Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, schnürt der Prophet halt die Sandalen und macht sich selbst auf den Weg. Tom Hillenbrand hat mit seinen „kulinarischen Krimis“ vorgemacht, wie ein Schriftsteller die Kochbuch-Manie der luxemburgischen Leser für sein Schreiben nutzen kann und Susanne Jaspers steht ihm darin nicht nach: Wie bereits der Untertitel verrät, erzählt sie in ihrem neuen Buch Dann drehe ich mich um und gehe „Restaurantgeschichten“.
Dieses Kriterium ist zum Glück rein formal; in den vierzehn kurzen Texten geht es meist nur beiläufig ums Essen und meist auch nur nebenbei um einen Restaurantbesuch. Die Autorin spielt zwar einerseits Standardsituationen durch, wie sie jedem aus eigener Erfahrung oder doch wenigstens aus Kitschfilmen mit Meg Ryan vertraut sind: Dazu gehören leidvolle Erfahrungen mit nervenden Kindern oder Hunden (sabbert, stinkt, sitzt nicht still), der so freundliche wie nichtssagende Smalltalk mit dem Personal von Gaststätten, die man häufiger besucht, das Weihnachtsgeschenk vom Besitzer des Stammlokals oder das missglückte Stelldichein. Touristen kennen das Gespräch mit dem ambitionierten Kellner, der Geld spart, um die Umsetzung eines unrealistischen Lebensentwurfs zu finanzieren und die verzweifelte Suche nach authentischer einheimischer Küche. Andererseits ist Jaspers sichtlich bemüht, diese Standards nicht zu gewöhnlich und damit langweilig werden zu lassen, zum Beispiel indem sie ihre Figuren auf Reisen in entlegene Gegenden schickt, in denen es nicht nur die Essgewohnheiten zu durchschauen gilt. Worum es hier aber eigentlich geht, sind die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Abgründe, die sich in ihnen auftun können. Durch geschickt eingefügte Details versieht Jaspers ihre Restaurantbesucher darüber hinaus mit rudimentären Biografien, die ihnen die nötige Tiefe verleihen.
Diese Doppelstrategie des exotischen Settings und der „Geschichte hinter der Geschichte“ hätte für ein kurzweiliges, unaufdringliches Buch gereicht, das man sowohl Urlaubern als auch einsamen Restaurantgängern gern nahegelegt hätte. Allein die Autorin scheint sich einen besonderen Spaß daraus zu machen, dem Leser mit unerfreulicher Vorhersehbarkeit den Appetit zu verderben. Daran ist nicht allein der überzeichnende und zuweilen etwas herzlose Humor schuld, mit dem Jaspers sich an Tschechows Gewehr zu schaffen macht, sei es, dass der tschetschenische Kellner neben seinen gesamten Ersparnissen ein Messer in der Hosentasche trägt oder dass ein ungezogener Fünfjähriger auf einen Tresen klettert, hinter dem etliche Reihen Trinkgläser aufgestellt sind. In Strohhalme ist damit von Anfang an klar, dass es am Ende scheppern muss, wenn sich auch natürlich die Anzahl der Stiche und zerstörten Organe im Gesicht des Jungen nicht vorherberechnen lässt. Die lapidare Mitteilung, dass die Beziehungskrise der Eltern schließlich zur Trennung geführt hat, ist ebenso im Aufbau der Geschichte angelegt und wenig überraschend. Hat der Leser das Prinzip einmal verstanden, also spätestens nach der Lektüre des zweiten oder des dritten Textes, wirkt die Vorgehensweise zunehmend abgeschmackt, dies auch unabhängig davon, ob man als Leser Freude daran hat, besonders einfältigen Figuren vom ersten Satz an dabei zuzusehen, wie sie Schritt für Schritt ins offene Messer laufen (z. B. in Der König und ich oder in Nicole geht allein). Wirklich lästig wird dieser Zwang zum pointierten Ende aber erst, wo Jaspers dem Leser keine Chance lässt, die Gründe für plötzlich umschwenkende Handlungsverläufe oder Sichtweisen nachzuvollziehen. Der letzte Satz von Arab World etwa, der Geschichte von zwei Touristen, denen es nicht gelingen will, im Oman typisch einheimisches Essen aufzuspüren, zerstört die folgerichtige ironische Pointe, auf die die Erzählung hinarbeitet und klebt dem Text stattdessen eine politische Dimension an, die sachlich gerechtfertigt sein mag, erzähltechnisch jedoch völlig unnötig wirkt.
Versöhnlich stimmen allerdings die letzten beiden Texte des Bandes, Campari-Orange, eine klassische, sehr fein und konsequent erzählte Short Story über eine Frau, die nach dem Tod ihres Mannes allein in Urlaub fährt und Nach Gablonz, wo die Fahrt zu einer Beerdigung geschildert wird und es der Autorin gelingt, ihren Hang zur Karikatur derart mit der Figurenperspektive zu verbinden, dass hinter dem Grotesken die menschlichen Züge durchscheinen.