Am Dienstag verstarb im Alter von 76 Jahren Jean-Pierre Koepp. Der Abgeordnete hatte vor drei Jahren einen Hirnschlag erlitten und war, mit Ausnahme einer kurzen Rückkehr 2008, kaum noch ins Parlament gekommen. Er wollte aber sein Mandat nicht dem ersten Ersatzdeputierten der ADR überlassen und wartete bis 2009 ab, um sich nicht mehr zur Wahl zu stellen. So verschwand mit Koepp vielleicht der letzte Abgeordnete seiner Art, die schon vor Jahren rapide, aber weitgehend unbemerkt auszusterben begann.
Immerhin gehörte der Öslinger Deputierte 20 Jahre, eine Generation lang, der Abgeordnetenkammer an. Auch wenn sich kaum jemand daran erinnert, ihn jemals ans Rednerpult treten gesehen zu haben, um eine Ansprache zu halten. 20 Jahre lang saß er beinahe stumm zwischen seinen Kollegen im Plenum, die ihn als bauernschlauen, aber feinen Kerl belächelten. Aber er wusste, dass er bei den Wahlen mehr Stimmen als der damalige CSV-Kammerpräsident oder der heutige LSAP-Agrarminister bekam.
Koepp fiel vor allem auf, weil er nicht auffiel. Weil er Viehhändler und Schankwirt auf der Houschterdéckt war. Das heißt, er war nicht bloß einer der zahlreichen Hinterbänkler, die es nie ins Fernsehen schaffen, aber dafür kein Wiesenfest in ihrem Wahlbezirk verpassen, auf dem Krautmarkt brav abstimmen, wie die Fraktion es beschlossen hat, und in Ausschusssitzungen auch schon einmal einnicken. Der Fockert und Wiert war vielleicht der letzte volkstümliche Abgeordnete in einem Parlament, das vor allem aus Beamten und Anwälten besteht, dem kein Arbeiter und kein Bauer mehr angehört und in dem selbst die Gewerkschafter längst durch Gewerkschaftsfunktionäre ersetzt sind. In Wahrheit war der Schankwirt sogar in seiner Stammtischpartei der letzte volkstümliche Abgeordnete, da die ADR zwar im Namen der von den anderen Parteien sich vernachlässigt fühlenden „kleinen Leute“ sprechen will, aber zunehmend von Anwälten und Berufsdiplomaten angeführt wird.
So gehörte Koepp einer für das 20. Jahrhundert typischen Art von Abgeordneten an, die im Wesentlichen vom Ende des Ersten Weltkriegs, das heißt der für die Notabeln bedrohlichen Einführung des allgemeinen Wahlrechts, bis zum Ende des Kalten Kriegs existierte, als Politik zu einer Technik im Interesse des internationalen Standortwettbewerbs wurde. Nämlich jener Art von Volksvertretern, die so waren wie das Volk, das sie vertraten. Während selbst die Volksparteien heute vor allem national- und kommunalpolitische Technokraten heranziehen und ihre Kandidatenlisten zwecks Popularität mit einigen Spitzensportlern und Fernsehansagern auffüllen.
Die in den Achtzigerjahren abgeschafften, wochenlangen parlamentarischen Haushaltsdebatten mit ihren feuchtfröhlichen Nachtsitzungen bewiesen zur Genüge, dass volkstümliche Abgeordnete stets einen Beitrag zur parlamentarischen Folklore zu liefern wussten, auf den sich auch verzichten lässt. Aber das Verschwinden jener Volksvertreter, die weder besser, noch schlechter als jene Volksschichten sind, die sie vertreten, fordert vor allem die repräsentative Demokratie heraus, das noch durch den Wahlzwang verschärfte allgemeine Wahlrecht. Denn zu einem demokratischen System, in dem die Stimme jedes Wahlberechtigten dasselbe Gewicht haben soll, gehört zwangsläufig auch das Recht der Aldi-Kunden mit Primärschulabschluss und dem Mindestlohn, einen der Ihren ins Parlament schicken zu können – oder eben einen Viehhändler und Schankwirt, der 20 Jahre lang politisch so stumm bleibt wie seine Wähler.