Schön ist sie, die neue Futtermittelfabrik von De Verband in Perl-Besch am deutschen Moselufer. Die neuen Silos blitzen in der Oktobersonne. Kein Wunder, dass die Verantwortlichen stolz sind. Das liegt aber nicht nur an der Optik. Sondern auch am Symbolcharakter, den die Anlage durch die Umstände, unter denen sie geplant wurde, erhält.
De Verband hatte mit seinem Zickzack-Kurs bei der jahrelangen Standortsuche für sein neues Agrarzenter Unverständnis und Wut auf allen Ebenen ausgelöst. Nachdem De Verband mit der Straßenbauverwaltung und der Gemeinde Colmar-Berg über eine Niederlassung in Colmar verhandelt hatte, lud die Genossenschaft kurz vor den Wahlen 2009 zum Spatenstich nach Pettingen in eine Grünzone ein. Im Zentrum des Landes sollte das Agrarzenter entstehen und sollten alle Aktivitäten der Gruppe dort konzentriert werden, argumentierte Camille Schroeder, Unterhändler von De Verband. Unter dem Druck der Bürgerinitiative Busna musste die damalige CSV-LSAP-Regierung schließlich einsehen, dass der Bau eines Agrarzentrums in Pettingen im Widerspruch mit den eigenen Landesplanungszielen stand. Sie bot De Verband ein Grundstück im Hafen von Mertert an, wo sich De Verband schon 2002 hatte niederlassen wollen, und einen Scheck über rund zehn Millionen Euro Investitionsbeihilfen. De Verband lehnte ab, entschied sich dafür, Lagerkapazitäten und Futtermittelfabrik im saarländischen Perl-Besch anzusiedeln, den Rest der Aktivitäten in Colmar-Berg.
Busna und die Umweltschützer waren zufrieden, die Gegner des Agrarzenters in Colmar-Berg, darunter Bürgermeister Fernand Diederich (LSAP), wütend, Regierung und Mitglieder der parlamentarischen Landwirtschaftskommission enttäuscht, die Bauern ein wenig besorgt über die Verlagerung dieser für sie wichtigen Infrastruktur jenseits der Landesgrenzen. Das war 2011, und als De Verband anfing, davon zu schwärmen, wie sich die Behörden im Saarland überschlugen, um das Projekt der neuen Investoren schnellstmöglich durch die Planungsphase zu bringen, war der Affront komplett. Nicht nur, dass De Verband als Agroindustriebetrieb, Vertreter einer stark subventionsabhängigen Branche, sich nicht mit öffentlichen Luxemburger Geldern bestechen ließ – er führte die heimischen Behörden in einer ihrer größten Schwächen vor: der Dauer der Prozeduren. Das war Wasser auf die Mühlen der Arbeitgeberlobby, denen das Agrarzenter fortan als Lieblingsbeispiel diente, wenn sie illustrieren wollte, wie die langen und schwierigen Genehmigungsprozesse die Luxemburger Industrie vernichteten...
Ein kleines triumphierendes Lächeln macht sich deshalb auf den Gesichtern von De-Verband-Präsident Henri Lommel und Geschäftsführer Jos Jungen breit, wenn sie drei Jahre und 32 Millionen Euro Investitionen später sagen: „Die Silos sind voll, die Anlage ist fertig, die Futtermittelfabrik läuft.“ Perl, sagt Jungen, sei ein „absoluter Wunschstandort“. Wegen der Anbindung an die Binnenschifffahrt: Der Transport der Waren per Schiff – die Anlieferung von Futtermittelkomponenten, Düngemitteln und Streusalz; der Versand von Getreide andererseits – sei pro Tonne zehn bis zwölf Euro günstiger als im LKW über die Straße. Beim aktuellen Produktionsstand wird De Verband in Perl 300 000 Tonnen jährlich umschlagen, binnen fünf Jahren soll der Warenstrom auf 500 000 Tonnen ansteigen. „Das rechnet sich schnell“, meint deshalb Jungen. Weshalb Perl mit seiner Kaianlage als Logistikstandort besser geeignet ist als Mertert, liegt laut Jungen am Einzugsgebiet. „25 Kilometer sind die Distanz, welche die Bauern bereit sind, mit dem Traktor zur Getreideanlieferung zu fahren.“ Ziehe man einen Kreis mit einem Radius von 25 Kilometern um Mertert, beinhalte das Einzugsgebiet 12 000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche, tue man das Gleiche in Perl, lägen 30 000 Hektar im Einzugsgebiet.
Wenn Jungen das erklärt, klingt das so, als ob De Verband große Expansionspläne habe. Seit 2009, binnen fünf Jahren, hat De Verband den konsolidierten Umsatz aller Geschäftsbereiche auf 180 Millionen Euro verdoppelt. Kurzfristig soll der Umsatz auf 200 Millionen Euro steigen. Trotzdem heißt es in der offiziellen Broschüre, die zur Eröffnung in Perl gedruckt wurde, im besten Agrar-Deutsch: „Die Investition am Standort Perl-Besch ist somit keine aggressive Kapazitätserweiterung, sondern eine wohldurchdachte Ersatzinvestition zur Zentralisierung und wirtschaftlichen Optimierung der Schüttgutlogistik und der Futtermittelproduktion mit nachfolgender Schließung der zwei großen Standorte Mersch und Ettelbrück im Zentrum von Luxemburg.“
Diese widersprüchlichen Angaben zum Ausbau der Aktivitäten muss man im Rahmen der rezenten Geschichte der Luxemburger Landwirtschaft sehen, um sie zu verstehen. Auslöser dafür, dass De Verband den Standort Mersch mittelfristig ganz räumt, ist ursprünglich die Finanzlage der Cepal – Société de gestion du patrimoine de la Centrale paysanne luxembourgeoise, die der letzten verfügbaren Bilanz zufolge am 31. Dezember 2012 ein Negativkapital von 10,2 Millionen auswies, Verluste von 27,3 Millionen Euro und Schulden von 13,4 Millionen Euro angehäuft hatte. Deswegen, heißt es im Geschäftsbericht, habe der Verwaltungsrat schon 2007 entschieden, am Standort Mersch ein großes Immobilienprojekt zu starten, mit dessen Erlös alle Schulden getilgt werden sollen. Dass die Cepal 2003 zum Sozialplan gezwungen war, führten die Verantwortlichen von De Verband damals selbst auf die im Verhältnis zur landwirtschaftlichen Produktion Luxemburgs überdimensionierten, ineffizienten und deshalb unrentablen Cepal-Anlagen zurück, bevor die Aktivitäten der ehemaligen Konkurrenten De Verband und Cepal im Getreide- und Futtermittelbereich in der 2004 gegründeten Gesellschaft Versis zusammengeführt wurden. Die Liegenschaften der Cepal in Mersch – noch 60 Prozent des Areals dürften heute der Cepal gehören, der Rest ist in der Hand des Staates, der Milchgenossenschaft Luxlait und von De Verband – waren Ende 2012 mit Hypotheken im Wert von 28,5 Millionen Euro belegt, die Beteiligungen an der Luxlait und Versis sind ebenfalls verpfändet.
So stellt sich De Verband heute explizit als Unternehmen der Großregion dar, das über das Großherzogtum hinausgewachsen ist. Über die Hälfte des Umsatzes von 180 Millionen Euro werde im Ausland erzielt, sagt Jos Jungen. 4 400 Einladungen zur Besichtigung hat De Verband an Kunden verschickt, die zum Umsatz beitragen. Nur 1 500 davon gingen nach Luxemburg. Das erklärt Jungen mit der fortschreitenden Konzentration der landwirtschaftlichen Betriebe. Zwischen 1962 und 2009 stellten 8 000 Höfe den Betrieb ein, so das Statec im Rahmen seiner Jubiläumspublikationen Le Luxembourg 1960-2010. Immer weniger Betriebe bewirtschaften immer größere Flächen: der Prozentsatz der „großen“ Höfe, die über 50 Hektar bewirtschaften, stieg von zwei Prozent im Jahr 1962 auf fast die Hälfte im Jahr 2009. Rund 60 Prozent der heimischen Getreideproduktion, schätzt Jungen, werden überhaupt verkauft. Den Rest lagern die Bauern auf dem eigenen Hof ein, um zu verkaufen, wenn die Preise günstiger sind als zur Erntezeit. Oder sie mischen damit ihr eigenes Viehfutter. Der Marktanteil von De Verband an der verkauften Produktion liegt laut Jungen bei rund 80 Prozent. „Viel Steigerung ist da nicht mehr möglich“, lautet deshalb die Feststellung. Den Futtermittelmarkt dominiert De Verband hingegen weniger. „50 Prozent Marktanteil“, stellt Jungen fest. Über 20 Anbieter seien auf dem Luxemburger Gebiet aktiv, meint er. „Wenn wir über die Grenzen gegangen sind, war das auch eine Art Verteidigungsstrategie. Hätten wir das nicht gemacht, wären wir schon nicht mehr da.“ Er habe den Verwaltungsrat schon vor zwölf Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass man „unser kleines Territorium in einem endlosen unkontrollierten Konkurrenzkampf nicht ewig verteidigen kann.“
Neue Kunden gewinnen will De Verband, nach einer ersten, vor zehn Jahren gestarteten Expansion in Deutschland, in Frankreich. Obwohl der Sektor dort besonders gut organisiert ist. Die Konkurrenz ist groß. „Wir nehmen jährlich 150 000 bis 160 000 Tonnen Getreidelieferungen an. Unsere Nachbarn, die Genossenschaften von Lothringen und Verdun, nehmen 700 000 beziehungsweise eine Million Tonnen an“, erklärt Jungen. Doch diese großen Strukturen, sagt er, seien nicht flexibel, könnten nicht den Service bieten, den De Verband ermöglicht. Denn statt Vertretern, die Futtermischungen wie Top Lac Hypower (Milchkühe), Babisecure (Ferkel), Lammstar Pro (Lämmer) oder Vital Poulette (Zuchthühner) allein zum Verkauf anböten, schicke De Verband ausgebildete Agraringenieure und -techniker los, die den Landwirt bei der Produktionsoptimierung berieten. Damit er nur so viel Dünger wie notwendig einsetze, zum richtigen Zeitpunkt das richtige Futter gebe. „Das ist heute so wissenschaftlich geworden...“, sagt Jungen, „aber darin liegt enormes Potenzial.“ Wie viel, zeigt die Statistik über die Entwicklung der Luxemburger Milchproduktion in den vergangenen 50 Jahren. 1962 produzierten 58 843 Milchkühe 195 360 Liter Milch. 2009 produzierte ein Drittel weniger Kühe 100 000 Liter mehr Milch. Eine Leistungssteigerung pro Kuh von 117 Prozent.
Diesen kostenlosen Beratungsservice für die Kunden biete die Konkurrenz nicht. Deshalb, sagt Jungen: „Wir rennen in Frankreich offene Türen ein. Wir werden quasi gerufen.“ Für überdimensioniert hält er die neue Anlage auch deshalb nicht, weil die dortigen Silos mit 30 000 Tonnen über 10 000 Tonnen Fassungsvermögen weniger verfügen, als die, die mittelfristig in Mersch geschlossen werden. Und in Ettelbrück und Mersch derzeit bereits insgesamt 80 000 Tonnen Futtermittel produziert würden. „Die nehmen wir mit nach Perl.“ Weil das nicht ausreiche, um die Kundennachfrage zu bedienen, kaufe De Verband derzeit bei anderen Herstellern 30 000 Tonnen hinzu, die fortan in Perl hergestellt werden. Die Futtermittelfabrik dort verfügt über eine „Mindestkapazität“ von 120 000 Tonnen, so der Geschäftsführer, wenn an fünf Tagen die Woche in drei Schichten gearbeitet werde. Er ist sich sicher, dass die Anlage gut ausgelastet sein wird, weil andere Futtermittelhersteller in Perl produzieren lassen wollen. Die Aufträge seien bereits unterzeichnet. „Diese Anlage wird Warenströme umleiten“, zitiert Jungen andere Marktteilnehmer. Möglich sei das, weil Herstellung und Vertriebsnetz strikt voneinander getrennt würden, wie Jungen unterstreicht. So kann die Fabrik für Dritte produzieren, die im Vertriebsnetz eigentlich als Konkurrenten auftreten, und so ohne aggressive Preisoffensive den Marktanteil steigern. „Eine außergewöhnliche Situation“, gesteht der Geschäftsführer.