„Lorem ipsum dolor sit amet“ – so lautet der Anfang eines Alibitextes in fingiertem Latein, den Grafiker beim Layout als Platzhalter verwenden. Dieser Text bedeutet rein gar nichts, auch wenn sein Ursprung eine Passage bei Cicero und das „Lorem“ einmal ein „dolorem“ gewesen sein soll. Es erscheint daher wie ein ungünstiges Omen, wenn eine Schleife aus „Lorem ipsum“-Fülltext für die Covergestaltung eines Romans mit literarischem Anspruch herhalten muss.
Looss den Doudege schwätzen beginnt mit einem Spaziergang des Protagonisten am Rand der Alzette, die patriotisch „duerch d’Wisen [zitt]“, nicht weit von einer Stadt namens „Sauerbrécken“ entfernt. Gérard Thill ist 36, verheiratet, deprimiert und blickt auf die Veröffentlichung von drei erfolglosen Romanen zurück. Grund genug für einen ausgewachsenen taedium vitae: „Wouzou dat Ganzt? Firwat sech ëmmer erëm duerch deeselwechten Zyklus duerchkämpfen?“ Bevor der Leser erfährt, welcher Zyklus gemeint sein könnte und was genau der „Bullshit“ ist, bei dem Thill aus Mangel an Prätention nicht mitmachen zu können glaubt, fällt der Protagonist um und erwacht im Krankenhaus. Der Arzt teilt ihm mit, seine Tage seien gezählt, er leide an einer unheilbaren Krankheit. Welche Krankheit? Das bleibt das Geheimnis des Autors; die Figur interessiert es nicht. Zwar verfügt Thill im weiteren Verlauf über ein Pillendöschen, aus dem er sich ausgiebig bedient, nicht aber über Symptome.
Schmerzen hat er immerhin – oder vielmehr den Schmerz, der ihm zu einem ungeahnten Ausbruch von kreativer Energie verhilft: „Jiddereen, deen e Buch schreift [...], weess, wat fir eng Péng sech dohannert verstoppt.“ In einem Anflug von Naivität und Größenwahn meldet sich Thill umgehend bei seinem Verleger und fordert einen Freischein für seinen vierten Roman. Begründung: „Lauschter, ech muss mir e Monument setzen.“ Die verständliche Skepsis des Mannes angesichts dieser kolossalen Dümmlichkeit wird mit „Kallef“, „Topert“ usw. weggebürstet. Ein Buch muss es durchaus noch werden. Worüber, fragt der an seiner finanziellen Grundlage vielleicht nicht uninteressierte Verleger, und in welcher Sprache? Das weiß Thill leider noch nicht.
Darüber zu jammern, dass man sich in einem Roman verewigen will, ohne zu wissen, was man schreiben soll: Das ist wirklich schlimm. Da kann man nur ganz viel Bier trinken und sich mit einem mysteriösen Doppelgänger von Charles Bukowski (der Autor nennt ihn auch „Bukowsky“) unterhalten, der sich als Thills „größter Fan“ präsentiert, wie ein Geist an den unmöglichsten Orten auftaucht und Thill generell dazu rät, Vertrauen in sein eigenes Schreiben zu setzen, die Kritikerbagage zu vergessen. Zu den Ermunterungen vom literarischen Vorbild kommt die Rettung vor der Sinnkrise. Ein Freund liefert das perfekte Thema für den neuen Roman: Thill solle das tun, „wat all Schrëftsteller mécht, dee keng Iddie méi huet: Schreif iwwert d’Schreiwen“. Der Plan gefällt Thill, der eine Marktlücke auf dem luxemburgischen Literaturmarkt wittert (zu stark auf den Zweiten Weltkrieg und die Migration fokussiert, wie jeder weiß). Der Erfolg lässt nicht auf sich warten. Tag eins: Themenfindung, Ausarbeitung des Plots, Charakterisierung der Figuren. Tag zwei: Schreiben. Schon nach dem ersten Schreibtag liest Thill vor fünfzig begeisterten Zuhörern die ersten Seiten seines Manuskripts, in denen bereits viel „Péng“ sticht, denn die ist offenbar der Kern des kreativen Prozesses, von dem weder die Leser noch die Kritiker, „d’Hyäne vum Literaturbetrib“, eine Ahnung haben.
Ob einer derart fragwürdigen Poetologie ein ähnlich fragwürdiger Plot entspringt, lässt sich nicht überprüfen. Über den Inhalt seines Romans verrät der Erzähler so gut wie nichts. Dem Leser schwant, dass hier ein selbst-referentielles Konstrukt aufgebaut wird, in dem das Buch, das im Roman geschrieben wird, das Buch ist, das er, der Leser, in den Händen hält. Aber was passiert in diesem Buch? Ein Autor erhält eine schockierende Diagnose, verfällt einem inhaltsleeren Geltungsdrang, betrinkt sich täglich, beschimpft seine Freunde, betrügt zwischendurch seine Frau mit einem Cam-Girl und gibt am laufenden Band heillose Plattitüden (noch dazu in schlechtem Luxemburgisch) über das Schreiben von sich. Gérard Thill ist wahrlich ein Idiot vor dem Herrn, der aufgrund seiner Bukowski-Imitation, eines seltsamen Auftritts in den sozialen Medien und einer Affäre mit einem Sex-Video irgendwie kurzzeitig durch die Medien geistert, was ihn zur Selbsteinschätzung führt, „e bekanntent, jo berüchtegt Element vun der Lëtzebuerger Literaturzeen“ zu sein. Am Ende ist sogar der Verleger überzeugt, das Buch müsse zum Bestseller werden. „Wat zur Hell“, möchte man mit der Figur seufzen. Wenn es nicht klappt, sind bestimmt die Kritiker schuld.