Joseph L. hatte eine spezielle Mobilfunknummer für sein Geschäft angemeldet, das darin bestand, ungerechtfertigte Handelsermächtigungen zu organisieren. Der frühere Mitarbeiter im Wirtschaftsministerium machte sich dabei eine EU-Richtlinie zu Nutze, die der Anerkennung von Berufsqualifikationen dient, die in einem anderen Mitgliedstaat erworben wurden. Dafür werden sogenannte CE-Zertifikate ausgestellt.
Joseph L. muss die portugiesische Küche mögen. Dem Bericht der Ermittler im Prozess gegen acht Angeklagte wegen Unterlagenfälschung und Korruption zufolge, war er oft im Café Périgord in Kayl zu Gast, im Welcome in Esch und er aß auch im Lisboa. Dort traf er seine Kunden, die sich gerne selbstständig machen wollten, denen aber die notwendigen Qualifikationen fehlten. Da konnte Joseph L. etwas unternehmen. Er ging proaktiv vor. Bei einer Jazzrallye fragte er die Verantwortlichen eines Fußballvereins, die an einem Straßenstand Stockfischbeignets verkauften, ob sie kein Restaurant eröffnen möchten. Er könne da helfen.
Joseph L. spricht selbst kein Portugiesisch. Dafür hatte er einen Mitarbeiter, José Antonio S. Der hatte Kontakte nach Portugal und organisierte die notwendigen CE-Zertifikate. Die wurden von der Confederação da Indústria Portuguesa (CIP) ausgestellt, und dort kannte José Antonio S. jemanden, der gegen 500 oder 600 Euro auf dem richtigen Zertifikate-Papierbogen falsche Angaben eintrug und somit „richtige“ falsche Zertifikate produzierte. Die Angaben betrafen fiktive Qualifikationen, Diplome und Berufserfahrungen in leitenden Positionen. Die Zertifikate wurden an José Antonio S. zurückgeschickt, Joseph L. ließ sie übersetzen und die Mitarbeiterin Rosa C. der Buchhaltungsfirma B. füllte dann den Genehmigungsantrag für das Mittelstandsministerium aus. Dort stand Joseph L. mit zwei Mitarbeitern in Kontakt. Raymond S. und die Tochter seiner Cousine, Simone B., die er über seine Bekanntschaft mit Albert F. (siehe nebenstehenden Artikel) im Ministerium unterkam. Simone B. war unter anderem für die informatische Erfassung der Genehmigungsanträge zuständig und aktualisierte das Register der provisorischen Genehmigungen. Raymond S. war Sachbearbeiter. Er bereite die Anträge für die Begutachtung in der konsultativen Genehmigungskommission vor, in denen die Sachlage eindeutig war, also die Qualifikationen gegeben und alle Unterlagen vorhanden waren – wie die von Joseph S. eingebrachten Dossiers. Die waren, aufgrund der Fälschungen, anders als viele anderen Handwerkeranträge, immer einwandfrei. Raymond S. war ein fleißiger Mitarbeiter, wie ihm sein ehemaliger Vorgesetzter Christian S. vor Gericht bestätigte. Die Entscheidung war ihm überlassen, welche Dossiers er selbst bearbeitete und welche sein Vorgesetzter, bevor die Kommission entschied, eine Genehmigung durchs Ministerium zu empfehlen oder nicht.
Simone B. soll nach Aussage Joseph L. die Anträge mit ins Ministerium genommen und erfasst haben. Waren die Genehmigungen unterzeichnet, nahm Simone B. den Bescheid, der normalerweise per Post an die Antragsteller geht und ihnen erlaubt, ihre Genehmigung bei der Sozialversicherung abzuholen, aus der Akte und übergab sie Jospeh L. So hatte L. ein Druckmittel in der Hand, um, nachdem die Antragsteller im Vorfeld eine Anzahlung für das Zertifikat geleistet hatten, den Saldo einzukassieren, erklärte die Ermittlerin vor Gericht.
Irgendwann entschied der zuständige Beamte im Mittelstandsministerium, die Zertifikate reichten als Beleg nicht aus. Fortan war eine Kopie der Diplome notwendig und es wurde ein routinemäßiger Vergleich mit der Mitgliedschaft bei der Luxemburger Sozialversicherung eingeführt, um sicherzustellen, dass niemand Berufserfahrung in Portugal geltend mache könne, während er in Luxemburg wohnhaft und angestellt war. Also fanden Joseph L. und seine Helfer einen neuen Mitarbeiter in Portugal, der Diplome und Zertifikate der Luxemburger Sozialversicherung fälschte.
Neben Joseph L., Simone B. und Raymond S., sind der Buchhalter Jean B. und seine Mitarbeiterin angeklagt, sowie die Mitarbeiterin einer zweiten und die Besitzerin einer dritten Buchhaltungsfirma. Letztere spielte bei der Aufdeckung der Fälschungsaktivitäten Anfang 2007 eine entscheidende Rolle. Der Antrag auf eine Handelsermächtigung für den Sohn der Chefin war im Mittelstandsministerium aufgefallen, weil ihm ein portugiesisches CE-Zertifikat beilag, wonach er in Portugal Diplome erworben und Berufserfahrung gesammelt habe, während er, wie der Vergleich mit den Sozialversicherungsangaben und dem Schülerregister in Luxemburg belegte, hier zur Schule ging und als Angestellter arbeitete. Bei einem Gespräch erhob die Buchhalterin Vorwürfe gegen korrupte Mitarbeiter im Ministerium und erwähnte erstmals Joseph L. Einen Namen, den Emmanuel B. daraufhin der Sekretärin des Ministers vortrug, die ihn prompt als Verwandten von Simone B. erkannte. Ungefähr zur gleichen Zeit hatte man im Ministerium von einer Anzeige in der portugiesischen Zeitung Contacto erfahren, die nur eine Telefonnummer und den Hinweis auf Handelsermächtigungen enthielt. Schnell war ermittelt, wer die Anzeige geschaltet hatte und die Spur führte zur CIP nach Portugal.
Parallel wurde im Büro von Christian S. ein Unternehmer vorstellig, der seine Genehmigung von einem wohl eigens dafür bezahlten technischen Leiter auf sich selbst hatte übertragen lassen wollen und von S. 28 000 Euro zurückforderte. Der Unternehmer war unzufrieden, weil nicht S., sondern eine andere Mitarbeiterin die Genehmigung unterschrieben hatte. S. hatte Urlaub und Raymond S. hatte die Kollegin mit der Unterschriftsbefugnis gedrängt zu unterschreiben, wie Christian S. vor Gericht aussagte, dafür soll Raymond S. extra aus dem Krankenurlaub zurückgekommen sein. Er soll diese Akte entgegen aller Vorschriften von A bis Z selbst bearbeitet und den Genehmigungsbescheid aus der Akte genommen haben, um ihn Joseph L. zu geben. Raymond S. bestreitet dies. Der Unternehmer wollte nicht glauben, dass Christian S. kein Geld kassiert habe, und bestand auf Rückerstattung.
Joseph L. auf dessen Konten die Ermittler Bargeldeinzahlungen von insgesamt 414 000 Euro fanden, ist geständig, behauptet aber, dieses Geld stamme aus Mieteinnahmen seiner Immobilien. Das schmutzige Geld habe er im Tresor zu Hause aufbewahrt. Joseph L. sagt aus, Simone B. 1 000 Euro pro Genehmigung gegeben zu haben. Die Ermittler fanden auf ihren Konten Bargeldeinzahlungen zwischen 12 000 und 15 000. Sie räumt ein, Geld von Joseph L. erhalten zu haben, allerdings nicht im Gegenzug für ihre Dienste, sondern als Familienmitglied. Sie will auch nicht gewusst haben, dass die Genehmigungen auf der Grundlage von gefälschten Unterlagen ausgestellt wurden. Auf den Konten von Raymond S. konnten die Ermittler keine Bargeldeinzahlungen finden. Joseph L. gab vor Gericht an, Raymond S. habe von ihm kein Geld verlangt und auch keines erhalten. „Eine Kiste Champagner und ein paar Flaschen Wein“, so Joseph L, soll Raymond S. bekommen haben. Auf den Konten von José Antonio S. fanden die Ermittler Einzahlungen von mehreren hunderttausend Euro. Sie konnten allerdings nicht feststellen, ob es sich dabei um Zahlungen im Gegenzug für die Zertifikate handelte oder die Einnahmen des Zubito-Glücksspiels und sonstige Einnahmen aus seinem Café, wie José Antonio S. behauptet. Joseph L. gab an, José Antonia S. 6 000 Euro pro Zertifikat gegeben zu haben, um die portugiesischen Unterlagen zu bezahlen. Als es im Ministerium anfing, brenzlig zu werden, habe Joseph L. José Antonio S. beim Fräiheetsbam zwischen Bridel und Strassen 160 000 Euro in bar überreicht, damit dieser sich nach Portugal absetzen könne.
Die Ermittler berichteten von wesentlich geringeren Beträgen, die Antragsteller anderen vermeintlichen Netzwerken gezahlt haben sollen. Anders als bei Joseph L., der bis zu 28 000 Euro pro Handelsermächtigung von seinen Kunden gefordert haben soll, gehen sie nicht davon aus, dass die Buchhalterinnen Hilfe innerhalb des Ministeriums hatten. Eine Verbindung zwischen Joseph L. und den beiden anderen Netzen konnten sie nicht nachweisen.
Die Angeklagten wurden bis Redaktionsschluss nicht alle vom Gericht angehört und konnten sich nicht alle selbst zu den Vorwürfen äußern. Bis zur Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.
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