Die Schulfreunde machen mobil. Nachdem der Differdinger Gemeidnerat eiligst eine Resolution verabschiedete, um die schwarz-rote Regierungskoalition aufzufordern, den Aufschub des Differdinger Lycées noch einmal zu überdenken, ist es nun an den Clerfer. Mit dem Slogan „Bildung vor Straßenbau“ appellierte am vergangenen Mittwoch André Bauler, liberaler Nordabgeordneter und Sprecher der Initiative Ee Lycée fir de Cliefer Kanton an den Staat. Die Bürgerinitiative hatte 2007 rund 4 000 Unterschriften für das Nord-Lycée gesammelt und versucht nun via Öffentlichkeitsarbeit, den vertagten Bau doch noch irgendwie durchzubekommen.
Enttäuschung und Frust sind verständlich. Schließlich war die politische Entscheidung für die beiden Schulbauten längst gefallen. Das Baugrundstück im hohen Norden auf dem ehemaligen Sitz der Firma CTI-Systems hatte der Staat schon im Februar 2007 gekauft, ein halbes Jahr später wurde ein Architektenbüro damit beauftragt, die Pläne für die rund 700 Kinder fassende Sekundarschule zu zeichnen. Auch ein ungefährer Termin für den Baubeginn – 2014 – stand fest. Und vor Ort hatten sich interessierte Lehrer und Eltern gefunden, um gegebenenfalls zusammen die pädagogische Ausrichtung der Schule zu planen.
Aber das war vor der Finanz- und Wirtschaftskrise. Seitdem sucht die Regierung, vom Haushaltsdefizit und wachsenden Schulden gebeutelt, händeringend nach Einsparmöglichkeiten. Geplante öffentliche Investi-tionen wie Schulbauten gehören dazu und bedeuten, zumindest auf dem Papier, größeres Geld: Durch den Aufschub der drei Schulen, neben Differdingen im Süden und Clerf im Norden ist auch ein Lyzeum im Südwesten in Mondorf vorgesehen, würde der Staat geschätzte 250 Millionen Euro sparen.
Seitdem Premierminister Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Nation das Bau-Moratorium bekannt gab, ist die Stimmung in den jeweiligen Gemeinden im Keller. Am schärfsten reagierte der grüne Differdinger Schöffe Roberto Traversini, der die Regierung prompt beschuldigte, ihre Kürzungen seien parteipolitisch motiviert – was zumindest für Clerf Unsinn ist, deren Gemeindeführung von den Konservativen gestellt wird. Dort unterstützt auch die LSAP-Lokalsektion die Schulbauinitiative – ein Beweis dafür, dass Gemeindepolitiker im Zweifelsfall lokale Interessen vertreten. Schließlich werden sie dort gewählt.
Es zeugt von einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Partei, die jüngst noch am lautesten striktes Sparen gefordert und dafür sogar ihre Mitglieder um Vorschläge gebeten hatte, nun diejenige ist, die sich am heftigsten gegen die Kürzungen wehrt.
„Wenn es keinen Schülerwachstum gäbe, wäre es vielleicht zu verstehen, aber so verstehe ich den Aufschub nicht“, protestiert der Differdinger Bürgermeister Claude Meisch (DP). Konkrete Zahlen über die Bevölkerungsentwicklung nennt er nicht. Sein Parteikollege André Bauler schlägt in dieselbe Kerbe. „In die Bildung zu investieren, heißt in die Zukunft zu investieren.“
Da würde ihm Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) wohl kaum widersprechen. Es ist ja nicht so, als würde in die Schüler plötzlich nicht investiert. Tatsächlich lässt sich Luxemburg die Ausbildung seiner Schüler bis zu 283 000 Euro pro Kopf kosten – und steht damit europaweit an einsamer Spitze. Aufschub bedeutet, dass sich der Bau der Schulen noch etwas hinziehen wird, die Schüler künftig etwas enger zusammenrücken werden müssen.
Ein Container-Szenario wie noch vor zehn Jahren, das einige Schwarzseher in den Gemeinden an die Wand malen, ist aber kaum zu befürchten. Denn obwohl alle drei Sekundarschulen bereits im 2005 verabschiedeten Sektorplan Lyzeum als zweite Phase eingeplant waren (Priorität in einer ersten Bauphase hatten die Schulen Esch-Belval und Redingen sowie Junglinster, wo vor zwei Wochen mit den Vorarbeiten auf dem Grundstück begonnen wurde) und die Schülerhochrechnungen ihren Bau nach wie vor rechtfertigen – so dramatisch wie noch vor sechs Jahren ist der Raummangel an den meisten Schulen nicht mehr. Im Raum Süden um Petingen und Differdingen fuhren 2005/2006 zwar rund ein Drittel der Sekundarschüler täglich für den Unterricht in die Hauptstadt. „Aber das war vor dem Lycée Belval“ , sagt Raymond Straus, Chefschulbauplaner aus dem Unterrichtsministerium. Seitdem haben das 1 500 Schüler fassende Lycée Belval-Ouest, Erweiterungen in Petingen und Düdelingen sowie der Neubau in Lallingen Entlastung geschaffen.
Ähnliches gilt für die Nordregion, wo neben der Erweiterung des Wiltzer Lycées vor allem das neue Redinger Lyzeum die einst extrem angespannte Raumsituation erheblich verbessert hat. Bei seiner Eröffnung im September 2008 hatte Redingen mit einer kleineren Gruppe Schüler begonnen, ab nächster Rentrée soll es mit voller Kapazität laufen. Und dann sind da noch das Nordstad-Lycée, das Neie Lycée und das Uelzecht-Lyzeum, die drei im Sektorplan gar nicht vorgesehen waren, die aber ebenfalls zur Entspannung des Raumproblems beitragen.
Noch wichtiger aber ist: Auch wenn die absoluten Schülerzahlen landesweit immer noch steigen, der Zuwachs ist nicht mehr ganz so rasant, wie vor fünf Jahren von den Planern angenommen. Tatsächlich schrumpft die Zahl auf dem Weg durch die Grundschule: weil Schüler das luxemburgische Schulsystem im Richtung Ausland verlassen, weil sie fortziehen oder weil sie eine Arbeit gefunden haben. Die Zahl der ausländischen Neuankömmlinge, den primo arrivants, ist in den vergangenen Jahr zwar wieder gestiegen, fällt aber offenbar nicht so sehr ins Gewicht. „Die neuen Infrastrukturen schaffen eine gewisse Entlastung, so dass wir uns eine Zeit durchhangeln können“, ist Raymond Straus überzeugt.
Für die betroffenen Gemeinden ist der Bauaufschub dennoch ärgerlich. Die Differdinger Gemeindeführung etwa möchte endlich, die Schwimmhalle renovieren und in ein Erlebnisbad umwandeln – und hatte auf Unterstützung des Staates gehofft. Mit dem Unterrichtsministerium war man sich einig geworden, Bahnen für den Schulschwimmunterricht vorzusehen. Daraus wird erst einmal nichts. „Das wäre ein enormer Kostenpunkt für uns, wenn das Schwimmbad eine Zeit lang nicht ausgelastet wäre“, sagt Claude Meisch und fügt hinzu: „Die Santé drängt uns, die Infrastrukturen zu überholen.“ Meisch führt außerdem Opportunitätskosten ins Feld. „Ist es wirklich billiger, tausend und mehr Schüler täglich durchs halbe Land zu transportieren, weil sie in ihrer Region nicht zur Schule gehen können?“ Eine berechtigte Frage, aber großes Einsparpotenzial ist damit eher nicht verbunden: Die Kosten für den Transport dürften kaum in der Höhe eines kompletten Schulneubaus liegen.
„Bei der Bildung wird nicht gespart“, hatte Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) im April vor Journalisten beteuert. Sie wollte damit vor allem die Gewerkschaften beruhigen, die die neuen Grundschullehrerkontingente kritisieren. Die Ministerin hat gut reden, denn anders als andere Ministerien besteht ihr Budget zu 80 Prozent aus Personalkosten, die sich nicht ohne weiteres kürzen lassen. Es ist nicht lange her, da ist dieser Ausgabenposten noch einmal signifikant gestiegen: mit der Gehältererhöhung der Grundschullehrer. Und so lange sich in der Frage der Einstiegsgehälter beim Staat nichts rührt, wird sich der Posten kaum ändern.
Eifrige Sparfüchse könnten dennoch fündig werden. Warum beispielsweise muss eine Schule für 1 500 Schüler in Luxemburg so viel wie ein Mu-seum eines internationalen Architekten, also 90 Millionen Euro, kosten, wenn die Nachbarländer Schulen mit gleicher Kapazität für die Hälfte des Preises – und die Hälfte der Zeit – bauen? Schuldelegationen, die Luxemburg besuchen, staunen immer wieder über – pädagogisch fragwürdige – Riesenbauten, die großen Festsäle und top ausgerüstete Computersäle und Werkstätten. Dass zumindest schneller gebaut werden kann, zeigt die Erfahrung mit private public partnerships. Dass ein Schulneubau bis zur Fertigstellung rund acht Jahre braucht, ist schwer nachvollziehbar, wobei kleinteilige Ausschreibungsmodalitäten sicher nicht eben zur Beschleunigung beitragen. Nicht zufällig wurde das 600 bis 700 Schüler fassende Uelzecht-Lycée in Dommeldingen, das für 28,6 Millionen Euro als Generalunternehmung gebaut wurde, in der Rekordzeit von zwei Jahren fertig. Man überprüfe „alle Optionen, um künftig preiswerter zu bauen“, betont Raymond Straus. Der Beginn einer neuen Bescheidenheit?