Weinbau ohne Pestizide, geht das? Weil derzeit noch unbekannt ist, wie viele und welche Pflanzenschutzmittel in der gesamten Luxemburger Agrarwirtschaft zum Einsatz kommen, kennt man auch ihre Verwendung im Weinbau nicht. Die Branche sei „stets pflanzenschutzmittelintensiv“ gewesen, sagt Serge Fischer, Leiter des Service viticulture am staatlichen Weinbauinstitut in Remich. „Wir versuchen aber die Betriebe dahin zu lenken, Produkte mit weniger Umwelteinfluss zu benutzen.“
Wenn es um die Abwehr des Traubenwicklers geht, klappt die Lenkung schon seit Jahren. Die Nachtfalterart kommt in den Weinanbaugebieten Mittel- und Südeuropas sehr häufig vor und gilt an der Mosel als Weinschädling Nummer eins. Seine Larven befallen die Blüten und Trauben der Weinstöcke. Das mindert den Ertrag und macht die Weinbeeren anfällig für die Grauschimmelfäule, eine Pilzkrankheit, die verhindern kann, dass die Beeren reifen.
Vor hundert Jahren fuhren die Winzer gegen den Traubenwickler die große chemische Keule auf: „Da wurde Arsen gespritzt“, sagt Fischer. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg kamen Nikotin-Lösungen in Gebrauch. „Die waren ebenfalls gefährlich. Da kippten viele Arbeiter, die das Mittel auf den Rebstöcken verteilten, mit einem Kreislaufkollaps um.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg bot die chemische Industrie „Breitband-Insektizide“ an. Nicht alle stellten sich als für den Menschen derart schädlich heraus wie DDT, aber sie waren giftig für nahezu alles was kreucht und fleucht. Heutige Insektizide wirken gezielter, einen Umwelteinfluss aber haben sie dennoch.
Als Alternative propagieren in Luxemburg Weinbauinstitut und Landwirtschaftsministerium schon seit 20 Jahren die „Verwirrmethode“. Dabei werden in einem gleichmäßigen Raster über das Anbaugebiet hinweg „Dispenser“ genannte Ampullen aufgehängt, die ein Pheromon absondern. Das ist nicht giftig, sondern die synthetische Nachbildung jenes Duftstoffs, mit dem Traubenwickler-Weibchen Männchen anlocken. Die erkennen dann vor lauter Pheromon die Weibchen nicht mehr; es kommt zu dem, was die Biologie „Mating disruption“ nennt, und das Aufkommen der Traubenwickler, von denen manche in der Borke des Rebstocks zu überwintern vermögen, sinkt drastisch. „Ein Winzer kommt dann mit viel weniger Spritzmitteln aus“, so Fischer.
Falterverwirrung durch Pheromon gilt als ökologische Methode und wird auch im Bioweinbau eingesetzt. „Man darf sich nichts vormachen“, sagt Serge Fischer, „ganz ohne Pflanzenschutzmittel geht es nicht.“ Das sei nicht nur eine Frage des Ertrags, sondern ebenfalls eine der Qualität: „Vor fünfzig Jahren konnte ein Winzer es sich noch erlauben, von einer Krankheit befallene Trauben mitzuverarbeiten; der Wein wurde trotzdem getrunken. Heute geht das nicht mehr.“
Anstelle eines Insektizids einen Wirkstoff wie ein Pheromon zu nutzen, hat allerdings seinen Preis. Wie das oft der Fall ist, wenn es um die Vermeidung von Pestiziden geht, die für den Menschen oder für Kleinlebewesen besonders schädlich sind, und Alternativen zwar existieren, sich für ihren Einsatz aber die Kostenfrage stellt. 120 Euro pro Hektar erhält ein Winzer vom Staat, wenn er Pheromon-Dispenser auf seinem Weingut anbringt, was ungefähr die Hälfte des dafür nötigen Material- und Personalaufwands decke, so Fischer. Verglichen mit den Kosten bei Nutzung des billigsten Insektizids – 24 Euro pro Hektar – kommt die Verwirrmethode einen Betrieb trotz Subvention fünf Mal teurer zu stehen, aber immerhin: Auf 90 Prozent der 1 300 Hektar heimischer Weinanbaufläche werde Pheromon genutzt, bilanziert Fischer. Auf dem verbleibenden Flächenzehntel sei das technisch nur schwer oder gar nicht möglich.
Das Weinbauinstitut versuche Lösungen populär zu machen, die allen Winzern dienen – sowohl Bioweinbetrieben, deren Zahl allmählich wächst, als auch konventionell wirtschaftenden, die stärker hin zum „integrierten Ansatz“ gelenkt werden sollen, bei dem der Spitzmitteleinsatz erst zum Schluss in Frage kommt, wenn alle anderen Methoden ausgeschöpft wurden. Die neue Regierung scheint dieses Prinzip konsequenter durchsetzen lassen zu wollen als ihre Vorgängerinnen. Am 1. August gab der Regierungsrat auf seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause noch einer Verordnung grünes Licht, die den Sortenkatalog der hierzulande angebauten Weine abändern soll. Das könnte den Pestizideinsatz im heimischen Weinbau weiter verringern.
Denn ein weiterer sehr häufiger Weinpflanzenschädling ist der Mehltau, ein Pilzbefall der Reben. Eine Alternative zu Fungiziden ist eine Behandlung der Pflanzen mit einer Kupferlösung, der „Bordeaux-Brühe“, die auch Biowinzer und sogar Demeter-Winzer einsetzen dürfen. Bemerkenswerterweise aber sind Weinpflanzen unterschiedlich anfällig für Mehltau. Die in Europa traditionell angebauten Reben verfügen allesamt über keinen natürlichen Abwehrmechanismus, denn der Pilz wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus Amerika eingeschleppt. Dort jedoch gibt es pilzresistente Sorten, in der Kaukasusregion ebenfalls. Und schon vor hundert Jahren begann man in Europa zu erforschen, ob diese Sorten sich mit der europäischen Rebe Vitis vinifera zu Mehltau-festen Pflanzen kreuzen lassen, deren Wein gleichwohl schmeckt.
„Vor allem in Deutschland, der Schweiz und Österreich wurde in den letzten drei Jahrzehnten viel daran gearbeitet“, weiß Serge Fischer. In Frankreich war schon in den 1930-er Jahren mit Hybrid-Wein experimentiert worden, doch der war damals nicht gut genug. Mittlerweile aber sind „pilzwiderständige“ Rebsorten, abgekürzt: Piwi-Reben, nicht nur längst aus der Experimentierphase herausgelangt. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind sie auch als Qualitätsweinsorten zugelassen. Das Drängen dieser drei Staaten führte auch zur Abänderung der sehr auf Tradition und genetischer Reinhaltung der „Europäerrebe“ Vitis vinifera bedachten EU-Qualitätswein-Verordnungen.
Nun sollen auch in Luxemburg Weine aus Rebsorten wie Cabernet Blanc oder Johanniter die Herkunftsbezeichnung Moselle luxembourgeoise führen dürfen – die beiden gehören zu den zehn „interspezifischen“ Sorten, die die Regierung zulassen will und die zwecks Mehltau-Resistenz ausgekreuzt wurden. Um bis zu 80 Prozent lasse sich dadurch der Spritzmitteleinsatz senken, schreibt das Landwirtschaftsministerium im Motivenbericht zum Verordnungsentwurf; das hätten Versuche des Weinbauinstituts ergeben. Serge Fischer ergänzt, pro Hektar könne ein Betrieb 700 Euro an jährlichen Pestizidausgaben sparen.
Fragt sich natürlich, ob die Luxemburger Winzer in großer Zahl auf diese Sorten umsteigen. „Aber auf der deutschen Seite der Mosel wird ein Cabernet Blanc gerne getrunken“, weiß Fischer. Und er kann auf Verkostungen am Weinbauinstitut verweisen, bei denen schon Ende der 1990-er Jahre Piwi-Sorten so gut abschnitten, dass das Institut sie als Kandidaten für eine Zulassung zurückbehielt, sobald die Politik dafür reif sein würde. Heute ist sie es nicht zuletzt, weil wegen der EU-Pestizidgesetzgebung zumindest in bestimmten Gegenden das Sprühen von Pflanzenschutzmitteln per Hubschrauber in Zukunft nicht mehr erlaubt sein wird: Sind dort gelegene Weinberge so stark geneigt, dass man mit sie mit einem Traktor, der eine Spritzmaschine zieht, nicht befahren kann, führt an den Piwi-Reben kaum ein Weg vorbei.