Mit dem Untergang von Espirito Santo will in Luxemburg niemand zu tun haben. Dabei wirft der Fall durchaus Aufsichts- und Standortfragen auf

Holy moly!

d'Lëtzebuerger Land vom 10.10.2014

Ende vergangener Woche, fast einen Monat auf den Tag genau, bevor der SMM die Aufsicht der Banken in der Eurozone übernimmt, entschied das Luxemburger Bezirksgericht, den Antrag auf Gläubigerschutz von Espirito Santo Financial Group und Espirito Santo Financière abzulehnen. Kurz vor dem Start der gemeinsamen Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank EZB steht eine als „signifikant“ eingestufte Einheit vor dem Ende. Im August musste Banco Espirito Santo mit öffentlichen portugiesischen Geldern gerettet und in eine „gute“ und eine „schlechte“ Bank aufgeteilt werden musste. Das zeigt einerseits, dass trotz aller Bemühungen der vergangenen Jahre, die Banken strenger zu überwachen, von anderen Teilen des Finanzwesen weiterhin größere Gefahren für die Stabilität ausgehen können. Und andererseits, dass die Verbindung zwischen Bankbilanzen und öffentlichen Haushalten noch immer nicht ganz gekappt ist, und es Bankiers deshalb möglich ist, ist ein ganzes Land in Schwierigkeiten zu bringen.

Um den „guten“ Teil der Bank vom „schlechten“ zu trennen, schritt im August der portugiesische Bankenresolutionsfonds mit 4,9 Milliarden Euro ein, um Novo Banco zu bilden. Der Fonds ist, wie in anderen europäischen Ländern auch, noch im Entstehen – darauf, den gemeinsamen europäischen Resolutionsfonds über Jahre hinweg aufzubauen, einigten sich die EU-Länder im Mai in Brüssel während die Staatsanwaltschaft in Luxemburg Ermittlungen gegen Espirito-Santo-Gesellschaften einleitete. Deshalb mussten die anderen portugiesischen Banken ihre Beitragszahlungen vorziehen und der Staat 3,9 Milliarden Euro in die Rettung investieren. Seither ist die portugiesische Regierung, die erst im Mai das Hilfsprogramm von EU und Internationalem Währungsfonds verlassen hat, wieder in der Defensive. Wirtschaftsminister Antonio Pires de Lima erklärte Ende September einer Investorenkonferenz in London, dass Portugal seit Espirito Santo Schwierigkeiten habe, Investitionen ins Land zu ziehen. „Wenn ich dies hätte verhindern können, hätte ich es getan. Investoren davon zu überzeugen, ihr Geld in der portugiesischen Wirtschaft anzulegen, diese Aufgabe ist schwieriger geworden“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Pires de Lima. Schatzamts­chefin Cristina Casalinho erklärte der gleichen Konferenz, dass sie auch nach dem BES-bail-out am Ende des Jahres noch zehn Milliarden Bargeld in der Kasse habe, „um das Rückzahlungsprofil zu glätten und die Refinanzierung in den Märkten zu erleichtern“.

Der Fall Espirito Santo wirft aber nicht nur Fragen danach auf, ob das europäische Überwachungsnetz eng genug gestrickt ist, damit sich im Finanzsystem nicht mehr unbemerkt größere Risiken aufbauen können, sondern auch welche Rolle Luxemburg als Standort für Beteiligungsgesellschaften im „Fall Espirito Santo“ zukommt. Offiziell keine: Seit im Juni der Fall Espirito Santo bis in die Luxemburger Öffentlichkeit durchgedrungen ist, lässt die Regierung, wenn sie sich überhaupt äußert, ausrichten, Espirito Santo sei ein rein portugiesisches Problem. Formal gesehen mag das nicht falsch sein. Banco Espirito Santo (BES) wurde von den portugiesischen Behörden beaufsichtigt, Espirito Santo Financial Group (ESFG), ein börsennotiertes Unternehmen mit Sitz am Luxemburger Boulevard Royal, ebenfalls. Die Verantwortung dafür, dass bei BES und ESFG alles im grünen Bereich sei, lag damit bei der portugiesischen Zentralbank Banco do Portugal und der Marktaufsichtsbehörde Comissão do mercado de valores mobiliários (CMVM).

Ausgangspunkt für die Entwicklung, die im Endeffekt zum bail out von BES führte, war allerdings eine andere Gesellschaft: Espirito Santo Interna­tional (ESI), ebenfalls mit Sitz am Boulevard Royal. ESI ist eine ehemalige Holding 1929, eine Beteiligungsgesellschaft in Privatbesitz, wie es derer Tausende im Luxemburger Firmenregister gibt und für deren Überwachung niemand im Besonderen zuständig ist. Genau da liegt das Problem.

Espirito Santo International steht an der Spitze des Firmenimperiums der gleichnamigen portugiesischen Familie Espirito Santo. In ihr hat die Familie ihre Beteiligungen gebündelt an: einerseits ESFG, Aktiengesellschaft, die neben Banco Espirito Santo auch Beteiligungen an anderen Firmen besaß, die im Finanzbereich aktiv sind, wie dem Versicherer Tranquilidade, und andererseits Rio Forte, Beteiligungsgesellschaft mit Investitionen in Landwirtschaft, Tourismus, Telekommunikation. Ende 2012 wies ESI eine Bilanzsumme von 4,2 Milliarden Euro aus, bezifferte den Wert ihrer Firmenbeteiligungen auf 2,9 Milliarden Euro. Doch der Jahresbericht, den ESI beim Luxemburger Firmenregister hinterlegte, ist, Deckblatt und Fußnoten inklusive, nur 23 Seiten lang. Dass ein externer Buchprüfer die Bilanz von ESI prüft, ist laut Luxemburger Gesellschaftsrecht nicht notwendig, es reicht, wenn das der Commissaire aux comptes tut. Der schrieb in seinem Bericht für das Geschäftsjahr 2012: „... j’ai l’honneur de vous rendre compte de l’exécution, pour l’exercice 2012, du mandat de commissaire que vous avez bien voulu me confier. J’ai effectué ma mission sur base de la loi modifiée du 10 août 1915 qui n’impose pas au commissaire de donner une attestation sur les comptes annuels. Dès lors je n’ai pas vérifié les comptes annuels suivant les normes de révision généralement admises."

Dass eine Gesellschaft mit Milliardenumsatz und Beteiligungen im Bankensystem einer kaum größeren Rechenschaftspflicht unterliegt als der Gemüsehändler um die Ecke, ist kein portugiesisches Problem und wirft die Frage auf: Hätte eine bereits funktionierende gemeinsame europäische Bankenaufsicht Espirito Santo verhindern können? Die Antwort lautet: leider nein. ESFG gehörte zu den während der Vorbereitungsarbeiten für den SSM untersuchten systemisch wichtigen Gruppen. ESFG-Aktionär ESI als Beteiligungsgesellschaft, mit Anlage in verschiedenen Bereichen nicht. Als Beteiligungsgesellschaft unterliegt ESI nicht der Kontrolle der Finanzaufsicht, muss keine bankenübliche Kapital- und Liquiditätsstandards erfüllen. Deswegen ist für Jean Guill, Direktor der CSSF, die Lektion, die noch gelernt werden muss, die, dass „wenn Gruppen sowohl eine Finanzaktivität haben, als eine nicht finanzielle Aktivität, es ratsam wäre, diese in der Struktur zu trennen“. Dann nämlich würden die Finanzaktivitäten auf oberster Konsolodierungsebene von den jeweils zuständigen Finanzaufsichtsbehörden überwacht. Im Fall ESI ermittelt die Staatsanwaltschaft neben dem Verdacht von Verstößen gegen das Gesellschaftsrecht auch wegen unerlaubter Bankaktivitäten.

Was im Detail bei Espirito Santo schief gelaufen ist und wer dafür verantwortlich ist, dürfte Behörden und Gerichte sowohl in Portugal als auch in Luxemburg noch Jahre beschäftigen. Doch im Überblick passierte in etwa Folgendes: Espirito Santo International, unter dem Druck, die Beteiligungen mit Geld zu versorgen, die unter der Wirtschaftskrise litten, machte Schulden. Schulden, welche ESI an ihre Tochtergesellschaften verkaufte, die diese entweder in die eigenen Bücher aufnahmen oder sie als Anlageprodukt an institutionelle Anleger, wie an Schalterkunden via Investmentfonds, verkauften. Das machte ESI, wenn auch diskret über nicht frei handelbare Schuldpapiere, in so großem Maße, dass die portugiesischen Behörden bereits 2013 einschritten, um neue Regeln einzuführen. Seither darf kein Investmentfonds mehr als 20 Prozent des verwalteten Vermögens in mit dem Fonds verbundene Unternehmen investieren.

Die Entwicklung rief die portugiesische Zentralbank auf den Plan, die im Rahmen ihres Hilfsprogramms die großen portugiesischen Banken einer genaueren Prüfung unterzog. Ende 2013 stand ESI mit rund sechs Milliarden Euro bei ESFG in der Kreide, wovon 3,8 Milliarden an Schalterbankkunden weiterverkauft worden waren, davon 1,5 Milliarden Euro an die Kunden von BES. Es folgte ein Audit bei ESI. Dass das Ergebnis beunruhigend sein würde, zeichnete sich ab, als ESFG Anfang 2014 die Hauptversammlung aussetzte, bis die Resultate vorliegen würden, und ESFG zusammen mit Crédit Agricole Mitte Mai eine Kapitalerhöhung von einer Milliarde Euro bei Banco Espirito Santo ankündigte. Am 29. Mai informierte ESFG: „In the Limited Audit, material irregularities have been identified in the financial statements of ESI, affecting the completeness and trustworthiness of its accounting records, consisting notably of omissions in the accounting of liabilities in a relevant amount, overvaluation of assets, non-recognition of provisions for risks and other contingencies, inadequate accounting records and transactions in a form that does not correspond to substance.“ Übersetzt soll das heißen, dass ESI verheimlicht haben soll, wie viel Schulden die Firma gemacht hatte und zudem den Wert ihrer Beteiligungen, mit denen sie ihre Schulden garantierte, überschätzt haben soll. Für 2012 gab ESI beim Firmenregister drei Bilanzen ab. Zwischen der ersten und der zweiten Version verschwanden rund 500 Mil­lionen Euro Forderungen an verbundene Unternehmen – ein Klacks.

ESFG machte nch dem Audit zusätzliche Rückstellungen über 700 Millionen Euro, für den Fall, dass ESI seine Schulden nicht zurückzahlen könne, und unterstrich, dass die BES-Schalterkundschaft nur noch 395 Millionen Euro ESI-Schulden besäße, der Schuldenstand gegenüber institutionellen Anlegern auf 564 Millionen Euro gesunken sei. Die 700 Millionen Euro zusätzliche Provisionen würden ausreichen, schlussfolgerte ESFG. Doch Ende Juli musste Banco Espirito Santo für das erste Halbjahr 2014 einen Verlust von 3,6 Milliarden Euro vermelden. Die Bank hatte 1,2 Miliarden Euro auf Forderungen gegenüber der Gruppe Espirito Santo abschreiben müssen. BES konnte die gesetzlichen Kapitalanforderungen nicht mehr erfüllen. Drei Tage später folgte der bail out.

Ob die portugiesischen Verantwortlichen der Espirito-Santo-Gruppe den Kreislauf an Schulden und Krediten zwischen ihrer privaten Beteiligungsgesellschaft ohne Zwischenetappe in Luxemburg überhaupt in Gang hätten bringen können, ist die Frage, die sich die Luxemburger Behörden stellen müssten, wenn sie darum bemüht ist, das Image des Finanzstandortes international aufzupolieren. Finanzminister Pierre Gramegna (DP), zwischen den Haushaltsvorbereitungen in den USA auf Werbetour für den Finanzplatz unterwegs, konnte dazu zu diesem Zeitpunkt keine Stellung beziehen.

Die andere Frage ist, wem der Aufbau dieser Risiken für das europäische Finanzsystem in einer Luxemburger Beteiligungsgesellschaft hätte auffallen müssen? Dem Luxemburger Komitee für systemische Risiken etwa, das es eigentlich schon längst geben müsste, sich aber noch in der Prozedur befindet. In den Kommentaren im Gesetzentwurf zum Comité des risques systémiques schrieben die Autoren aus dem Finanzministerium ausdrücklich, dass sich das Komitee mit seinen Gutachten auch an Akteure aus dem Schattenbankwesen richten könne, eine Vorgabe, die der Staatsrat in seinem Gutachten strikt ablehnt. Dass das Comité noch immer im Entstehungsprozess ist, auch das ist keine Werbung für einen seriösen, stabilen Finanzstandort.

Michèle Sinner
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