Übernächstes Jahr soll im Zuge der geplanten Steuerreform die Einkommensbesteuerung reformiert werden. Anders als bei der Betriebsbesteuerung gibt sich das Koalitionsabkommen aber wenig ehrgeizig, wenn es heißt, die Besteuerung der Haushalte zu ändern: der Mittelstandsbuckel soll noch immer geglättet werden, die Freibeträge und Abschläge sollen reduziert werden – vielleicht um die Glättung des Mittelstandsbuckels zu finanzieren – und die Besteuerung Verheirateter soll individualisiert werden, wenn es denn nicht zu kompliziert wird (d’Land, 2.1.15). Ein Jahr vor den Kammerwahlen soll damit selbstverständlich mehr Steuergerechtigkeit versprochen werden, was immer das heißen mag. Aber es geht auch um die Zukunft eines Einkommensteuersystems, das Teil eines Geschäfts- und eines politischen Modells ist.
Die Luxemburger Einkommensteuer, das heißt vor allem die Lohnsteuer, unterscheidet sich in manchen Aspekten von derjenigen in anderen Ländern, etwa durch die niedrigen Lohnnebenkosten der Unternehmer und den großen Unterschied zwischen der Besteuerung von Junggesellen und Ehepaaren mit Kindern. Zusammen mit einigen der höchsten Familienzulagen aller Industriestaaten ist die Einkommensteuer deshalb ein Bestandteil der Umverteilung, die immer wieder Gegenstand von Interessenkonflikten zwischen tatsächlichen und vermeintlichen Nettozahlern und Nettonutznießern ist.
Am auffälligsten ist, dass der Unterschied zwischen den Lohnkosten, die ein Unternehmen zahlen muss, und den Nettolöhnen, welche die Beschäftigten auf ihr Konto überwiesen bekommen, einer der geringsten aller Industriestaaten ist. Vom Gehalt eines verheirateten Beschäftigten mit zwei Kindern wurden vergangenes Jahr durchschnittlich 15,1 Prozent Steuern und Sozialabgaben abgeführt. In Belgien waren es dagegen 40,6 Prozent, in Frankreich 40,5 Prozent, in Deutschland 33,8 Prozent und in den liberalen USA noch 20,6 Prozent, so der nächsten Donnerstag erscheinende OECD-Bericht Taxing Wages 2015.
Dieser geringe Unterschied zwischen Lohnkosten und Nettolöhnen kommt durch mehrere Elemente zustande: Anders als in Deutschland, wo die Einkommensteuer für Familien zwar niedriger, aber die Sozialabgaben höher sind, sind die Sozialabgaben, die Unternehmer und Versicherte zahlen müssen, hierzulande gering. Anders als in Belgien oder Frankreich, wo die Unternehmer deutlich höhere Sozialabgaben zahlen müssen als die Versicherten, zahlen die Luxemburger Unternehmen nicht mehr Sozialversicherungsbeiträge als die Versicherten. Hinzu kommt schließlich, dass die Familienzulagen und anderen Zuschüsse zu den höchsten aller Industriestaaten zählen, was das verfügbare Einkommen der Niedrigverdiener und teilweise auch der Verdiener mittlerer Einkommen merklich erhöht und gleichzeitig den Unternehmen zusätzliche Lohnkosten erspart.
In anderen Ländern, wo die Steuern und Sozialabgaben doppelt so hoch sind, müssen die Unternehmer weit tiefer in die Tasche greifen, um vergleichbare Nettolöhne bieten zu können. Das ist ein wichtiger Standortvorteil vor allem für lohnintensive Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Luxemburg ist ein Hochlohnland – aber zu einem wichtigen Teil durch staatliche Zuschüsse.
Diese Rechnung geht nur auf, weil der Staat einen hohen Anteil der Beiträge für Kranken-, Alters-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung aus der Staatskasse, das heißt aus dem Steueraufkommen, zuschießt. Zudem verhindern Abgaben, die auf verschiedenen Aktivitäten und gesellschaftsrechtlichen Fiktionen des Finanzplatzes erhoben werden, dass diese Fiskalisierung der Sozialversicherung zu dänischen Verhältnissen führt, wo die Unternehmer keine Sozialbeiträge zahlen, aber dafür die Einkommenssteuern die höchsten aller Industriestaaten sind.
In Zeiten sparsameren Haushaltens stößt dieses Einkommensteuersystem allerdings langsam an seine Grenzen. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise, seit 2009, stieg der Unterschied zwischen Lohnkosten und Nettoeinkommen eines durchschnittlichen Lohnabhängigen der Steuerklasse 1 in Luxemburg um 3,7 Prozentpunkte, während er in der ganzen OECD um 0,9 Prozentpunkte gesenkt wurde. Das dürfte die Folge der verschiedenen Spar- und Steuerpakete der aktuellen und der vorigen Regierung sein. Wenn die Finanzierung dieses Einkommenssteuermodells enger wird, nimmt automatisch auch die Tendenz zur Entsolidarisierung zu: Anders als der Index sollen niedrige Lohnnebenkosten zwar eine „heilige Kuh“ des Luxemburger Modells bleiben, die auch bei der Reform der Einkommensteuer nicht geopfert werden soll. Doch die die Rufe werden lauter, dass das nicht mehr durch eine Umverteilung von Steuern, sondern durch eine Senkung der Kaufkraft gewährleistet werden soll, wenn beispielsweise die Unternehmensbesteuerung reformiert wird.
Eine zweite Eigenart der Einkommensteuer ist der große Unterschied zwischen der Steuerlast der Junggesellen und der verheirateten Lohnempfänger mit Kindern, laut Berechnungen der OECD in Taxing Wages 2015 einer der größten aller Industriestaaten. Von den Lohnkosten für Junggesellen wurden vergangenes Jahr 37,6 Prozent an Steuern und Angaben abgeführt, gegenüber 15,1 Prozent bei verheirateten Einzelverdienern mit zwei Kindern. Während ein Junggeselle mit einem Durchschnittseinkommen eine Steuerlast von 29,9 Prozent trug und damit über dem OECD-Durchschnitt lag, sank die Steuerlast eines verheirateten Durchschnittsverdieners mit zwei Kindern unter Berücksichtigung der Zulagen und Freibeträge für Familien auf 4,6 Prozent, ein Drittel des OECD-Durchschnitts von 14,8 Prozent.
Diese Bevorzugung der Ehepaare und Benachteiligung der Junggesellen ist das Relikt einer CSV-Familienpolitik, die im Gegensatz zur sozialstaatlichen vertikalen Umverteilung von Reich zu Arm eine horizontale Umverteilung von Junggesellen zu Familien bevorzugt. Sie scheint heute um so mehr überholt, als viele Paare unverheiratet zusammenleben und deshalb wie Junggesellen besteuert werden.
In ihren Wahlprogrammen hatten die DP und die Grünen als Parteien der leistungsfreudigen Mittelschichtler beiderlei Geschlechts eine Abkehr von der gemeinsamen Veranlagung von Ehepaaren mit Ehegattensplitting und die Einführung der Individualbesteuerung versprochen. Da die LSAP aber nicht ganz von der traditionellen Hausfrauenehe abkehren wollte und die Steuerverwaltung vor den Schwierigkeiten bei der Einführung der Individualbesteuerung warnte, verspricht das Koalitionsabkommen lediglich, die Frage zu prüfen. Doch die Einführung der Individualisierung würde auch das Ende der großen Unterschiede bei der Besteuerung von Junggesellen und Verheirateten bedeuten.
Wenn die Individualisierung der Einkommensteuer aber nicht von einer geschickten und wahrscheinlich kostspieligen Umgestaltung der Einkommensteuertabelle begleitet wird, droht deren Progression vielen DP-, LSAP- und Grünen-Wählern schmerzhafte Steuererhöhungen zu bescheren. Ein Wagnis, das die Regierung ein Jahr vor den Wahlen und angesichts einer CSV, die sich zur leidenschaftlichen Verteidigerin der Familie aufspielen würde, nicht unbedingt eingehen will. Insbesondere da DP-Finanzminister Pierre Gramegna nicht müde wird zu betonen, dass der Spielraum für die Einkommensteuerreform „ganz klein“ sei und sie eigentlich ein Nullsummenspiel werden müsse.