Zwar soll die Luxemburger Steuerverwaltung die Steuererklärung von Fiat Finance and Trade (FFT) selbst korrigieren und berechnen, wie viel genau nachzuzahlen ist, nachdem die EU-Wettbewerbsbehörden am Mittwoch entschieden haben, dass FFT durch ihr Ruling von 2012 eine illegalen Staatsbeihilfe erhielt. Doch folgt man der Anleitung der Kommission, müsste FFT für die Jahre 2012, 2013 und 2014 insgesamt 25,38 Millionen Euro nachzahlen.
Grob vereinfacht macht FFT Folgendes: Der Finanzierungsarm des Konzerns leiht über Anleihen bei Investoren und via Bankkredite Geld, das er an andere Firmen der Gruppe weiterverleiht. Er sammelt auch die überschüssigen Liquiditäten der einzelnen Firmen ein, verteilt sie um und legt sie gewinnbringend an. Er verwaltet außerdem die Finanzrisiken der Gruppe, beispielsweise das Wechselkursrisiko.
Das Fiat-Ruling sah Folgendes vor: Auf Basis der von KPMG vorgeschlagenen Methodologie wurde laut Zwischenbericht der EU-Kommission eine Rendite von 6,05 Prozent auf das Kapital etabliert, die ein Aktionär bei einer Gesellschaft wie FFT erwarten würde. Hierzu wurde ein Liste mit 60 Institutionen zum Vergleich herangezogen. Dann wurde unter Berufung auf die bei den Banken angewandten Eigenkapitalregeln berechnet, wie viel Kapital FFT einsetzen muss, um seine Aktivitäten durchzuführen. Bei der Risikogewichtung sah die Methodologie vor, dass FFT kein Kreditausfallrisiko habe, weil die Konzernmuttergesellschaft ihre Filialen nicht im Stich lasse, sie also die von FFT erhaltenen Kredite immer zurückzahlen würden. So wurde, laut Zwischenbericht der EU-Kommission, ein „eingesetztes Kapital“ von 28 Millionen auf Grundlage der Zahlen von 2011 ermittelt.
Der steuerpflichtige Gewinn wird dann wie folgt berechnet: (Eingesetztes Kapital: 28 Millionen Euro) x (Rendite: 6,05 Prozent) = steuerpfichtiger Gewinn. Auf den steuerpflichtigen Gewinn wird dann der geltende Körperschaftssteuersatz angewandt, für FFT in Luxemburg 29,22 Prozent. Durch dieses Modell werden die sogenannten Transferpreise ermittelt, also wie viel die gruppeninterne Kreditvergabe von FFT an die anderen Fiat-Filialen kosten muss. Auf dieser Grundlage ergab sich für FFT laut Bilanzen für 2012 ein steuerpflichtiger Gewinn von 1,5 Millionen Euro (Steuern in Luxemburg: 459 000 Euro), für 2013 ein Gewinn von 2,334 Millionen Euro (Steuern: 682 000 Euro) und für 2014 ein Gewinn von 7,057 Euro (Steuern: 2,062 Millionen Euro).
Die Kommission kritisiert, dass die Methodologie zur Berechnung der Rendite „zu komplex und artifiziell“, dass sie realitätsfern sei. Es solle einfach ein „Marktpreis“ eingesetzt werden. Auf der Vergleichsliste steht unter anderem die Schweizer Nationalbank, und die Wettbewerbshüter gehen wohl davon aus, dass FFT nicht zu den gleichen Bedingungen operiert wie eine Zentralbank.
Zudem findet sie das eingesetzte Kapital von 28 Millionen Euro zu niedrig – das Firmenkapital betrug 2011 287 Millionen Euro. Im Vergleich zu den Aktiva von elf Milliarden Euro hätte die theoretische Kapitaldeckungsrate damit 2,5 Prozent – da müssen Banken post-Lehman-Fortis-Dexia deutlich mehr Kapital zurücklegen, um ihre Risiken zu decken. Durch diese Methodologie hätte FFT in Luxemburg 20 Mal zu wenig Gewinn versteuert, so die Kommission.
Die gesamte Entscheidung ist noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben, deshalb bleibt unklar, wie die Kommission sie im Detail begründet. Bis die ganze Argumentation vorliegt, will sich KPMG nicht im Detail äußern und sagt nur so viel: Man habe die OECD-Standards und das Luxemburger Gesetz in Sachen Transferpreisberechnung befolgt.
Damit eine Maßnahme (in diesem Fall das Ruling) in der EU als illegale Staatsbeihilfe geahndet werden kann, müssen vier Bedingungen kulmulativ erfüllt sein: Die Maßnahme muss vom Staat ausgehen und von ihm finanziert sein, sie muss dem Empfänger einen Vorteil verschaffen, sie muss selektiv und den Wettbewerb verzerren oder den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen.
Im Fall Fiat verzichtet der Luxemburger Staat nach Ansicht der Kommission auf Einnahmen und Fiat entstehe ein Vorteil dadurch, dass sich die Gruppe über FFT mit billigen Krediten versorgen kann. Worauf die Kommission am Mittwoch nicht einging, war der Umstand, dass, würden die einzelnen Fiat-Filialen sich selber teurer finanzieren, sie diese Kosten in ihrer jeweiligen Steuerheimat absetzen könnten und dadurch die Steuerlast für den Konzern insgesamt theoretisch niedriger ausfallen könnte. Auch nicht darauf, dass Fiat die von Luxemburg nachzufordernden 25 Milllionen wahrscheinlich nicht nachträglich in diesen Ländern wird geltend machen können und dadurch eine Doppelbesteuerung riskiert. Die Untersuchung der Kommission analysiert nicht, wie viel Steuern der Fiat-Chrysler-Konzern insgesamt zahlt. Sie beschränkt sich auf die Analyse der von FFT benutzten Transferpreise im nationalen Luxemburger Kontext. Deshalb fand es Margrethe Vestager am Mittwoch auch nur gerecht, dass das Geld in den Luxemburger Haushalt fließen und damit den Luxemburger Steuerzahlern zugute kommen soll. Das ist aber auch deshalb nicht ganz uninteressant, weil das Ruling auf 2012 zurückgeht, als die Luxemburger Gesetzgebung zu den Transferpreisen noch nicht den internationalen Standards entsprach, wie die Regierung vergangenes Jahr eingestand.1
Die EU-Wettbewerbshüter blieben am Mittwoch eine weitere Erklärung schuldig: Nämlich die, inwiefern die Maßnahme „selektiv“ war. Das beanstandete auch die Luxemburger Regierung in ihrer offiziellen Stellungnahme zur Entscheidung: „Luxemburg stellt bereits jetzt fest, dass die Kommission auf neuartige Kriterien bezüglich der Erteilung der angeblichen Staatshilfe zurückgegriffen hat. Vor allem hat die Kommission keinen Beweis geführt, wonach Fiat Finance and Trade ein selektiver Vorteil im nationalen Rechtsrahmen gewährt wurde.“ Mit etwas schwarzem Humor könnte man das auch so sehen: Die Europäer können dem fleißigen ehemaligen Steuerbeamten Marius Kohl nicht vorwerfen, im industriellen Stil Rulings mit aus ihrer Sicht fragwürdiger Transferpreis-Methodologie abgestempelt zu haben und gleichzeitig „selektive“ Vorteile gewährt zu haben.
Luxemburg hat zwei Monate Zeit, um gegen die Entscheidung zu klagen oder aber FFT einen neuen Steuerbescheid zu schicken.