Eltern wollen finanzielle Entlastung und familienfreundliche Jobs. Das spiegelt sich in den Parteiprogrammen von ganz links bis konservativ wider. Die Familienbilder aber unterscheiden sich stark

Wahlkampfschlager Familie

d'Lëtzebuerger Land vom 28.09.2018

Den Ehrenpreis im Wettbewerb politischer Allgemeinplätze hat sich die Alternativ-Demokratesch Reformpartei bereits verdient: „D’Famill ass Kärzell vun der Gesellschaft“, steht in ihrem Wahlprogramm. So formuliert es sonst nur die Splitterpartei déi Konservativ des geschassten ADR-Mitglieds Joe Thein. In der deutschen CDU gehörte die antiquierte Formel der Familie „als gesellschaftliche Keimzelle“ zum guten Ton: Vater, Mutter, Kind(er) lautete das konservative Familienideal der 1950-er bis weit in die 1980-er hinein. Die Bevölkerungsentwicklung, hohe Scheidungsraten, Frauenerwerbstätigkeit und die zunehmende Akzeptanz anderer Lebensmodelle führen aber seit geraumer Zeit dazu, dass dieses Familienideal nicht mehr der alleinige Fokus der Familienpolitik der meisten Parteien ist.

Nicht so bei der ADR: Familie beschränkt sich für sie in erster Linie auf die biologischen Eltern. Homosexuelle Paare stellen für die ADR keine vollwertige Familie da. Die Homoehe will sie abschaffen und stattdessen die Lebenspartnerschaft Pacs ausbauen, wobei das Familienrecht ausdrücklich ausgenommen sein soll. Regenbogenfamilien, Kinder mit schwulen oder lesbischen Eltern, können schauen, wo sie bleiben. Selbst déi Konservativ sind da fortschrittlicher.

Nicht nur bezüglich der Eltern, auch bei den Kindern hat die ADR Vorstellungen, die an vergangene Zeiten erinnern: „Mär wëlle Kanner, déi ze Lëtzebuerg gebuer gin a Kanner déi hei ann d’Schoul ginn“, heißt es weiter. Der Zusatz zu den Schulkindern ist wohl nötig, um nicht Luxemburgern, die jenseits der Grenze wohnen, aber weiterhin im Großherzogtum arbeiten, von der „natalistischen Politik“ auszugrenzen. Im Kern bedeutet sie: mehr Kindergeld, dazu nicht besteuert und an den Index gekoppelt, sowie die Einführung eines Elterngelds, damit Eltern eine reelle Möglichkeit bekommen, bei ihren Kindern zu bleiben. Elterngeld und Elternurlaub, der sich wachsender Beliebtheit erfreut und den die ADR beibehalten will, sollen nicht kumuliert werden können.

So klar wie die ADR bekennt sich keine andere Partei, auch nicht die Splitterpartei déi Konservativ, zu einer nationalistischen Familienpolitik: Ob die Partei einem Kind die Zukunft absichern will, hängt für die Rechtspopulisten vom Geburtsort ab; Kinder von Grenzgängern, obschon ihre Eltern zum Wohlstand des Landes entscheidend beitragen, gehören für sie nicht dazu.

Die CSV, mit der die ADR so gerne eine Koalition bilden will, erkennt dagegen an, dass demografischer Wandel und der Wandel der Lebensformen „in den letzten Jahrzehnten eine Pluralisierung von Familienformen und Familienentwicklungsverläufen“ hervorgebracht haben. Egalitär verteilt sie ihre familienpolitischen Wahlgeschenke gleichwohl nicht: Unter dem Motto „Wahlfreiheit wieder garantieren“ will sie die von DP, LSAP und Grünen abgeschaffte Erziehungszulage wieder einzuführen, für kinderreiche Großfamilien soll eine sozial gestaffelte allocation complémentaire pour familles nombreuses Härten abfedern. Ein auf acht Monate verlängerter Elternurlaub soll es Müttern und Vätern erlauben, länger beim Kind bleiben zu können. Ein Recht auf Rückkehr auf den alten Arbeitsplatz steht im Wahlprogramm nicht, ebenso wenig wie das erhöhte Ersatzeinkommen.

Die CSV, die den außerfamiliären Betreuungsboom unter Familienministerin Marie-Josée Jacobs selbst losgetreten hatte, setzt wieder verstärkt auf Anreize, dass ein Elternteil zuhause auf die Kinder aufpasst. Sie sagt zwar zu, das Betreuungsangebot auszubauen, aber erst bei Kindern ab drei Jahren. Die kostenlose Kinderbetreuung soll sogar erst ab dem Grundschulalter gelten. Zudem sollen Crèches parentales gefördert werden. Die Piratenpartei geht hier einen anderen Weg, um die Qual der Wahl in der Vereinbarkeitsproblematik zu lösen: Sie verlangt, dass die Chèques-service bar ausgezahlt werden sollen. So könnten Eltern selbst entscheiden, für welche Betreuungsform sie das Geld ausgeben wollen.

Die CSV will die Anzahl der Babyjahre von zwei auf drei pro Kind erhöhen, für Eltern die für den Nachwuchs ihre berufliche Karriere unterbrechen – das sind wegen des geringeren Verdienstes in der Regel Frauen. Das Programm betont zwar die Gleichstellung von Mann und Frau und beteuert Armut „statt Arme“ bekämpfen zu wollen: Die familienpolitischen Vorschläge zielen aber darauf ab, insbesondere das Ernährermodell zu stärken. Zur Situation der Alleinerziehenden mit dem größten Armutsrisiko fällt der Partei nichts ein, außer das garantierte Mindesteinkommen allgemein zu erhöhen. Beim Wohnungsbau will sie mehr Sozialwohnungen bauen und das Prinzip des Mietkaufs einführen, „um jungen Familien und Leuten mit mittlerem Einkommen zu Eigentum zu verhelfen“. Laut Steuerkapitel sollen niedrige Löhne zusätzlich entlastet werden, das Regime der Steuerkategorie 1a, das Alleinerziehende besonders diskriminiert, will die CSV „einer Prüfung“ unterziehen. Die Sozialisten wollen die Steuergutschrift für Alleinerzehende deutlich anheben und so die Steuerklasse 1a und an die Steuerklasse 2 annähern.

Ausgerechnet die DP, und insbesonders ihre Präsidentin, Familienministerin Corinne Cahen, dagegen hat für Wahlkampfauftritte in Funk und Fernsehen die Frauen- und Kinderarmut entdeckt und meint sogar, ein Puzzlestück für ihre Minderung bereits geliefert zu haben: mit den Steuerkrediten für Beschäftigte und Rentner, angehoben von 300 auf 600 Euro, und dem von 750 auf 1 500 Euro angehobenen Steuerkredit für Alleinerziehende. Als nächstes versprechen die Liberalen, das „ungerechte“ Steuersystem von Grund auf zu reformieren und auf Individualbesteuerung umzusteigen. Das System der Dienstleistungsschecks will die DP abschaffen und durch ein neues ersetzen, ohne diesen Vorstoß allerdings näher zu erläutern.

Familienpolitik und Arbeitsmarktpolitik sind historisch eng verzahnt. Förderten konservative Parteien traditionell das Alleinernährermodell, hat sich das im Zuge der Gleichberechtigung und der zunehmenden Frauenerwerbstätigkt geändert. Mit flexibilisiertem Elternurlaub, Gratis-Betreuung und Aktivierung von Arbeitslosen tritt die DP für eine Familien- und Beschäftigungspolitik ein, die beiden Eltern wohl Familienpausen gönnt, gleichzeitig aber alles daran setzt, ihre Arbeitskraft so schnell wie möglich wieder dem Arbeitsmarkt zuzuführen. Dass ein Elternteil über längere Zeit zuhause bleibt, ist bei ihr nicht vorgesehen. In Streitgesprächen umschifft Parteipräsidentin Corinne Cahen auffällig die Frage, was die Erziehungszulage ersetzen soll.

Dabei bleiben die Liberalen ihrer Wählerklientel treu: Ihr Vorschlag, den Elternurlaub mit einer Maximallänge von 18 Monaten Vollzeit oder bis zu 36 Monaten halbtags verlängern zu können – wenn der Arbeitgeber einverstanden ist und ohne dass sie der Staat finanziell entschädigt –, richtet sich wie viele ihrer Forderungen an die Mittel- und Oberschicht. Obwohl der Staat die Kosten der Sozialversicherung übernehmen soll, werden sich Familien mit geringen Einkommen die zusätzliche Elternzeit kaum leisten können.

Die Auffassung, dass das Renten- und Steuersystem ein überholtes Rollenverständnis widerspiegele, teilt die DP mit déi Gréng, die dem aktuellen System vorwerfen, „Frauen als Mütter und Anhängsel des Geld verdienenden Ehemannes“ zu betrachten und vor allem geringer verdienende Frauen dazu zu ermutigen, „berufliche Auszeiten zu nehmen“ und in Teilzeit zu arbeiten. Die Grünen wollen die gemeinsame Veranlagung von Verheirateten und Partnern abschaffen, eine frühe Forderung von Frauenorganisationen, und wie die DP und die LSAP die Individualbesteuerung einführen, wobei die Sozialisten der Forderung das dehnbare Wort „langfristig“ beigefügt haben.

Im Zuge von Arbeitszeitverdichtung wird Zeit eine immer wichtigere Ressource. Die Grünen setzen deshalb auf „mehr Selbstbestimmung über ihre Zeit“, etwa durch den Ausbau des unter Blau-Rot-Grün von zwei auf zehn Tage ausgedehnten Vaterurlaubs sowie einem verlängerten und weiter flexibilisierten Elternurlaub, den im Sinne der Gleichberechtigung auch frisch gebackene Väter direkt nach der Geburt nehmen können sollen. Außerdem sollen Eltern ein Recht auf Teilzeit bekommen und dies bis ihre Kinder zwölf Jahre erreicht haben, Personen, die Angehörige pflegen, sollen dafür ähnlich wie beim Elternurlaub vom Staat einen teilfinanziertes Ersatzkommen erhalten. So wollen die Grünen Fürsorgearbeit gesellschaftlich aufwerten.

Die kostenlose Kinderbetreuung ist inzwischen zum Allgemeingut im familienpolitischen Forderungskatalog geworden: Neben den Grünen will die LSAP sie ebenso wie déi Lénk, die aber darauf pochen, diese öffentlich anzubieten und die die Dienstleistungsschecks abschaffen wollen, um so die Finanzierung privater Betreuungseinrichtungen durch die öffentlich Hand zu verhindern. KPL, déi Lénk und LSAP wollen die Familienbeihilfen wieder an den Index koppeln und das Kindergeld erhöhen.

Alle drei versprechen zudem die Vereinbarkeit zu verbessern: déi Lénk mit einem verlängerten Elternurlaub um sechs Monate (Vollzeit) oder zwölf Monat (halbtags), den auch Väter gleich nach der Geburt nehmen können sollen; die LSAP mit einem Recht auf Teilzeitarbeit, das an ein Recht auf Rückkehr in Vollzeitarbeit gekoppelt werden soll. Wird wegen der Familie beruflich zurückgeschraubt, soll der Staat bis zum zwölften Lebensjahr des Kindes die Beiträge zur Rentenversicherung für eine Reduzierung von bis zu 30 Prozent pro Elternteil übernehmen, wobei das Recht nicht von einem Elternteil auf den anderen übertragbar sein soll. Die KPL geht einen Schritt weiter und fordert die „automatische Übernahme der fehlenden Renteneinzahlungen bei Halbtagsarbeit wegen Kinderbetreuung oder Betreuung von abhängigen Familienmitgliedern durch den Staat“.

Déi Lénk fordern überdies, die Babyjahre von zwölf auf 24 Monate pro Elternteil auszudehnen. „um die Autonomie der erwachsenen Kinder während Studium oder Berufsausbildung gegenüber dem Elternhaus“ zu stärken. Die Linken wollen außerdem eine so genannte Autonomie-Beihilfe von 4 800 Euro (400 Euro im Monat), die automatisch auf das Konto der Heranwachsenden überwiesen und von der staatlchen Familienkasse finanziert werden soll, ein Zugeständnis an die oft junge Wählerbasis der Partei, die sich selbst Bewegung nennt.

Auch in anderen Kapiteln werden familienpolitische Akzente gesetzt: etwa in der Wohnungspolitik (siehe Seite 6). Summasummarum zeigt sich einmal mehr: Familienpolitik ist immer auch verdeckte Klientelpolitik, auch wenn sie auf den ersten Blick vielleicht nicht als solche zu erkennen ist. Da nehmen sich Parteien von ganz links bis rechtsaußen nichts.

Ines Kurschat
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