David Nutt hat es probiert. Der Psychiater und Neuropharmakologe hatte als Berater der damaligen Labour-Regierung versucht, die britische Drogenpolitik mit Menschen-, vor allem aber mit Sachverstand zu gestalten. Doch einen Tag, nachdem der Engländer mit den Ergebnissen einer umfangreichen Studie zu den Gesundheitsrisiken von Drogen an die Öffentlichkeit trat, war er seinen Posten los. Das war im Oktober 2009. Am Mittwoch machte Nutt erstmalig Halt in Luxemburg: Er sprach auf einem Fachsymposium des Drogenpräventionszentrums CEPT im, wie passend, Nachtklub Melusina über Freizeitdrogenkonsum und Drogenpolitik.
Seine Message hat an Aktualität nichts eingebüßt: Im Mittelpunkt der Berichterstattung über Drogen geradeso wie in der drogenpolitischen Ausrichtung vieler Länder stehe noch immer Angstmache und der globale „Krieg den Drogen“. Dabei werde oft jeglicher Drogenkonsum als gesundheitsschädigend verteufelt. Nutts Kernaussage: Alle Drogen sind schädlich, aber nicht alle Drogen sind gleich schädlich.
Der Pharmakologe hatte 2010 mit einem Forscherteam einen umfangreichen Katalog von Kriterien erstellt, anhand derer die Wissenschaftler das tatsächliche Gesundheitsrisiko und die Gefahren messen und bewerten wollten, die von 20 verbotenen Rauschmitteln ausgehen. Zu den Kriterien zählten neben Todesrate, Lebensdauer und gesundheitlichen Schäden auch die Risiken, die durch exzessiven Drogenkonsum gegenüber Dritten entstehen, sowie sozio-ökonomische Kosten.
Das Ergebnis war für die Wissenschaftler nicht so überraschend, traf Politiker aber wie der Schlag: An erster Stelle der Negativ-Hitparade gefährlicher Drogen stand Alkohol, gefolgt von Heroin, Crack und Crystal Meth. Das oft pauschal verunglimpfte Cannabis befand sich an achter Stelle, die Halluzinogene LSD und Magic Mushrooms waren gar am Ende der Rangliste zu finden. Die Untersuchung wiederholte Nutt auf EU-Ebene, mit anderen Kriterien und geänderten Gewichtungen, doch Alkohol blieb die mit Abstand gefährlichste Droge. Die gesundheitlichen Folgen übermäßigen Alkoholkonsums, wie Leberzirrhose, Herz-Kreislaufkrankheiten, Autounfälle, Therapien, kosten die EU-Länder jedes Jahr Milliarden.
In Luxemburg wird mit rund 18 Liter pro Kopf im Jahr europaweit am meisten Alkohol verkauft. Selbst wenn man davon die Grenzgänger, die aufgrund der geringen Steuern hierzulande einkaufen, abzieht, bleibt der Konsum mit 15 Liter hoch. Trotzdem war Alkohol bisher kaum Schwerpunkt groß angelegter Gesundheitsprogramme, abgesehen von Sensibilisierungskampagnen gegen jugendliches Koma-Saufen. Ein Alkohol-Aktionsplan der vorigen Regeirung wurde nicht mehr fertiggestellt. Es sollte bis Mai diesen Jahres dauern, bis Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) bei der Vorstellung ihres Drogenaktionsplan einräumte: Es sei schwer, „Jugendlichen zu vermitteln, dass es strafbar ist, wenn sie mit ihren Freunden einen Joint rauchen, während Komasaufen zwar auch gefährlich, aber eigentlich legal ist“. Doch der Fünf-Jahres-Plan, der den von 2010-2014 ablöst, setzt den Hauptfokus weiterhin auf die Suchtkranken durch Heroin und Kokain; ein Aktionsplan gegen Alkoholsucht fehlt bisher.
Vielmehr hat die Gesundheitsministerin ein neuen Schauplatz für ihren Kampf gegen Drogen ausgemacht: NPS, neue psychoaktive Substanzen. Dabei handelt es sich um synthetische Drogen, die zunehmend über das Internet vertrieben werden und deren Zusammensetzung oft unbekannt ist, weshalb die Gesundheitsgefahren kaum einzuschätzen sind.
Dass der Markt für sogenannte Designerdrogen boomt, lässt sich an den Zahlen ablesen, die die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) in Lissabon alljährlich erhebt. Allein im Jahr 2014 wurden 101 neue Substanzen gemeldet, darunter Cannabinoide, Opiate und Benzodiazepine. In Luxemburg sind synthetische Cannabinoide seit 2009 verboten, durch ein Reglement, das insofern innovativ ist, als es bei der Wirkungsweise im Gehirn ansetzt und nicht, wie sonst bei Drogenverboten üblich, bei der chemischen Zusammensetzung.
Ein Verbot soll es nun auch für andere psychoaktive Substanzen geben. In einer Arbeitsgruppe der EU-Kommission, – unter Federführung von Luxemburg, das derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat –, tüfteln Delegierte der 28 Mitgliedstaaten, sowie Vertreter von Europol und EBDD, an einer Direktive, die den Markt für synthetische Drogen trockenlegen will. Viel ist über das Vorhaben noch nicht bekannt, doch im Kern geht es darum, das bisherige Drogen-Frühwarnsystem so zu beschleunigen, dass neue Wirkstoffe kurzfristig unter eine Art Moratorium gestellt und vom Markt genommen werden können, bis eine vollständige Risikobewertung erfolgt ist.
„Im Moment dauert es oft ein Jahr bis eine gefährliche Droge erkannt und analysiert wird, und dann mindestens ein weiteres, bis sie per Gesetz verboten wird“, beschreibt Drogenkoordinator Alain Origer die Schwierigkeiten mit dem aktuellen Frühwarnsystem. Das Luxemburger Gesundheitsministerium meldete zu Beginn der Woche per Pressemitteilung einen kleinen Durchbruch. Offenbar ist es gelungen, sich in der Staatenrunde weitgehend auf einen konsensfähigen Rahmen zu einigen. Ein Vorentwurf wurde im September in Brüssel vorgelegt und soll nun von den Ländern analysiert werden. Ein weiteres Treffen der horizontalen Gruppe ist am 7. Oktober geplant.
Doch was die Autoren als Fortschritt feiern, ist hoffentlich kein weiterer Beitrag dazu, synthetische Drogen partout zu verbieten, ungeachtet der realen Gesundheitsrisiken. Im Drogenaktionsplan der EU für 2013-2020 heißt es, dass „die Aktionen (...) faktenbasiert, wissenschaftlich fundiert und kostenwirksam sein (müssen) und auf realistische und messbare Ergebnisse abzielen (sollen)“.
Doch wie schnell eine Droge auf dem Index landen kann, ohne dass es dafür wissenschaftliche Belege gibt, zeigt sich am Beispiel von Mephedron (4-Methylmethcathinon), auch bekannt unter M-Cat, Badesalz oder MeowMeow. Das weiße Pulver, das ähnlich wie Kokain wirkt, tauchte erstmals 2008 in englischen Klubs auf und zählt zu den Amphetaminen. Als in England 2009 zwei junge Männer nach einer Party tot aufgefunden wurden und die Polizei Mephedron als Todesursache vermutete, verbot die britische Regierung die Modedroge kurzerhand.
Eine Analyse der EDBB zu den Gesundheitsrisiken von Mephedron fiel allerdings nicht eindeutig aus. Im Prüfbericht, der sich auf die Aussagen einiger Hundert Konsumenten stützt, wird vor exzessivem Schwitzen, Halluzinationen, Herzrasen , Kopf- und Nasenschmerzen gewarnt. Das Puder wird in der Regel geschnupft. Konsumenten berichteten aber auch von euphorischen Gefühlen, mehr Offenheit und einem erhöhten sexuellen Drang, weshalb die Droge in Swingerclubs beliebt ist. Die Zahl der Personen, die wegen Mephedron medizinisch behandelt wurden, war 2011 (noch) so gering, dass sich daraus keine eindeutigen Rückschlüsse ziehen ließen. Nutzer sagten zudem, wegen Mephedron hätten sie ihren Konsum von Kokain und Ecstasy deutlich zurückgeschraubt. Auch David Nutt war skeptisch. Als die toxikologische Analyse der „Scunthorpe-Deaths“ veröffentlicht wurde, war klar: In den Körpern der Männer befand sich gar kein Mephedron; sie hatten sich mit Alkohol vergiftet. Selbstverständlich ist der Konsum von Mephedron nicht unbedenklich, zumal in Kombination mit Alkohol. Doch die Gefahren wurden von den Medien und von der Politik völlig verzerrt dargestellt, und als die Fakten schließlich auf dem Tisch lagen, war das Verbot der Partydroge bereits beschlossene Sache. Für David Nutt ist das vorschnelle Verbot auch deshalb ein Skandal, weil dadurch eine Erforschung des Wirkstoffes erheblich eingeschränkt würde.
Der hysterische Umgang erinnert an eine andere illegale Substanz, die bereits vor Jahrzehnten einen ähnlichen Negativ-Hype erfuhr: LSD (Lysergsäurediethylamid). Das Halluzinogen, in der Szene Acid genannt, das 1943 vom Schweizer Chemiker Albert Hofmann entwickelt und 1966 in den USA verboten wurde, ist mittlerweile weltweit verboten. Mit der Konsequenz, dass LSD-Forschung Jahrzehnte lang unmöglich gemacht wurde. Auch heutzutage sind wissenschaftliche Studien zu LSD nur mit Sondergenehmigungen möglich, dabei schreiben Forscher der Substanz psychotherapeutische Wirkungen zu.
Inzwischen gibt es einige Projekte, die die Wirkungsweisen von LSD, Psilocybin (Pilzen) oder MDMA (Ecstasy) untersuchen. An einem arbeiten Nutt und sein Team am Londoner Imperial College: Sie untersuchen, inwiefern LSD bei der Behandlung von Depressionen und Angstzuständen helfen kann. MDMA scheint vielversprechend bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen, Cannabis wird eine schmerzlindernde Wirkung nachgesagt. „Durch die Gesetze wurde die Forschung mit psychoaktiven Substanzen um Jahre zurückgeworfen, sind viele Patienten um eine Behandlung gebracht worden“, empört sich David Nutt. Damit sich dieser Fehler nicht wiederhole, sei es extrem wichtig, psychoaktive Wirkstoffe nur auf Basis von unabhängigen, wissenschaftlichen Studien zu bewerten, so Nutt, und sie nicht vorschnell zu verbieten und womöglich ganze Bevölkerungsgruppen zu kriminalisieren. Ebenso bedeutsam sei es, Konsumenten über die Wirkung, mögliche Wechselwirkungen mit anderen Drogen und weitere Risiken aufzuklären.
Teilweise scheint die Luxemburger Drogenpolitik diese Lehre aus der Geschichte verstanden zu haben. Der Konsum von Cannabis wird seit längerem nicht mehr strafrechtlich verfolgt, auch wenn er strafbar bleibt. Justizminister Félix Braz (Déi Gréng) hat eine Überprüfung der drogenpolitischen Ausrichtung zugesagt, bislang sind aber keine Details bekannt. Die paar öffentlichen Wortmeldungen, die es von den staatlich finanzierten Suchthilfeeinrichtungen zur bisherigen Drogenpolitik von DP, LSAP und Grüne gab, beschränkten sich auf die Depenalisierung von Cannabis. Ansonsten halten sie sich mit politischen Stellungnahmen auffällig zurück.
Derweil zeigen Projekte wie Drug Checking (Duck) des CEPT, dass beim Freizeitkonsum nicht mehr primär auf Abschreckung und Strafverfolgung gesetzt wird. Bei Duck können Konsumenten Substanzen testen lassen. Der Klient erfährt die Zusammensetzung seiner Pille über ein anonymisiertes Verfahren. Sind Inhaltsstoffe oder Dosierungen gesundheitlich bedenklich, ist der Klient gewarnt. Zudem wird ein Warnhinweis mit Pillenfoto im Internet (partymagnet.lu) veröffentlicht.
„Wir arbeiten mit einem kritisch-akzeptierenden Ansatz“, erklärt der Schweizer Suchtberater und Präventionsexperte Alexander Bücheli. Die Züricher waren die ersten in Europa, die auf Festivals und in Diskos in mobilen Labors Drogen testeten. An ihren Erfahrungen haben sich die Luxemburger orientiert. Partydrogen seien eine Realität, so Bücheli. Manche Menschen wollten sich eben von Zeit zu Zeit berauschen, daran änderten auch die vielen Verbote nichts. Angebote wie Duck setzen daher auf mehr Drogenprävention: sachliche professionelle Aufklärung über die Risiken und über gefährliches Konsumverhalten. Ein gesunder Mensch wird von einer normalen Dosis MDMA nicht sofort krank. Wer sich aber jedes Wochenende mit Hilfe von Aufputschmitteln die Nacht um die Ohren schlägt, riskiert nicht nur mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, sondern dauerhafte Schädigungen seines Körpers. „Wir müssen glaubwürdig sein. Wir können unseren Besuchern nichts vormachen. Viele kennen die Wirkungsweise der Drogen recht gut“, so Katia Duscherer vom CEPT.
Bleibt die Frage, ob die Verantwortlichen, die in Luxemburg und anderswo an der EU-Richtline werkeln, das auch so nüchtern sehen – oder ob es ihnen nicht doch vorrangig darum geht, den aussichtslosen Kampf gegen Drogen auf andere Substanzen auszudehnen. Die konservative Regierung Großbritanniens plant jedenfalls ein völliges Verbot für psychoaktive Substanzen und hat dazu einen – viel kritisierten – Entwurf vorgelegt. Ein Vorbild für Europa?, fragt David Nutt alarmiert.