll nach dem Weggang der Firmen „urbanisiert“ werden.
Prinzipiell stimmte kürzlich der politische Begleitausschuss der Idee zu, ein Zano bis zu bilden – ein Syndicat à vocation multiple, dem im Grunde alle möglichen Zuständigkeiten übertragen werden könnten. Bleibt nur zu klären, was möglich ist. „Das wir so etwas brauchen, habe ich schon immer gesagt“, erklärt Gast Jacobs, „und wir brauchen es schnell. Am besten sollten wir uns noch in diesem Jahr auf Statutenvorschläge einigen.“
Vereinfacht gesagt, erhielte die Nordstad mit einem solchen Syndikat ein operativ handlungsfähiges Organ, das der Agora für Belval ähnelt. Zu managen gäbe es für Zano bis genug: Die Planungen von 2007 über die Bebauung der Zentralen Achse Nordstad zum Beispiel waren nur eine erste Etappe und müssen nun verfeinert werden. Weil sie auf Vor-Krisen-Szenarien von Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum aufgebaut waren, müssen sie allerdings zum Teil revidiert werden und die Bebauung „weniger dicht“ ausfallen, wie das im Planer-Jargon heißt, wenn „eine Nummer kleiner“ gemeint ist. Wo tatsächlich gebaut werden kann, soll außerdem das neue Hochwasserkonzept klären helfen – immerhin liegt die Zentrale Achse nahe der Sauer, die bei starken Regenfällen nicht selten über die Ufer tritt.
Mit seinem Bekenntnis, das erweiterte Syndikat „schnell“ zu bilden, offenbart der Bürgermeister von Colmar-Berg allerdings eine Nordstad-Begeisterung, die nicht alle seine Amtskollegen so teilen. Für das Ettelbrücker Gemeindeoberhaupt Jean-Paul Schaaf (CSV) ist Zano bis ebenfalls „eine Priorität“. Schaaf steckt auch voller Ideen, welche Zuständigkeiten das Syndikat von den Gemeinden übertragen bekommen könnte: „Standort-Marketing und Tourismus zum Beispiel, aber auch den öffentlichen Verkehr. Die Feuerwehren und Rettungsdienste natürlich, weil deren Reformkonzept ohnehin eine Nordstad-Einsatzzentrale vorsieht.“ Weiterhin die Jugendarbeit, die zum Teil schon fusioniert ist zwischen den Gemeinden. Nicht zuletzt aber, meint Schaaf, würde das Syndikat die Arbeit am Vorhaben Nordstad so versachlichen helfen, „dass wir aus dem Reflex ,Meine Gemeinde’ herauskommen. Und den müssen wir hinter uns lassen“.
Muss man? Der liberale Erpeldinger Député-maire André Bauler hält gerade die Besinnung auf die eigene Gemeinde für gesund, wenn es um die Nordstad geht. „Uns wird manchmal vorgeworfen, wir würden bremsen, aber auch wir treiben die Nordstad voran.“ Erpeldingen, auf dessen Territorium die Zone Fridhaff liegt, habe wesentlich dazu beigetragen, die lokalen Grundstückbesitzer zu überzeugen, ihre Terrains zu verkaufen. Und mit dem Bauvorhaben Städtisches Wohnen im ländlichen Raum, durch das auf 16 Hektar längerfristig bis zu 1 000 Einwohner ein neues Heim finden sollen, verfolge man „ein rein kommunales Projekt, das jedoch völlig Nordstad-konform ist“.
Der springende Punkt sei das Geld, erklärt Bauler. Die Gemeindefinanzen gerieten immer mehr unter Druck; aus dem staatlichen Fonds zur Finanzdotation der Gemeinde werde es künftig weniger geben. „Da sagen wir: Konzentrieren wir uns auf machbare und bezahlbare Projekte.“ Ein Syndikat Zano bis „bringt eine Kapitalaufstockung mit sich, aber dieses Geld haben wir nicht“. Besser sei es, „Schritt für Schritt zusammenzuwachsen“.
„Schritt für Schritt“ ist auch ein Credo, das dem Diekircher Bürgermeister Claude Haagen nicht fremd ist. Nach dem schwarz-grünen Interregnum ab 2005 war der LSAP-Mann im Oktober erneut Bürgermeister geworden und spielt im Sextett der Nordstad-Bürgermeister seither die Rolle desjenigen, der Tacheles redet und Probleme zuspitzt. Müssen die Planungen an der Zentralen Achse geändert werden, um einer Überschwemmungsgefahr vorzubauen, sagt Haagen: „Der Masterplan Nordstad ist unrealistisch, weil er ans Wasser gebaut ist.“ Hochfliegende Pläne sind ihm suspekt: „Man sollte sich auf das konzentrieren, was den Leuten vor Ort etwas bringt; auf Projekte für die Jugend zum Beispiel oder auf den Ausbau von Sportstätten.“ Klar sein müsse immer, welche Finanzbeteiligung der Staat übernimmt. Einem erweiterten Syndikat gegenüber hat er „leichte Bedenken, denn wir haben ja gerade mal das einfache Zano-Syndikat auf die Beine gestellt“. Weil Haagen dessen Präsident ist, muss er wissen wovon er spricht, wenn er sich an „prozedurale Probleme erinnert“. Wenngleich er sie vielleicht ein wenig zuspitzt.
Vermutlich aber wird sich gerade an der Frage, inwieweit die sechs Gemeinden bereit sind, ihre Zusammenarbeit noch zu intensivieren und das Schicksal des Oberzentrums Nordstad in ihre Hände zu nehmen, entscheiden, wie viele Mittel vom Staat fließen. Bis Ende des Jahres muss die von 2006 datierende Nordstad-Konvention mit der Regierung neu verhandelt werden – noch eine politische Herausforderung für die sechs Gemeinden. Dass die Konvention verlängert werden wird, daran besteht für den zuständigen delegierten Nachhaltigkeitsminister Marco Schank (CSV) kein Zweifel. Aber die Rolle des Staates sieht Schank auffällig zurückhaltend: „Wir begleiten die Gemeinden natürlich und geben Ideen. Wir suchen auch nach Lösungen, wenn das gewünscht ist, und wir vermitteln, falls es Konflikte geben sollte.“
Was Schank nicht ankündigt, ist ein Engagement des Staates, das so weit ginge wie in Belval. Daraus folgt: Inwiefern die Nordstad mehr wird als die Summe ihrer Teile, hängt allein von den beteiligten Gemeinden ab. Und um an mehr Zuwendungen zu gelangen, führt auch technisch kein Weg an einem erweiterten Syndikat vorbei: Noch vor drei Jahren hatte Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) den Nordstad-Gemeinden zu einer Communauté urbaine verhelfen wollen, an die auch staatliche Subventionen hätten fließen können. Wegen Verfassungsbedenken des Staatsrats begrub er das Vorhaben.
Aber natürlich sind diese Umstände allen Nordstad-Gemeindeverantwotlichen geläufig. So, wie Einigkeit darüber herrscht, dass eine Priorität für die nächste Zeit darin bestehen müsse, Projekte zu starten, die den Bürger interessieren. Eine eigene politische Agenda zu verfolgen, schließt das freilich nicht aus. Claude Haagen etwa verdankte seinen Wahlsieg im Oktober nicht zuletzt dem Versprechen an die Diekircher, den Bau der neuen Ackerbauschule im benachbarten Gilsdorf zu verhindern. Andernfalls drohe Diekirch endgültig im Verkehr unterzugehen. Ende März jedoch passierte der Gesetzentwurf zum Schulbau schon mal das Parlament. Um so mehr dürfte Haagen sich nun darauf konzentrieren, die Zugstrecke nach Ettelbrück zu erhalten. Das Mobilitätskonzept, das dazu eine „Systementscheidung“ herbeiführen soll, ist für den Herbst angekündigt. Und wenn für einen Bürgermeister politisch so viel auf dem Spiel steht, ist es ja vielleicht opportun, sich vom Nordstad-Esprit ein wenig abzugrenzen.
Peter Feist
Kategorien: Landesplanung
Ausgabe: 10.08.2012