Ein auffallend großer Fleck ist am Montagmorgen auf der Weltkarte auf dem Bildschirm im Flur des Europäischen Zentrums für Geodynamik und Seismologie zu sehen. Im Grenzgebiet zwischen Iran und Irak hat es Stunden zuvor ein Erdbeben von 7,2 Punkten auf der Richterskala gegeben. Im Flur des alten Bauernhauses in Walferdingen werden die Messdaten der seismologischen Stationen in Echtzeit angezeigt, denen in der stillgelegten Gipsmine in Walferdingen und denen im Kongo, nahe der Stadt Goma, die seismische Aktivitäten auch rund um den Erdball spüren. Im Kongo sind die Forscher des ECGS seit rund zwölf Jahren aktiv, um alle möglichen Phänomene zu erforschen und neue Methoden zu testen. Das ist für die Mitarbeiter des ECGS auch eine Frage des Gewissens.
Angefangen hat das damit, dass das Walferdinger Laboratorium über eine Reihe von Instrumenten verfügte, um die Erdgezeiten – das zweimal tägliche Steigen und Sinken der Erdkruste – zu messen, wie Nicolas d’Oreye de Lantremange erklärt, und über besonderes Knowhow in der Beobachtung von Veränderungen der Erdkruste. Vor 13 Jahren begannen die Forscher neue Methoden zu erproben, nämlich die Beobachtung von oben, mittels Satellitenbildern. Radar-Interferometrie nennt man es, wenn der Satellit zu verschiedenen Zeitpunkten an der gleichen Stelle Radarwellen aussendet und misst, wie viele Wellen das Signal auf dem Weg zurück bildet. Je nachdem, ob es zwischen den Messungen mehr oder weniger sind, hat sich die Erdkruste gesenkt oder gehoben.
Um die Methode zu testen, suchten sich die Forscher Regionen aus, in denen die Wahrscheinlichkeit, Veränderungen zu sehen, groß war: Vulkanregionen auf den Kapverdischen Inseln, in Kamerun, in Tansania und im Kongo. Damals, so d’Oreye, waren Satellitenbilder selten und teuer. Doch unter den bereits existierenden Bildern, die das Zentrum erwarb, waren Messungen des Gebietes um den Vulkan Nyiragongo nahe der Stadt Goma an der Grenze zwischen Kongo und Ruanda, die große Veränderungen der Erdkruste von bis zu mehreren Dutzend Zentimetern auswiesen. Die Bilder waren eine Woche vor, beziehungsweise zwei Wochen nach einer Eruption am 1. Januar 2002 aufgenommen worden. Die beobachteten Veränderungen sind nicht etwa auf die durch den Ausbruch zu Tage geförderten Lavamengen entstanden, die sich auf die Oberfläche gelegt hätten. Denn das Gebiet in dem sich sozusagen der Boden gehoben hat, ist viel größer als der vergleichsweise schmale Lavastrom. Die Forscher stellten Veränderungen in bis zu 30 Kilometern Entfernung fest. Was sie sahen, ist die Wirkungen der Magma, die sich ihren Weg durch das Gestein an die Oberfläche sucht und diese dabei dehnt. Durch den Vergleich vieler Satellitenbilder, werden solche Veränderungen des Bodens sichtbar, obwohl er von dichten Wald und Laubwerk bedeckt ist. Als dann während der Projektzeit der Vulkan Nyamulagira ausbrach, konnten die Forscher die Veränderungen genau festhalten.
Die Region um die Stadt Goma sei ein ganz besonderes Gebiet, erklärt Nicolas d’Oreye. Sie liegt am See Kiwu, der sich im Ostafrikanischen Rift gebildet hat, dort wo tektonische Bewegungen den afrikanischen Kontinent vom Norden Äthiopiens bis in den Süden Mosambiks langsam teilen, und der bis zu 500 Meter tief ist. Wegen des Rifts ist die Gefahr von Erdbeben groß, die leicht eine Stärke von um die sechs Punkten auf der Richterskala erreichen können, wie Eric Buttini vom Museum für Naturgeschichte erklärt. Der See selbst enthält große Mengen Methan und Kohlendioxid, Gase, die, falls sie austreten, binnen Minuten bis zu eine Million Menschen und Tiere in der Region töten würden, so wie 1986 bei einer Ausgasung des kamerunischen Kratersees Nyos binnen Minuten 1 500 Menschen starben.
Der Nyiragongo, gut 15 Kilometer von der Stadt entfernt, enthält den größten Lava-See der Welt, der je nach Pegel einen Durchmesser von bis zu 250 Meter erreicht. „Größer als der Petersplatz in Rom“, veranschaulicht d’Oreye, „das ist wirklich enorm.“ Die Lava des Nyiragongo ist besonders flüssig und daher auch besonders schnell. Noch auf flachen Untergrund fließt sie mit bis zu 30 Stundenkilometern, hangabwärts mit bis zu 70. Ihr auszuweichen, ist wie ein Auto zu vermeiden. Sie kommt zudem nicht oben aus dem Krater, sondern fließt aus kilometerlangen Rissen die sich irgendwo unterhalb des Vulkans bilden, also auch mitten im Stadtgebiet, wie beim letzten Ausbruch beobachtet. Dann bleibt den Bewohnern nur die Flucht über die Grenze, wenn diese nicht geschlossen ist. Wegen dieser Besonderheiten, so die Forscher des ECGS, ist der Nyiragongo einer der wenigen Vulkane, die töten, weil den Menschen bei einem Ausbruch wenig Zeit für die Flucht bleibt.
Der Nyiragongo und der Nyamulagira, nur weitere 15 Kilometer entfernt, sind ohnehin eine Belastung für die Gesundheit von Menschen und Tieren durch die Gase und Asche, die sie ausstoßen, die auch die Landwirtschaft erschweren und die Versorgung der Stadt in Frage stellen. Hinzu kommt die „Mazuko“ – Teufelswind – genannte natürliche und spontane Bildung von Kohlendioxid, die, wenn sie der Wind nicht vertreibt, regelmäßig Menschen und Tiere erstickt. Weil das Gebiet um die Stadt seit Jahrzehnten Kriegsgebiet ist, flüchten sich immer mehr Menschen nach Goma. Von 33 000 Einwohner beim Ausbruch 1977 auf 350 000 Einwohnern beim Ausbruch 2002 auf mittlerweile fast eine Million ist die Stadtbevölkerung gewachsen und entsprechend steigt das Risiko, dass immer mehr Menschen Opfer einer Naturkatastrophe werden.
Trotz dieses enormen Gefahrenpotenzials stellten die Forscher vom ECGS vor dreizehn Jahren fest, dass es fast überhaupt keine Überwachung der Vulkanaktivität in der Gegend gab. „Das war anscheinend aufgrund der Krisensituation nicht möglich“, so d’Oreye. „Das war uns nicht bewusst, also haben wir es gemacht.“ Zusammen mit anderen Partnern, allen voran dem Musée royal d’Afrique centrale in Brüssel, hat das ECGS Projekt an Projekt gereiht und so ein System aus 18 seismologischen Messstationen und 18 am Boden verankerten GPS-Stationen errichtet, die minimalste Verschiebungen der Erdkruste aufzeichnen. Alle diese Methoden, auch die der Radar-Interferometrie, seien komplementär, unterstreicht Adrien Oth. „Unsere Aufgabe ist es die Forschung, die Wissenschaft voranzubringen, nicht die Überwachung der Vulkanaktivität an sich“, fügen er und d’Oreye hinzu. „Aber angesichts dieser Gefahrenlage wäre es einfach unanständig zu sagen: „wir schreiben eine schöne wissenschaftliche Arbeit zur Publikation und für den Rest könnt ihr sehen, dass ihr klarkommt’“, sagt d’Oreye. Er vergleicht die Situation mit der eines Schönheitschirurgen, der täglich in seine Privatklinik fährt und eines Tages Zeuge eines Autounfalls wird. „Er kann sich dann entscheiden, weiterzufahren in seine Klinik oder demjenigen Hilfe zu leisten, der sie am meisten braucht.“
Um den Unterhalt der Messinfrastruktur an den Vulkanen Nyiragongo und Nyamulagira finanziell zu gewährleisten, reihen das ECGS und ihre Partnerinstitute Forschungsprojekt an Forschungsprojekt. Die Daten übermitteln sie an das vulkanologische Beobachtungszentrum in Goma. „Das Ziel“, erklärt Eric Buttini, „ist ein Frühwarnsystem zu entwickeln, das rechtzeitig einsetzt, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, die Stadt zu evakuieren.“ Das System auszulösen, bliebe die Verantwortung der lokalen Behörden, ein Institut wie das ECGS könne keine Vulkanüberwachung in Drittstaaten machen. Aber dabei helfen, die dafür notwendigen Methoden und Instrumente zu entwickeln. Sie setzen diese auch in Gebieten mit vergleichsweise niedriger Gefahrenlage ein, beispielsweise in der Großregion um Luxemburg, um die Senkung von Minenschächten zu dokumentieren.