Während der mit Hilfe von DP-nahen Steuerberatern geführten Koalitionsgespräche gab es einen sich schon im Wahlkampf bis in die CSV hinein abzeichnenden Konsens, den auf den Erträgen der Unternehmen berechneten Körperschaftssteuersatz von 21 Prozent zu senken. Allerdings unter gewissen Bedingungen, die der Direktor der Steuerverwaltung, Guy Heintz, am 29. Oktober 2013 in dem Vorschlag zusammenfasste: „diminuer le taux de la fiscalité des entreprises et l’abolition parallèle des mesures permettant une réduction sensible du taux nominal, tout en élargissant la base imposable“.
Denn im Augenblick, da die Konjunkturerwartungen unsicher blieben und Mehrwertsteuereinnahmen aus dem elektronischen Handel ausfielen, wollte die moderne Sparkoalition aus DP, LSAP und Grünen nicht schon den nächsten Steuerausfall planen. Zudem war es zu einem Zeitpunkt, da die Haushalte mit einer Mehrwertsteuererhöhung und einem Sparpaket belastet werden sollten, politisch schwierig, Steuersenkungen für die Unternehmen durchzusetzen. Also sollte die Senkung der Körperschaftssteuer ein Nullsummenspiel werden, das den schon Jahre zuvor erfundenen, sowohl dem Steuerrecht wie der Ökonomie fremden Titel des „taux d’affichage“ trug.
Die Geschichte vom „taux d’affichage“ geht so: Wenn der Wirtschaftsminister in der weiten Welt auf Prospektionsreise sei und einen Unternehmer überzeugen wolle, in Luxemburg zu investieren, müsse er sich anhören, dass der Körperschaftssteuersatz in Luxemburg höher liege als in anderen Ländern, die sich ebenfalls um Investition bewürben. Da könne der Wirtschaftsminister so gut erklären wie er wolle, dass dieser Steuersatz nur ein „taux d’affichage“ für die Vitrine sei und unter der Theke tolle Abschreibungsmöglichkeiten und Freibeträge bereitlägen – gar nicht zu reden von „negativen Steuern“, den Investitionszuschüssen –, die die tatsächliche Steuerschuld auf einen Bruchteil verringerten. Doch der durchschnittlich schlaue Unternehmer habe keine Zeit für solche Spitzfindigkeiten. Er vertraue bloß nackten Zahlen und den Computerprogrammen der Achtzigerjahre, die WYSIWYG versprachen, „What You See Is What You Get".
Also müsse man den durchschnittlich schlauen Unternehmer an der Nase herumführen: Der in die Vitrine gestellte Körperschaftssteuersatz solle gesenkt werden, aber gleichzeitig solle durch die Streichung von Abschreibungsmöglichkeitenen und Freibeträgen die Bemessungsgrundlage, auf die Steuern erhoben werden, vergrößert werden. So dass der Steuersatz zwar gesenkt worden sei, die Unternehmen am Ende aber genauso viel Körperschaftssteuer bezahlen müssten, wie zuvor – nur auf eine leichter verständliche Art und Weise. Dem Staat entgingen also keine Steuern, die Privathaushalte bräuchten nicht neidisch zu werden, und die ausländischen Investitionen nähmen zu.
Die Geschichte wird immer aus der Perspektive eines der so heiß begehrten industriellen Investoren erzählt. Aber von den rund 1 600 Millionen Euro Körperschaftssteuereinnahmen des Staates steuerte die Industrie vergangenes Jahr gerade 24 Millionen Euro bei. Die Beteiligungsgesellschaften Soparfi zahlten nach Angaben der Steuerverwaltung dagegen 447 Millionen und die Banken 355 Millionen Euro.
Trotzdem oder deshalb hatte die CSV im Wahlkampf sogar versprochen, im Fall einer Wiederwahl ein Doppelregime einführen zu wollen, nach dem die Unternehmen auswählen könnten, ob sie nach dem „taux d’affichage“ mit engen oder nach einer Flat rate mit einer erweiterten Besteuerungsgrundlage besteuert werden wollen. Denn es gibt auch Unternehmen, die sich gerade wegen der ausgedehnten Möglichkeiten des Fiscal engineering in Luxemburg niedergelassen haben. Die CSV machte sich offenbar Sorgen, dass eine transparente Körperschaftssteuer die florierende Branche der Steuerberater in den Ruin treiben würde. Während der Haushaltsdebatten vor einem Jahr machten die Konservativen der Koalition Mut, angesichts des politischen Fiaskos der Steuervorentscheide nicht mehr länger zu warten und umgehend den Körperschaftssteuersatz zu halbieren – immer noch bei einer gleichzeitigen Erweiterung der Besteuerungsgrundlage.
Beim Neujahrsempfang der DP im Januar dieses Jahres hatte Premier Xavier Bettel noch einmal betont, dass die geplante Steuerreform „neutral“ ausfallen müsse, Steuersenkungen müssten durch Mehreinnahmen kompensiert werden. Das war auch die Erklärung, welche die in Fragen der Steuergerechtigkeit empfindlichen LSAP-Mitglieder auf ihren Parteitagen zu hören bekamen. Wobei ein Teil der LSAP versucht, ihr Einverständnis zur Senkung des Körperschaftssteuersatzes mit dem Einverständnis der DP zur Erhöhung des Spitzensatzes der Einkommenssteuer zu verkaufen.
Noch vergangenen Monat sprach LSAP-Wirtschaftsminister Etienne Schneider dem sozialdemokratischen Wahlvolk aus dem Herzen, als er der Wochenzeitung Le Jeudi erklärte, wie der Körperschaftssteuersatz gesenkt werden soll, ohne dass die Unternehmen weniger zahlen müssten: „Au départ, il était question d’une ‚flat rate’, mais on semble plutôt se diriger vers un taux d’affichage à la baisse mais avec une base imposable plus grande. Le but c’est que les entreprises payent la même chose – pas moins –, mais que le taux d’affichage, qui est aujourd’hui beaucoup trop élevé par rapport à la concurrence internationale, baisse. Il faut réduire le taux pour qu’il corresponde à la réalité. S’il est de 29% aujourd'hui, le taux réel est clairement en dessous grâce aux abattements notamment. Au fond, c’est de la cosmétique pour pouvoir mieux se présenter sur le plan international et nous allons dans ce sens. Mais, pour les personnes privées, la réforme se traduira par plus de pouvoir d'achat.“
Doch das ist nun alles nicht mehr wahr. Seit die Wirtschaft dabei scheint, wieder Wachstumsraten wie vor der Krise zu erreichen, ist sich die Koalition einig geworden, dass die für die Wahljahre 2017 und 2018 entscheidende Steuerreform nicht mehr kostenneutral ausfallen müsse, sondern dass sich der Staat die Reform etwas kosten lassen darf – nicht nur bei der Einkommensteuer der Privathaushalte.
Finanzminister Pierre Gramegna (DP) erklärte am vergangenen Samstag gegenüber RTL: „Wir stellen fest, dass in den letzten zehn Jahren die Steuern bei den Privatpersonen schneller gestiegen sind und bei den Betrieben im Grunde relativ konstant blieben. Was sagt uns das? Das sagt uns, dass unsere Betriebe im Grunde nicht mehr so viel Profit machten wie vor der Krise.“ Deshalb solle man sich freuen, dass die Betriebe weiter Arbeitsplätze geschaffen hätten und immer mehr Leute Einkommenssteuer zahlten.
Doch, so Pierre Gramegna, „parallel müssen wir uns aber auch die Frage stellen, wenn die Unternehmen nicht mehr genug oder weniger Profit machen, dann muss das uns zeigen, dass wir handeln müssen. In der OECD sind wir jetzt bei der Besteuerung im obersten Drittel. Es ist ganz klar, dass das nicht mehr ganz attraktiv ist. Deshalb muss also gehandelt werden.“ Der Handlungsbedarf für eine Änderung der Körperschaftssteuer entsteht also nicht mehr aus der Notwendigkeit, den irreführenden „taux d’affichage“ mit einer kosmetischen Operation zu beschönigen, sondern aus dem Umstand, dass die Unternehmen nicht genug Profite erzielen und zu viele Steuern zahlen.
Der Minister betonte, dass diese neue Sichtweise nicht nur seine eigene oder die der DP ist, sondern mit der LSAP abgesprochen sei: „Und ich kann sagen, wie wir das auch mit Etienne Schneider ausdiskutiert haben. Es ist wichtig, dass die nominale Steuer der Unternehmen von 21 Prozent, wo sie heute ist, in Richtung 15 Prozent geht, in Richtung 15 Prozent. Wo wir dann 2017 landen, müssen wir ausrechnen im letzten Augenblick. Die Tendenz muss nach unten gehen. Unsere Konkurrenten, ich denke da an England, ich denke da an Holland, Länder, die sehr wettbewerbsfähig sind, haben auch einen solchen Trend begonnen, um herabzugehen, und wir müssen das ganz nah verfolgen.“
Also soll die Senkung des Steuersatzes nicht mehr, wie bisher angekündigt, durch die Verbreiterung der Besteuerungsgrundlage ausgeglichen werden. Der Finanzminister nimmt sogar Steuerausfälle in Kauf: „Denn eine unserer größten Stärken in Luxemburg ist, dass wir viel fremdes Kapital, fremde Investitionen und auch fremde Leute anziehen, das macht unsere Basis größer. Und wenn wir dann den Steuersatz senken und mehr Leute nach Luxemburg kommen, dann leiden wir durch diese Senkung des Steuersatzes nicht zu viel, und vielleicht kompensiert ihn das sogar.“
Die Senkung des Körperschaftssteuersatzes soll nun nicht mehr durch eine Verbreiterung der Besteuerungsgrundlage kompensiert werden, sondern durch den angebotsorientierten Zauber des Laffer-Effekts. Was so viel heißt, wie dass die Regierung keine Vorstellung von dem zu erwartenden Steuerausfall hat. Eine Senkung des Körperschaftssteuersatzes von 21 auf 15 Prozent macht fast ein Viertel aus, ein Viertel der Körperschaftssteuereinnahmen des laufenden Jahres ergäbe rund 400 Millionen Euro.
Der Staatsrat wunderte sich schon in seinem Gutachten zum mehrjährigen Haushaltwurf für 2105: „Le Conseil d’État observe avec intérêt que les recettes prévues au titre de l’impôt sur le revenu des collectivités pour 2018 dépassent de 23% le montant inscrit au budget 2014. Comme le Gouvernement s’est engagé à ne pas augmenter les charges fiscales des entreprises, cette progression ne peut s’expliquer que par l’attente d’une forte croissance économique ou d’une amélioration significative des marges bénéficiaires des entreprises.“ Dieser „Voluntarismus“ sei umso überraschender, als „l’évolution internationale actuelle remet en cause le mode de fonctionnement de certaines branches d’activité du secteur financier au Luxembourg“. Nach den Ankündigungen des Finanzministers vom Samstag dürfte sich der Staatsrat noch mehr wundern.