Der Wohnungsbauminister Marco Schank lässt nichts auf ihn kommen: Das Gesetz zum bail à loyer von 2006 seines Parteikollegen und Vorgängers, Fernand Boden, „war der richtige Weg“, um „ein gesundes Gleichgewicht zu finden zwischen den Rechten der Mieter und den Investoren“, hatte der CSV-Minister Anfang Juli in der Chamber gesagt und dies später auf einer Pressekonferenz wiederholt. Seine Vorredner, insbesondere die sozialistische Abgeordnete Vera Spautz, die die Aktualitätsstunde angefragt hatte, hatten zuvor der Regierung mit zumTeil drastischen Worten vorgeworfen, im Wohnungsbaudossier auch weiterhin versagen.
Der Minister nahm’s gelassen und betonte lieber die neue „Dynamik“. Zum Beweis hatte er einen Haufen Zahlen im Gepäck. So sei die Nachfrage nach sozialen Wohnungen in der Hauptstadt leicht gesunken, und auch die Anträge auf eine Sozialwohnung beim Fonds du logement hätten, nach einer Phase der Entspannung, erst im letzten Jahr wieder zugelegt. Vor allem aber würden die Beschwerden vor den mit dem Mietgesetz von 2006 neu geregelten kommunalen Mietkommissionen stagnieren. Die Kommissionen, die ab einer Gemeindegröße von 6 000 Einwohnern vorgeschrieben sind, sollen im Streitfall über den Mietpreis eine einvernehmliche Lösung finden. Sie kann aber erst nach den ersten sechs Monaten eines Mietverhältnisses angerufen werden. Der Beschwerdeführer ist angehalten, seine Beschwerde schriftlich einzureichen, die er gegebenenfalls mit einem – von ihm zunächst zu bezahlenden – Expertengutachten untermauern können muss. Dass eben diese Beschwerden weniger würden, sei, meint der Minister, Beleg genug dafür, dass das Gesetz „mehr Rechtssicherheit“ gebracht habe und „der Markt ausgeglichener“ wurde.
Für Mieter wie Sébastien und Magda M.* klingt das wie ein schlechter Scherz. Das Ehepaar lebt seit zwei Jahren auf dem hauptstädtischen Limpertsberg in einer kleinen Dachmansarde. Ungefähr genauso lange plagen sie sich mit einer maroden Heizung herum: „Im Sommer ist die Hitze kaum auszuhalten“, klagt Magda. Und im Winter falle die altersschwache Ölheizung regelmäßig aus. Aber der Vermieter reagiert nicht. Das für 1 350 Euro Miete monatlich. Warum sie nicht zur Mietkommission gehe? Die Lettin zuckt mit den Schultern: „Am Ende ziehe ich den Kürzeren und bin womöglich die Wohnung ganz los.“
Von 79 im Jahr 2002 auf 14 ist die Zahl der Mietbeschwerden in der Hauptstadt gesunken. Davon wurden, so Gemeindesekretärin Anouck Speltz, vier zurückgezogen und vier nicht anerkannt. In vier weiteren Fällen sei eine Entscheidung gefallen. Dass die Kommission immer seltener vermitteln muss, führt Speltz, wie Minister Schank, auf die geänderte Gesetzeslage zurück: Weil die Einklassierung in Vorkriegs- und Nachkriegswohnungen weggefallen sei, gebe es weniger Grund für Streit.
„Viele Leute kennen die Realität einfach nicht“, ärgert sich dagegen René Manderscheid. Der Düdelinger Gemeindeschöffe hat dieses Jahr noch keinen einzigen Fall vor seiner Kommission gehabt, im vergangenen Jahr seien es zwei bis drei gewesen. An eine Verbesserung des Mietmarktes glaubt er trotzdem nicht: „Die Menschen nehmen in ihrer Not, was sie kriegen.“ Mietpreise für ein Zimmer zwischen 400 und 550 Euro monatlich seien keine Seltenheit mehr, auch nicht im preiswerteren Süden. Manderscheid, der auch Sekretär beim OGB-L ist, kennt die Lebensverhältnisse vor Ort: „Viele der Betroffenen sind ausländische Mitbürger. Und die haben ganz einfach Angst, sich zu beschweren“. Andere würden zum Konsumentenschutz gehen – wenn sie denn wissen, dass es eine Interessensvertretung für sie gibt.
Für einen Ortsunkundigen ist es nicht so einfach, Unterstützung zu finden. Der Verbraucherschutz ULC hat zwar eine telefonische Hotline, aber trotz mehrmaliger Versuche hebt dort niemand ab. Erst auf ein Mail hin meldet sich ein Mitarbeiter und verspricht, die Anfrage für eine Mieterberatung weiterzuleiten. Bis zum Redaktionsschluss ist der Rückruf immer noch nicht erfolgt. Um zum Service Logement auf der Homepage der Hauptstadt zu kommen, bedarf es mehrerer Mausklicks: Dann kann sich der Bürger über wohnbezogene Dienstleistungen informieren, das Wort Mietkommis-sion aber taucht nirgendwo auf. In der Nordgemeinde Wiltz schon. Doch bei Anruf wird einem mitgeteilt, dass die angegebenen Ansprechpersonen „nicht die biblische Wahrheit“ seien und mit dem Mietgesetz die Zuständigkeit geändert habe. Auf der Escher Homepage steht in der Rubrik Logement unter dem Stichwort „litiges entre propriétaires et locataires“ immerhin die Telefonnummer der Mietkommission. Informationen über konkrete Ansprechpartner und Verfahrensweisen aber fehlen auch dort.
Von jährlich sechs bis sieben auf derzeit vier sind die Beschwerden gesunken, teilt der Escher Gemeinde-sekretär André Muller auf Land-Nachfrage freundlich mit. Ob das mit einer größeren Rechtssicherheit zusammenhänge? „Das ist todsicher nicht der Fall“, verneint Muller. Viele kämen, um sich wegen zu hoher Mieten beraten zu lassen, den letzten Schritt vor die Mietkommis-sion gehen sie oft dann aber doch nicht. Aus Angst bei einem Konflikt ihr Dach überm Kopf zu verlieren. Über die reale Lage der Mieter sagten die gemeldeten Beschwerden folglich wenig aus. „Erst gestern“, berichtet Muller, habe sich eine Mieterin verzweifelt an ihn gewendet: Ihr Vermieter wollte die Miete von 550 auf 750 Euro erhöhen. In solchen Fällen rät der Beamte, sich die Begründung schriftlich geben zu lassen und gegebenenfalls die Gerichte einzuschalten.
Deren Arbeit hat deutlich zugenommen. In seinem Tätigkeitsbericht von 2009 stellt Ombudsmann Marc Fischbach fest, dass die Zahl derer wachse, die auf juristischem Wege zu ihrem Recht kommen wollen. Zu den Bereichen, wo besonders häufig geklagt wird, zählt der bail à loyer. Noch etwas treibt den Ombudsmann um: Er bekomme „un certain nombre de réclamations de la part de personnes se trouvant en état de grande détresse suite à la perte de leur logement et n’obtenant des communes qu’elles habitent aucun abri d’urgence adéquat“. Seine Empfehlung klingt freilich etwas hilflos: Es sei „au Gouvernement de promouvoir la création de logements d’urgence au niveau communal ou intercommunal“. Dass Menschen wegen Überschuldung, Arbeitslosigkeit oder Scheidung in Wohnungsnot geraten, ist kein neues Phänomen. Mit der Wirtschaftskrise aber ist die Zahl der Kurzarbeiter und Arbeitslosen gestiegen, das Wohnungsproblem verschärft sich. Die Sozialschöffin der Stadt Esch, Vera Spautz (LSAP), warnte in ihrer Rede eindringlich vor den Gefahren, die mit der andauernden Wohnungsnot für die soziale Kohäsion einhergingen. Ihr Wohnungsdienst ist seit Monaten überlaufen: Waren es 2002 noch 224 Anträge auf subventioniertes Wohnen sind es 2010 schon 444. Allein im vergangenen Jahr gab es 96 neue Anträge auf eine Gemeindewohnung, bei insgesamt 380 kommunalen Mietwohnungen.
Die Beispiele zeigen nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit, tatsächlich wurden und werden mehr Mietwohnungen gebaut. Es reicht aber nicht, um die Nachfrage zu stillen. Klar ist: Einfach die Zahlen der Mieterbeschwerden vor den Kommissionen als Beweis für eine gelungene Mietwohnungspolitik zu nehmen, ist mehr als gewagt. Wer sich ein halbwegs realistisches Bild über die Si-tuation der Mieter im Land machen will, muss neben den Kommissionen auch die Arbeit der juristischen Dienste und des Verbraucherschutzes auswerten – sowie der Polizei. Die kümmert sich, mit den Gemeinden, um die so genannten Café-Zimmern, ein Problem, das, glaubt man den Worten von Vera Spautz, trotz verstärkter Kontrollen nicht abnimmt. Eine unabhängige Analyse fehlt aber auch hier, ebenso wie vom Mietgesetz. Der LSAP-Abgeordnete Alex Bodry hatte diese schon vor Jahren gefordert.
Mit unabhängigen Studien, die den Impakt seiner Politik verlässlich messen, tut sich das Wohnungsbauministerium aber seit jeher schwer. Daran hat die Schaffung eines Observatoire de l’habitat nicht viel geändert. Das liefert zwar jedes Trimester durchschnittliche Mietpreisentwicklungen, ob diese Preise gerechtfertigt sind, können die Daten aber nicht sagen. Eine Untersuchung des Observatoire mit Hilfe der Daten aus der Steuererhebung zu prüfen, wie sich die Mieten in den letzten Jahren konkret entwickelt haben, wurde aus Datenschutzgründen abgelehnt.
Mindestens zehn Prozent müssen bei einer Baufläche von einem Hektar für die „réalisation de logements à coût modéré“ und für „des personnes répondant aux conditions d’octroi des primes de construction ou d’acquisition...“ genutzt werden. Nicht nur, dass dies eben keine Verpflichtung zum Bau bezahlbarer Mietwohnungen ist, sondern auch Eigentumswohnungen gebaut werden können: Wie viele von den 1 300 Bauprojekten, die laut Minister Schank von den 101 am pacte logement teilnehmenden Gemeinden angekündigt wurden, dem bezahlbaren Mietwohnungsbau gewidmet sind, und zu welchen Mietpreisen diese Wohnungen auf den Markt kommen werden, lässt sich nicht ohne Weiteres bestimmen: Das Pakt-Gesetz, obwohl vom Observatoire gefordert, sieht kein solches Monitoring vor. Was nichts anderes heißt, als dass der Staat Millionen – laut Minister Marco Schank 97,7 Millionen Euro bis 2011 – für den Pakt ausgeben wird, ohne die Verwendung dieser Gelder im Einzelnen nachvollziehen zu können.
* Name der Redaktion bekannt