Luxemburgs Musikszene atmet in vollem Zuge. Mit den vielen Konzertveranstaltern, die entstanden sind, seit Luxemburg 1995 erstmals europäische Kulturhauptstadt war, hat sich eine Dynamik entwickelt, die weltweit singulär ist. Regelrechte Traditionen in Sachen Komposition, Aufführungspraxis und Konzertbetrieb gibt es in Luxemburg nicht. Eine Musikindustrie war bis vor kurzem hierzulande inexistent. Und doch ist heute die Musikszene des Großherzogtums derart pulsierend, gastieren und produzieren sich doch Tag für Tag nationale Nachwuchskünstler und internationale Stars in Philharmonie und Rockhal, Atelier und Cube 521, Carré Rotondes und Trifolion, dass man das Gefühl bekommt, das zweitkleinste Land der EU versuche in die Fußstapfen der internationalen Großproduzenten zu treten.
„Das Angebot schafft seine eigene Nachfrage“: der Diplom-Betriebswirt Tom Bellion erklärt in seinem Buch Exportgut Kultur die Vervierfachung der Besucherzahlen der Kulturstätten Luxemburgs zwischen 1995 und 2009 an Hand des Say-Theorems. Die Publikation basiert auf einer Studie, die Bellion als Masterarbeit im Studiengang Management von Kultur- und Nonprofit-Organisationen am Distance and Independent Studies Center (Disc) der Technischen Universität Kaiserslautern eingereicht hat. Der luxemburgische Ökonom arbeitet seit 1993 in Führungspositionen von Non-Profit-Organisationen, ist seit kurzem Direktor des Luxembourg City Tourist Office, war Gründungsmitglied von backline!, der ersten Vereinigung, die die Interessen der populären Musik wahrgenommen hat, und ist Verwaltungsratsmitglied der Rockhal. Für die 2012 angenommene Masterarbeit hat Tom Bellion die heimische Musikszene mit Akribie unter die Lupe genommen und den Fokus auf die Sparten Rock und Pop gerichtet.
In dem 100-Seiten-Werk geht Bellion der Frage nach, ob eine Förderung der Vermarktung vor allem auf den internationalen Märkten sinnvoll wäre und wie ein Konzept dafür aussehen könnte. Er gibt einen Überblick über die Rahmenbedingungen kulturellen Schaffens in Luxemburg und hat eine Expertenbefragung durchgeführt. Auf dieser Grundlage und basierend auf theoretischen Konzepten aus dem Kulturmanagement, dem New Public Management und dem Marketing entwickelt er Ansätze für ein integriertes Förderkonzept zur Vermarktung und Etablierung von Künstlern auf relevanten Märkten.
Zwar gibt es in Luxemburg nur eine knappe Hand voll freischaffender Profimusiker – lediglich vier Personen besitzen im Bereich der Musik das Künstlerstatut –, sehr viele Künstler allerdings beschäftigen sich über die reine Freizeittätigkeit hinaus intensiv mit Musik: Sie interpretieren, komponieren, produzieren. Meist sind das semi-professionelle Musiker, die die Musik auf Teilzeitbasis (oft neben dem Lehramt) ausüben und gegebenenfalls einen Nebenverdienst erzielen. Leider liegt Bellion sehr wenig Zahlenmaterial vor. Viele dieser Künstler fassen auch im Ausland Fuß, touren durch Belgien, die Niederlande, Deutschland, Frankreich und selbst durch die USA, Japan oder Indien, auf der Suche nach neuen Bühnen, Festivals, Plattenverträgen und natürlich ihrem Publikum. Um den Nachwuchskünstlern Luxemburgs ein professio-nelles Rückgrat für die Karriere über die Grenzen hinweg zu geben, wurde 2009 music:LX ins Leben gerufen, ein vom Kulturministerium und der Sacem unterstütztes Exportbüro. Der Bekanntheitsgrad dieser Vereinigung aber hält sich bisweilen in Grenzen. Selbst viele Musiker wüssten nicht einmal, dass es in Luxemburg eine derartige Anlaufstelle gibt, schreibt Tom Bellion.
So kommt es nicht von ungefähr, dass gerade im empirischen Teil des Buchs sehr stark auf die kulturpolitischen und privatwirtschaftlichen Instrumente eingegangen wird. Die befragten Experten schlagen auf nationaler Ebene die Schaffung einer Gesellschaft zur Entwicklung der kulturellen Betriebe vor, die Verstärkung von Coaching-Angeboten, das Schaffen einer Lobby oder die verstärkte Vernetzung und Koordination der bestehenden Instrumente. Manche glauben sogar etwas blauäugig daran, der Staat könne Mogule aus dem internationalen Musikgeschäft nach Luxemburg holen und deren Etablierung hierzulande an die Bedingung knüpfen, heimische Musiker vorrangig zu betreuen. Einig ist man sich allerdings in dem Punkt, dass kommerzielle Aspekte wie Vermarktung und Branding das A und O darstellen, um als Künstler im globalisierten Markt Erfolg zu haben.
Laut Bellion enthält der Vierklang „Wollen-Wissen-Können-Wagen“ die Voraussetzungen, die dazu führen könnten, aus dem Exportgut Kultur eine Chance für die Akteure und für das Land zu machen. Eine Herausforderung sehen die befragten Experten wie Bellion selbst in der Vernetzung der Akteure und der Koordinierung der kulturpolitischen Aktivitäten. Der Betriebswirt gibt sicherlich keine Allerweltlösungen. Mit seinem umfangreichen Überblick erinnert er in seiner Studie allerdings daran, dass es in Luxemburg bereits viele interessante Instrumente und Fördermaßnahmen gibt, die – zielgerecht ausgelegt und koordiniert – wesentlich mehr zu einer besseren Vermarktung der Pop- und Rockmusik beitragen könnten.