Schulheftgröße, abgerundete Ecken, kariertes Papier und eine kitschige Schreibschrifttype. Über den Buchdeckel zieht sich unterhalb des Titels der breite Schriftzug „Bommeleeër“, der nicht Teil des Titels ist, während die Zeichnung einer Bombe – bestehend aus einer schwarzen Halbkugel mit zündschnurförmigem Wurmfortsatz – das untere Drittel einnimmt. Zweifellos ist diese Aufmachung nicht besonders subtil, was die Hinweise auf das Thema anbelangt, das unter dem Titel Codenumm Melusina verhandelt werden soll. Die vorangestellte Beteuerung der Autoren, ihre Geschichte sei rein fiktiv und „all Bezuch zu reell existéierenden oder verstuerwene Persounen [...] reng zoufälleg“ (S. 6) ist allerdings so flagrant unaufrichtig, dass sie wohl ironisch gemeint sein soll. Natürlich sind Kontexte und Zusammenhänge dieser Geschichte nicht frei erfunden, sondern ganz eng an die Begebenheiten angelehnt, die seit etlichen Monaten aus der luxemburgischen Öffentlichkeit nicht mehr wegzudenken sind.
Der Versuch des Buches besteht darin, anhand eines fiktiven Tagebuchs eine Innenansicht der damaligen Attentäter zu vermitteln, sich ihren Motiven, Planungen, Überzeugungen und Zweifeln anzunähern. Dazu bräuchte es keine erzählerischen Verrenkungen, schließlich basieren sich Annemarie Kohn und Pierre Heinen auf Ereignisse der wirklichen Welt, die sie bis in Details rekonstruiert haben, um einen authentischen Handlungsverlauf zu garantieren. Doch abermals manifestiert sich, noch bevor es richtig losgeht, ein gestörtes Verhältnis der Autoren zur Fiktionalität. Die Erzählung beginnt nämlich nicht mit dem ersten Tagebucheintrag, sondern mit dem inneren Monolog der Frau des „Bommeleeër“, die nach dessen Tod seine Aufzeichnungen gefunden hat und nun behauptet, nie etwas verraten und das Tagebuch umgehend verbrennen zu wollen1, – ein Vorhaben, das sie in einem Epilog am Ende des Buches übrigens in die Tat umsetzt. Was für eine bizarre Einleitung aber, die vorgibt, die Geschichte zu verweigern, die man anschließend lesen kann!
Ein strenger Leser könnte das Intro zu Codenumm Melusina als Paradebeispiel werten, wie man eine Geschichte bereits auf der ersten Seite vor die Wand fährt. Ein wohlwollender Leser würde demgegenüber zunächst ein Auge zudrücken und sich auf das eigentliche Textkorpus konzentrieren. Dort erzählt der Tagebuchschreiber von einem geheimnisvollen „Här um Telefon“, der ihn erst fragt, „ob mäi Land op mech ziele kéint, wann d’Heemecht géif ruffen“ und ihm auf seine Bejahung („ouni ze zécken“) hin mitteilt, dass er für eine besondere Mission ausgewählt worden sei. Ohne die Hintermänner zu kennen oder zu ahnen, was bei dieser Mission auf dem Spiel steht, sogar ohne zu wissen, was überhaupt von ihm und seinen drei ebenfalls ausgewählten Kollegen erwartet wird, versichert der brave Polizist schon nach wenigen Tagen, „datt ech houfreg wier, datt se mech ausgewielt hunn, an datt mer jiddwer Uerder nokomme wäerten“ (S. 11f.). Schon nach dem ersten Treffen fühlt sich der Mann „wéi e richtige Geheimagent“ (S. 15) und hofft darauf, dass man ihm – ähnlich wie James Bond – „flott Gadgeten“ für die Ausführung seiner Mission zur Verfügung stellen wird.
Moment, wird spätestens jetzt der wohlwollende Leser einwerfen, so blöd wird doch hoffentlich niemand sein! Die Autoren könnten dieser Hoffnung entgegenhalten, dass ihre Geschichte, wie sie ja ausdrücklich schreiben, frei erfunden sei. Das Problem ist nur, dass sie eben nicht frei erfunden ist und sich derzeit zwei Angeklagte vor Gericht für einen Prozess hergeben müssen, bei dem fast mehr als die Frage nach ihrer Schuld oder Unschuld ein nationales Trauma aufgearbeitet wird. Seien diese Männer nun verantwortlich für die Attentate aus den Achtzigern oder seien sie vor allem die Sündenböcke, die den Kopf für Ranghöhere hinhalten müssen, man wird ihnen wohl kaum die Naivität, den dümmlichen Patriotismus und den kindlichen Spieltrieb unterstellen wollen, den die Autoren von Codenumm Melusina ihrem Protagonisten andichten. Seine Vaterlandsliebe ist ihm genug; „Vive eist Land!“ (S. 11) heißt es anstelle eines Grundes, warum er sich so bereitwillig für kriminelle Handlungen einspannen lässt.
Die Identität des Herrn am Telefon bleibt bis zuletzt völlig im Dunkeln, auch scheint sie den Mann mit dem Decknamen „Melusina“ kaum zu interessieren. In der Stupidität der Figur, die mit albernen Ausrufen immer wieder ihren Tatendrang bekräftigt („Wat eng Knuppefreed!“ S. 16, „A lass!“ und „Ech wëll an Aktioun trieden!“ S. 21), offenbart sich damit eine letztlich hinterhältige Anlage der Erzählung, die sich über diejenigen lustig macht, die die Befehle ausführen, statt die Drahtzieher zu visieren.