Die politischen Feinde der Bauernzentrale sind nach wie vor die „Ökolobby“ und die grüne Umweltministerin Carole Dieschbourg. Seit Monaten schreibt der mitgliederstärkste Bauernverband in seiner Verbands-Wochenzeitung De Letzeburger Bauer gegen sie an. Vergangenen Freitag fielen erneut starke Worte: „verwerfliche Einschüchterungstaktik“ und „leere Versprechungen“ etwa. Es geht noch immer um Biotope, die auf Äckern und Weiden liegen, und ob ein Bauer sie unbedingt schützen muss oder eventuell zerstören darf. „Vor Jahren“, klagte die Bauernzentrale, sei ihr „klar versprochen“ worden, dass ein Landwirt, der sich mal bereit erklärt hatte, im Rahmen eines Agrar-Umweltprogramms ein Biotop zu schützen und dafür eine Prämie aus dem Landwirtschaftsministerium kassierte, die betreffende Fläche nach Auslaufen dieses Programms wieder „in den ursprünglichen Zustand versetzen“ dürfe. Soll heißen: Er könnte das Biotop dann zerstören.
Was das bedeutet, muss nicht nur jede Öko-Seele beunruhigen. Biotope zu zerstören ist laut Naturschutzgesetz verboten und politischer Kampf dagegen eigentlich ziemlich müßig. Aber wenn vor Jahren versprochen wurde, es könne Ausnahmen geben, dann müssen unter früheren Umweltministern gesetzliche Bestimmungen offensichtlich dehnbar gewesen sein.
Das ist der Hintergrund, vor dem die beiden grünen Minister François Bausch und Carole Dieschbourg und Staatssekretär Camille Gira im nun von ihnen geführten Nachhaltigkeits- und Infrastrukturministerium agieren. Der Regierungswechsel vor neun Monaten verhalf den Grünen zur Verantwortung in ihren Leib-und-Magen-Ressorts: Transport, Landesplanung und Umweltschutz. Fehlte nur noch, Étienne Schneider von der LSAP wäre bereit gewesen, die Zuständigkeit für Energiepolitik ebenfalls an die drei Grünen zu übertragen.
Doch auch mit den Kompetenzen, die sie haben, machen sie in dem nach den Wahlen von 2009 auf Wunsch der CSV geschaffenen „Superministerium“ eine ziemlich gute Figur. Vor allem Dieschbourg und Gira, denn unter CSV-Führung war das früher eigenständige Umweltministerium zu einer von vier Abteilungen im neuen Nachhaltigkeitsministerium degradiert und Marco Schank lediglich „delegierter Nachhaltigkeitsminister“ neben dem eigentlichen Ressortchef Claude Wiseler geworden. Heute ist „die Umwelt“ zwar nach wie vor nur eine Abteilung, aber Carole Dieschbourg immerhin Umweltministerin. Und während 2011 nicht nur die Präsidentin des Mouvement écologique, Blanche Weber, feststellte: „Die Umwelt wurde geschwächt“, sondern auch Lucien Lux, damals Fraktionschef von Koalitionspartner LSAP, meinte: „Das ist alles lau und ungefährlich geworden, es gibt keine klaren Worte mehr“ (d’Land, 16.09.2001), muss man nun den Eindruck haben, dass Carole Dieschbourg, obwohl Regierungs-Newcomerin, Umweltbelangen wieder zu einer Stimme im Chor ihrer Kolleginnen und Kollegen im Kabinett verholfen hat.
Dass das funktioniert, liegt auch an öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen wie der mit der Bauernzentrale, bei der es gar nicht um umweltpolitische Innovationen geht, sondern um die Einhaltung geltenden Rechts. Wie die Dinge liegen, hatten vier Jahre CSV-Zuständigkeit für das Umweltressort, das bis 2009 stets LSAP- oder DP-geführt war, dessen in den Klientelismus des CSV-Staats zur Folge. Dass man sich in Agrarkreisen erzählt, der eigentliche Landwirtschaftsminister der vorigen Regierung sei nicht der Sozia-list Romain Schneider, sondern Marco Schank gewesen, wird seine Gründe haben. Auf jeden Fall pflegte Schank enge Kontakte zu Bauern, die in Grünzonen nicht nur Ackerbau und Viehzucht und dazu einem Stall betreiben, sondern auch noch ein Wohnhaus errichten wollten. Die so genannten „Aussiedlerhöfe“ genehmigte keine Verwaltung in der Umweltabteilung des Nachhaltigkeitsministeriums anhand von einheitlich für alle geltenden Regeln, sondern der delegierte Minister à la tête du client. Was nur eine von vielen möglichen Illustrationen dafür ist, dass die CSV-nahe Bauernzentrale in Wirklichkeit politischen Einflussverlust beklagt, wenn sie von nicht eingehaltenen Versprechen aus den letzten Jahren spricht.
Neun Monate nach der Amtsübernahme in der Umweltabteilung mit Ministerin und Staatssekretär haben Dieschbourg und Gira vor allem im eigenen Haus innoviert. Ein Organigramm wurde geschaffen. Strategiesitzungen, die es im letzten eigenständigen Umweltministerium unter dem Sozialisten Lucien Lux noch gab, in der Umweltabteilung unter Schank dagegen höchstens ad-hoc, finden nun wieder regelmäßig statt. Beamte sind froh, dass sie ihren genauen Aufgabenbereich kennen – und dass ihre Ministerin bisher politisch noch nicht „umgefallen“ ist. In erster Linie geht es unter Dieschbourg und Gira professioneller zu als früher.
Das muss auch so sein. Luxemburg hat zum Teil erhebliche „Umweltschulden“ angehäuft. Selbst wer nicht allzu sensibel auf Berichte über schwindende Artenvielfalt reagiert, oder über Wasserläufe und Trinkwasserquellen im „schlechten“ Zustand oder über steigende Luftbelastung, wird wach, wenn der Staatskasse deshalb Strafzahlungen drohen, weil der Europäische Gerichtshof Luxemburg wegen nicht eingehaltener EU-Umweltvorschriften verurteilen könnte. Sei es der Biotop-Schutz oder der von Trinkwasserquellen, oder sei es die steigende Belastung der Luft vor allem durch Stickoxide aus Dieselmotoren: Weitere Säumigkeit in diesen Bereichen würde schon in ein paar Jahren ähnlich Geld kosten wie die Rückstände im Kläranlagenbau, wegen denen der Staat seit vergangenem Dezember jeden Tag, der bis zur Konformität mit den EU-Regeln vergeht, 2 800 Euro an die EU-Kasse abführen muss und kurz vor Weihnachten eine Einmalzahlung von zwei Millionen leisten musste.
Solche Zwänge machen Umweltpolitik im blau-rot-grünen Kabinett natürlich einfacher. Einer von Dieschbourg geführten Arbeitsgruppe, die sich um die Luftreinhaltung kümmert, um eine Verurteilung im Jahre 2018 zu verhindern, sitzen auch Vertreter des Wirtschafts- und des Finanzministeriums bei. Dass die Umweltverwaltung und das Wasserwirtschaftsamt trotz aller Spar-zwänge personell aufgestockt werden, war koali-tionsintern ebenfalls keine Frage: Unter CSV-Mann Jean-Marie Halsdorf, zu dessen Innenministerium das Wasserwirtschaftsamt bis 2013 gehört hatte, waren neue Posten eher an Polizei und Zivilschutz gegangen als ans Wasserwirtschafts-amt. Dass unter Dieschbourg und Gira schon bald eine neu organisierte Umweltverwaltung ihre Arbeit aufnimmt, geht dagegen auf Vorarbeiten schon unter Schank zurück.
Der zunehmende Umwelt-Professionalismus im Héichhaus auf dem Kirchberg gefällt den Unternehmerverbänden. Politische Zusammenstöße mit ihnen gab es bisher keine – sieht man davon ab, dass vor allem größere Industriebetriebe sich eine weiter reichende Reform der Regeln für Kommodo-Betriebsgenehmigungen gewünscht hatten, als sie im Omnibusgesetz zur Verwaltungsvereinfachung jetzt vorgesehen sind – „versprochen“ worden war das unter der vorigen Regierung von Wirtschaftsminister Étienne Schneider.
Dass noch Frieden herrscht zwischen Wirtschaft und Umwelt, hat mehrere Gründe. Zum einen war noch keine Gelegenheit, sensible Dossiers anzufassen, bei denen es um mehr geht, als EU-Vorschriften hinterherzueilen. Zum anderen sind alle vier grünen Regierungsmitglieder froh, wenn die Wirtschaft wächst. Und schließlich predigt die neue, politisch unverbrauchte Stimme für die Umwelt, Carole Dieschbourg, die frühere Unternehmerin, keinen Verzicht, sondern spricht von gesellschaftlichen Win-win-Situationen, von einer Umweltpolitik, die spannend sein soll – und die Kooperation mit der Wirtschaft sucht.
Solchen modernen und gar nicht unternehmerfeindlichen Umwelt-Diskursen widersprechen auch die Koalitionspartner nicht. Die aus der um ein ökologisches Profil seit Jahren bemühten DP sowieso nicht: Alle Versuche von CSV und Bauernzentrale, den DP-Landwirtschaftsminister gegen die Umweltministerin aufzubringen, schlugen bisher fehl. Étienne Schneider und seine Nachhaltigkeits-Kabinettskollegen arbeiten im Energiebereich zusammen: Im Ösling sollen neue Windparks entstehen, im ganzen ländlichen Raum mehr Biomasse-Anlagen, und große Solarstromanlagen nun doch wieder besser zu fördern, ist Schneider einverstanden, sofern sie von Genossenschaften betrieben werden. Freilich sind Dieschbourg und Gira im Gegenzug bereit, darüber nachzudenken, wie man verhindern kann, dass durch die Grünstrominitiativen der Strompreis für energieintensive Betriebe zu stark steigt.
Was aber nicht heißt, dass es kein Konfliktpotenzial gebe. Dass die neuen Chefs im Nachhaltigkeitsministerium auf so viel Unerledigtes ihrer Vorgänger gestoßen sind, hat auch damit zu tun, dass diesen durch die vorgezogenen Neuwahlen und die Srel-Affäre über ein Jahr an Amtszeit verloren ging und ein Endspurt vor den Wahlen nicht möglich war: Im Schatten der Srel-Affäre herrschte ab Anfang 2013 politisch in quasi allen Ressorts Stillstand. Dafür erwartet Luxemburg nächstes Jahr eine EU-Präsidentschaft, in die ein Weltklimagipfel in Paris fällt, auf dem vielleicht ein neues internatio-nales Abkommen geschlossen werden soll: Wie der Klimaschutz hierzulande bis 2020 und darüber hinaus aussehen könnte, ist noch nicht entschieden, müsste jedoch, wenn Luxemburg in Paris die Position der EU moderieren will. Die eigene Position zu finden, stellt die Regierung unweigerlich vor den Spritexport als umwelt- und haushaltspolitisches Problem. Eine Studie dazu wird nun angefertigt; abzuwarten bleibt aber, ob am Ende womöglich festgestellt wird, dass der Tanktourismus vorerst unverzichtbar sei und jede Debatte des Themas erst einmal unterbleiben kann.
Noch dieses Jahr politisch auf die Probe gestellt werden die grünen Umweltschützer in der Regierung, wenn alle Stellungnahmen zu den vier Plans sectoriels über die Raumplanung abgegeben sind – von Bürgern, Gemeinden und allen möglichen Fachgremien und Interessengruppen. Denn wenngleich die Arbeiten an den Plänen schon vor Jahren begannen – die am Transportplan schon 2002 unter der CSV-DP-Regierung –, sind es die Grünen, die nun Konzepte mitverantworten, die den Rahmen dafür schaffen sollen, dass das Luxemburger BIP bis 2030 um jene vier Prozent wachsen kann, an die Déi Gréng bald nicht glaubten oder sie bald für zu viel hielten. Verbänden wie dem Mouvement écologique und Natur an Ëmwelt aber ist schon aufgefallen, dass in den Prüfberichten über die Umweltverträglichkeit neuer Wohngebiete oder jener Straßen, die zu bauen auch François Bausch für unverzichtbar hält, sehr oft zu lesen steht, das jeweilige Vorhaben werde einen negativen Umwelt-impakt nach sich ziehen, sei jedoch alternativlos. Weshalb, werden Dieschbourg und Gira erklären müssen. Gelingt ihnen das nicht, sähe es so aus, als ginge auch unter grüner Führung im Nachhaltigkeitsministe-rium die Schwächung der Umwelt weiter.