Am Empfang herrscht meist geschäftiges Kommen und Gehen. Besucher mit Aktentaschen lassen sich vom Sicherheitspersonal einchecken, an den Wänden zeigen digitale Bildschirme an, in welchen Sitzungsräumen welche Treffen stattfinden. Die Atmosphäre ist die eines mittelständigen bis größeren Unternehmens. So in etwa wird das Wirtschaftsministerium in der Zwischenzeit auch geführt. Auf über 200 ist die Zahl der Mitarbeiter im Laufe der Jahre angewachsen. Das Ministeriumsgebäude, vor wenigen Jahren aufwendig renoviert, das am Boulevard Royal quasi eine Festungsmauer um die Oberstadt legt, ist auch Sinnbild dafür, das diese Adresse immer mehr zum politischen Gegengewicht der Rue de la Congrégation wird.
Denn in den Koalitionsverhandlungen hat Etienne Schneider (LSAP) nicht nur einen Staatssekretärsposten für die ehemalige RTL-Redakteurin Francine Closener (LSAP) herausgeschlagen. Ihm ist auch gelungen, was sein Amtsvorgänger und Mentor Jeannot Krecké (LSAP) während seiner Amtszeit als Wirtschaftsminister nicht geschafft hatte: Die Ressorts Mittelstand und Tourismus zurück ins Wirtschaftsministerium zu holen. Trotzdem nennt sich Schneider schlicht „ministre de l’économie“ – die Ressorts Außenhandel, Energie, Mittelstand und Tourismus hat er gestrichen. An langen, aufwendigen Titeln liege ihm nicht viel, sagt Schneider. Falsche Bescheidenheit? Wer in den vergangenen Wochen in Schneiders Vorzimmer im 12. Stock auf seinen Termin wartete, begegnete dort allerlei Militärs in messerscharfen Bügelfalten und mit extravaganten Medaillen, Kordeln und Pompons dekoriert. Dass auch diese Exoten im Wirtschaftsministerium ein und aus gehen, ist ebenfalls Ergebnis des Geschachers bei der Regierungsbildung, wo Schneider die Ressorts für Verteidigung und innere Sicherheit an sich nahm, sowie den Titel als Vize-Staatsminister.
Um diese breite Themenpalette sowie die Aufgabenteilung zwischen Minister und Staatssekretärin zu meistern, hat sich das Wirtschaftsministerium eine neue Struktur gegeben. Schneider und Closener haben, beziehungsweise sind dabei, ein fünfköpfiges Kabinett zu bilden: Tom Theves kümmert sich um alles, was „nationalen“ Charakter hat, Sasha Baillie ist für Dossiers mit internationaler Ausrichtung zuständig. Unterstützt werden sie von Judith Meyers, bislang für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, ein „Junior Assistant“ werde noch rekrutiert, sagt Schneider. Ab dem Herbst ist auch Paul Zenners Teil der Kabinettsmannschaft. Er soll die Kommunikation aller Departements und Ressorts koordinieren und vereinheitlichen. Zenners, ebenfalls ehemaliger RTL-Redakteur, war vor seinem Wechsel zur Staatsbeamtengewerkschaft CGFP bereits im Wirtschaftsministerium tätig.
Die Rekrutierung von Sasha Baillie ist ein Paradebeispiel dafür, wie Schneider vorgeht. Seine „absolute Wunschkandidatin“ hat er dem Außenministerium abgeworben, wo Baillie zuletzt die Abteilung für wirtschaftliche Beziehungen und europäische Angelegenheiten leitete. In der diplomatischen Hierarchie hat sich Baillie hochgearbeitet und einen hervorragenden Ruf aufgebaut. Sasha Baillies Ministeriumswechsel dürfte, kurz vor der Luxemburger Ratspräsidentschaft 2015, im Hôtel St. Maximin nicht unbedingt für Freude gesorgt haben. Jean Asselborns (LSAP) Verlust ist ein Gewinn für das Schneider-Closener-Kabinett. Dass umgekehrt der diplomatische Dienst zunehmend zur Handelsvertretung wird, ist eine Entwicklung, die schon unter der Regierung Juncker-Asselborn-I begann. Mit der Besetzung diplomatischer Posten durch Beamte des Wirtschaftsministeriums, beispielsweise in China, wurde sie unter Etienne Schneider konsequent fortgesetzt.
Damit dass er, Closener und Baillie sich alle seit Schul- und Universitätszeiten kennen, habe die Personalwahl nichts zu tun, unterstreicht der Wirtschaftsminister. Wenn man nur Leute rekrutieren dürfe, die man nicht kennt, stelle man in Luxemburg überhaupt niemanden mehr ein, meint er. Während seiner ersten Amtszeit hat er auf ähnliche Weise Claude Strasser an die Spitze der Post gebracht und die ehemalige Direktorin von Luxair Cargo, Hjoerdis Stahl, ebenfalls für die Post abgeworben. Die Führung des Polizeikorps, wegen der Bombenleger-Untersuchung in der Kritik, wird durchgeführt, sobald das Parlament offiziell informiert ist...
Dass diese Art von Kabinett in der Luxemburger Staatsbeamtenhierarchie gar nicht vorgesehen ist, hatte nach dem Regierungswechsel im Finanzministerium zur Polemik um die dortige ehemalige Kabinettschefin von Luc Frieden (CSV), Sarah Khabirpour, geführt. Als „politische“ Beamte sieht Schneider sein Beraterteam indes nicht. „Sie treffen keine politischen Entscheidungen, ohne vorher mit mir Rücksprache zu nehmen“, sagt der Minister. Parteizugehörigkeiten spielten dabei keine Rolle, behauptet er. Für ihn zähle die „Loyalität“. Tatsächlich ist die „politische Säuberung“ nach dem Machtwechsel im Mittelsstandsministerium angesichts der Umstaände vergleichsweise unaufgeregt verlaufen. Der ehemalige leitende Beamte des Mittelstands- und Tourismus-Ressorts, CSV-Kandidat Pierre Barthelmé, gegen den ein Disziplinarverfahren wegen des Verdachts der Nutzung öffentlicher Daten und Mittel zu Parteizwecken läuft, ist zum Konkurrenzrat gewechselt.
Wegen der Vielfalt an Ressorts sind die viel gerühmten „kurzen Wege“ ins Ministerbüro etwas länger geworden. Ganz so einfach ist es für Firmenchefs und Wirtschaftslobbyisten nicht mehr, im Ministerbüro vorstellig zu werden. Der Terminkalender ist „drei, vier Monate“ im Voraus ausgebucht, sagt Schneider am Telefon, zwischen Terminen und Messebesuch im türkischen Izmir. Als die Handwerker und Mittelständler im Frühjahr zur ersten Sitzung ihres mit Ungeduld erwarteten eigenen Hohen Komitees antraten, wurden sie zu ihrer Überraschung von Closener statt von Schneider empfangen. Hatten die beiden ursprünglich vor, alle Aufgabenfelder gemeinsam wahrzunehmen, beschlossen sie noch vor dem Sommer, dass sich die Staatssekretärin primär um den Mittelstand und den Tourismus kümmert, der Minister um alles andere. Wenn das zeitlich nicht aufgeht, nehmen sie gegenseitig die Termine des anderen wahr. So nimmt Schneider am Nationalfeiertag die Militärparade ab. Closener testet beim Truppenbesuch das Waffenmaterial. Sie besucht Kasematten, begeht Wanderwege und verteilt Handwerkerdiplome. Gemeinsam mit Staatsminister Xavier Bettel (DP) inspizieren sie und Schneider das Militärmuseum in Diekirch – Teamgeist vor der Kamera.
Organisiert wird das alles von Theves und Baillie, unter denen es nach dem Modell von Außenministerium oder EU-Kommission acht straff organisierte „DGs“, Generaldirektionen, gibt: Mittelstand und Unternehmertum; Binnenmarkt und Regionalpolitik; Industrie, Logistik und Infrastrukturen; Wettbewerbsfähigkeit; Außenhandel und Investitionen; Energie; Forschung, geistiges Eigentum und neue Technologien und Tourismus. Erste Anlaufstelle für ihre GeneraldirektorInnen ist statt dem Minister nun erst einmal das Kabinett. Aus der Fusion von Mittelstands- und Wirtschaftsministerium verspricht sich Etienne Schneider eine „Wirtschaftspolitik aus einem Guss“. Wie sich das zeigt? Konkret soll das in erster Linie dazu führen, dass die Vielfalt an Beihilfen für große und kleine Firmen vereinheitlicht wird – „gleiche Bedingungen für alle“, kündigt er an.
Vielleicht wird diese Fusion ihre Wirkung eher nach außen als nach innen entfalten. Ob Schneider eine Fusion von Handels- und Handwerkskammer anstrebt. „Ja.“ Dass erstere Millionenbeiträge von den Mitgliedern kassiere, während letztere mit Millionenbeträge subventioniert werden müsse, findet er „nicht mehr zeitgemäß“. Die Mitarbeiter der Berufskammern dürfen demnach anfangen sich zu fragen, wie viele Doppelbesetzungen es gibt, wenn die Organigramme von Handels- und Berufskammer übereinandergelegt werden – sicherlich eine ungewohnte Situation für Arbeitgebervertreter, der sie sich, den eigenen Effizienz- und Sparaufforderungen zum Trotz, wahrscheinlich nicht kampflos ergeben werden.
Es ist aber nicht das erste Mal, dass sich Etienne Schneider mit den Arbeitgebervertretern, ihren Kammern und Lobbyverbänden anlegt. Die Index-Verhandlungen, bei denen die Regierung ihnen nach dem Motto „take it, or leave it“ vorschlug, das Index-System nicht zu modulieren, wenn es nicht mehr als fünf Index-Tranchen binnen fünf Jahren geben werde, war für die Lobbyisten ein Schock. So hatten sie sich das von einer Regierung mit DP-Beteiligung nicht vorgestellt – die Liberalen hatten in ihrem Wahlprogramm noch versprochen, die von den Arbeitgebern geforderte „generelle Desindexierung“ der Wirtschaft zu analysieren. Eine traumatische Erfahrung, aus der sie schlussfolgerten, dass der wirkliche Nachfolger des politischen allgegenwärtigen Übervaters Jean-Claude Juncker Etienne Schneider heißt.