Affäre Liwingen/Wickringen

Entgleist

d'Lëtzebuerger Land vom 08.06.2012

Die öffentliche Ausschusssitzung über die Immobilienprojekte von Livingen und Wickringen im Oktober vergangenen Jahres gehörte zu den peinlichsten Momenten des Parlamentarismus. Damals glaubte ein Minister nach dem anderen, vor laufenden Kameras wie ein begossener Pudel beteuern zu müssen, dass er nicht korrupt sei. Wer diese unwürdige Szene zu schätzten wusste, dürfte am nächsten Mittwoch wieder auf seine Kosten kommen. Dann muss sich die Regierung erneut den Abgeordneten stellen, um sich zu den neusten Enthüllungen zu erklären, darunter denjenigen des Lëtzebuerger Land vom 18. Mai über die merkwürdigen Umstände der Kreditvergabe an einen der beteiligten Unternehmer, und zu Vorwürfen, ihm mit dem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen und privaten Kreditlinien gedroht zu haben.

Der polternde Auftritt von Premier Jean-Claude Juncker während einer eigens einberufenen Pressekonferenz vergangene Woche zeigte hinreichend, wie unwohl sich die Regierung und inzwischen der Regierungschef selbst fühlen. Tatsächlich warfen die nicht über die schlechtesten Beziehungen zur Unternehmerwelt verfügenden Oppositionsparteien DP und Grüne dem Pre[-]mier am gestrigen Donnerstag vor, sich enger um die Immobilienprojekte von Livingen und Wickringen gekümmert zu haben, als er bisher zugab. Sollte es ihm am Mittwoch nicht gelingen, diese Vorwürfe überzeugend zu entkräften, nähert sich die Regierung nächste Woche flinken Schritts einer Krise.

Denn DP und Grüne setzten während ihrer als Kostümprobe für die Parlamentsdebatte gedachten gemeinsamen Pressekonferenz schon das Panikwort „Dysfunk[-]tionen“ in Umlauf und warfen dem Premier wie auch Innenminister Jean-[-]Marie Halsdorf unumwunden vor, die Öffentlichkeit und das Parlament belogen zu haben. Für die Opposition geht es auch um strafrechtlich relevante Vorgänge wie Erpressung und Korruption, so dass sie am Mittwoch einen Entschließungsantrag zur Abstimmung bringen will, mit dem ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss geschaffen werden soll.

Dabei hat die Regierung möglicherweise Recht, wenn sie erklärt, dass es gar nicht ungewöhnlich oder zumindest einmalig ist, wie der Innenminister, der Wirtschaftsminister oder gar der Sportminister und notfalls selbst der Staatsminister sich in wichtige Privatgeschäfte einmischen, um sie, auch im Interesse der Allgemeinheit, zu steuern, zu fördern oder notfalls zu verhindern. Weil der Versuch, staatliche Standort- und Strukturpolitik in einer freien Marktwirtschaft zu betreiben, aber nun einmal ein widersprüchlicher, wenn nicht gar ein mancherorts verpönter sein muss, scheint es kein Einzelfall zu sein, dass dabei „Auge in Auge“, wie einer der Unternehmer schreibt, mit kleinen Arrangements, größeren Gefälligkeiten und unterschwelligen Drohungen auf allen Seiten gearbeitet wird – die besser nicht bekannt werden.

Dass diese nach Darstellung der Regierung gar nicht so ungewöhnliche Praxis im Fall der Millionenprojekte von Livingen und Wickringen so schrecklich entgleisen konnte, hat zwei Ursachen: Anders als im Fall von Großbanken und bedeutenden Industrien, hatte die Regierung es in diesem Fall mit eher mittelständischen Unternehmern zu tun, denen es teilweise an Professionalismus zu fehlen schien, um auch in Krisenmomenten die Nerven zu behalten und zu schweigen, statt panisch ihren Einsatz zurückzufordern. Vor allem aber fehlte der Regierung als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise plötzlich das Geld, um ihren versprochenen Beitrag zur Rentabilisierung der vorgesehenen Privatinvestitionen zu leisten.

Romain Hilgert
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