Acht Verhaftungen, vier Autos beschlagnahmt, drei Drogenverstecke in Wohnungen aufgespürt. So lautete die Bilanz einer internationalen Drogenfahndung vergangene Woche, an dem sich die luxemburgische Polizei beteiligte. 700 Gramm Haschisch, vier Kilo Marihuana, 170 Gramm Heroin, 21 Gramm Kokain sowie weitere verbotene Substanzen fanden die Polizisten, die gemeinsam mit belgischen Kollegen die Fahndung durchführten. Insgesamt waren 231 Polizei- und Zollbeamte im Einsatz.
„Die meisten unserer Drogeneinsätze sind grenzüberschreitend“, erklärt Marc Hoffmann vom Drogendezernat in Luxemburg-Stadt. Vor allem aus den Niederlanden und aus Belgien kommen die Drogen ins Land; Cannabis, aber auch Heroin und Kokain. Meist fangen die Beamten nur die kleinen Fische, Dealer, die kleine Mengen bei sich tragen. „Mit einer Kooperationsanfrage für ein paar hundert Gramm Marihuana brauchen wir den Holländern nicht zu kommen“, berichtet Hoffmann. In den Niederlanden ist der Besitz geringer Mengen von Cannabis für den eigenen Gebrauch erlaubt. Bis zu fünf Gramm Cannabis können Niederländer käuflich in einem der rund 670 Coffeeshops erwerben, ohne sich strafbar zu machen.
„Wir kämpfen seit über 30 Jahren einen Krieg gegen Drogen. Wir sind dabei, ihn zu verlieren. Wir haben kaum etwas erreicht“, so lautete das bittere Fazit von Kenneth Clark, früherer konservativer Gesundheitsminister in Großbritannien. Er war einer von mehreren hochrangigen Drogenspezialisten aus Politik, Justiz und Wissenschaft, die 2012 vom britischen Parlament angehört wurde, um über die künftige Drogenpolitik der Insel zu beraten.
Die Diskussion einer wirksamen Drogenbekämpfung wird in den vergangenen Monaten verstärkt geführt, seitdem Länder wie Portugal und Uruguay den Besitz und Konsum von Haschisch entkriminalisiert haben. Dass auch in den Vereinigten Staaten, die mit ihrem War on drugs jahrzehntelang für eine sehr repressive Drogenpolitik standen, Bundesstaaten wie Colorado und Washington Marihuana legalisiert haben, werten Suchtexperten als Zeichen dafür, dass die Zeit der repressiven Drogenbekämpfung zu Ende geht. Im März lädt das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung UNODC Experten aus aller Welt nach Wien, um die globale Drogenpolitik zu überdenken.
Von diesem weltweiten Aufwind ist in Luxemburg nichts zu spüren. Dem nationalen Drogenbericht nach ist die Zahl der Menschen, die in Luxemburg harte Drogen konsumieren, zwischen 2003 und 2008 stetig gestiegen, um leicht abzunehmen und sich bei rund 4 700 Abhängigen zu stabilisieren (Mehrfachzählungen möglich). Abhängige so genannter harter Drogen, wie Heroin und Kokain, leben dank einer besseren Gesundheitsversorgung und Methadon-Substitutionsprogrammen länger. Von einem Sieg gegen die Drogen kann aber keine Rede sein.
Das Regierungsprogramm von DP, LSAP und Déi Gréng schlussfolgert kurz und knapp: „La lutte contre le trafic et la consommation de drogues n’a pas connu le succès escompté alors que la consomma-tion reste élevée. Une nouvelle stratégie de prévention de la consommation, d’information et de responsabilisation sera au centre de la politique gouvernementale.“ Wie diese aussehen könnte, wenn Ende 2014 der nationale Aktionsplan zu Drogen und Sucht ausläuft, dazu hat sich Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) noch nicht öffentlich geäußert, Insider gehen aber davon aus, dass die ehemalige Escher Bürgermeisterin die Linie ihres Parteikollegen und Vorgängers Mars Di Bartolomeo fortsetzen wird.
Das trifft nicht überall auf ungeteilte Freude. Noch halten sich viele Akteure aus dem konventionierten Bereich mit politischen Aussagen gegenüber der Presse zurück. Der Staatshaushalt für 2014 wird verhandelt und da möchte es sich niemand mit dem Geldgeber verscherzen. Hinter vorgehaltener Hand werden dennoch ungeduldige, zuweilen kritische Töne laut. Denn außer dem provisorischen Drogenkonsumraum an der Route de Thionville in der Hauptstadt, der vergrößert wurde, und einer besseren Vernetzung bestehender Angebote, hat es in der Drogenhilfe in den vergangenen vier Jahren keine größeren Innovationen oder Impulse gegeben.
Dank der Fixerstube Abrigado konnte die Zahl der tödlichen Überdosen drastisch gesenkt werden, auf zuletzt acht im Jahr 2012. Das ist ein beachtlicher Erfolg. Auch die seit Jahrzehnten geplante Dezentralisierung niedrigschwelliger Hilfsangeboten für Schwerstabhängige schreitet, wenn auch sehr langsam, voran: Die Drogenberatungsstelle Jugend- an Drogenhëllef eröffnete vergangenen Donnerstag eine neue Zweigstelle in Ettelbrück direkt am Bahnhof. 2015 soll der lang geplante und oft ausgebremste Drogenkonsumraum in Esch endlich seine Türen öffnen. Rund ein Viertel der Drogenabhängigen, die derzeit in der Hauptstadt versorgt werden, könnten dort unterkommen, schätzen die Organisatoren. Im Norden sind die Sozialarbeiter von Jugend- an Drogenhëllef seit zwölf Jahren präsent, aber neuerdings können Drogenabhängige dort benutzte Spritzen gegen neue tauschen, duschen, sich auf Wunsch beraten lassen und sie erhalten eine medizinische Grundversorgung.
Im Bereich der Therapie und Rehabilitation ist ebenfalls vieles geschehen. Die Zahl der Entgiftungsplätze wurde ausgebaut. Es gibt betreute Wohnungen für Drogenabhängige, zu wenige, aber immerhin wurde das Angebot vergrößert. Dem Drogenbericht zufolge hatten 2012 mehr Suchtkranke einen festen Wohnsitz und ihre Arbeitslosigkeit blieb mit 63 Prozent stabil. Ein Projekt für ältere Langzeitdrogenabhängige in Esch in der Villa Armand steht in den Startlöchern und soll, sobald das Budget für das kommende Jahr bewilligt ist, mit der Arbeit beginnen. Dasselbe gilt für die geplante kontrollierte Heroinabgabe, von der das Land bereits vor über fünf Jahren berichtete und die sich an Schwerstabhängige richtet, bei denen andere Substitutionsprogramme nicht mehr greifen. Sollte das hochschwellige Therapieangebot wirklich kommen, wäre Luxemburg das sechste Land in Europa mit einer heroingestützten Behandlung – nach Großbritannien, der Schweiz, Holland, Deutschland und Spanien.
Doch während das Behandlungsangebot für Drogenkranke immer besser und professioneller wird und Projekte wie das Abrigado im Ausland schon mal als Vorbild für eine gelungene niedrigschwellige Suchthilfe gilt, gibt es andere Baustellen, die seit Jahrzehnten nicht wirklich vorankommen.
Der politische Umgang mit Cannabis und neuen psychoaktiven Drogen ist so eine. Der medizinische Gebrauch von Cannabis ist seit einer Gesetzesänderung von 2012 grundsätzlich möglich. De facto ist aber nur ein Medikament auf Basis von Cannabinoiden hierzulande zugelassen. Fast alle Patienten, die in Luxemburg auf eine Behandlung mit Cannabis-Produkten angewiesen sind, beziehen ihre Medikamente aus dem Ausland. Eine Petition für die Freigabe von medizinischem Cannabis liegt dem Parlament vor, aber der ehemalige sozialistische Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo hatte stets gebremst: Cannabis sei „nun mal international als Droge geächtet“, war sein Standpunkt. Die völlige Freigabe von Cannabis für den privaten freizeitlichen Konsum, wie ihn déi jonk Gréng und die Piratenpartei fordern und die Grünen in ihrem Wahlprogramm stehen hatten, schien damit vom Tisch, im neuen Regierungsprogramm ist davon nichts zu lesen und selbst bei Professionellen in der Drogenarbeit regt sich deswegen kaum Widerspruch.
„Ohne eine kohärente Strategie und eine professionelle Drogenprävention macht das Thema Legalisierung von Cannabis wenig Sinn“, sagt Jean-Nico Pierre von Jugend- an Drogenhëllef vorsichtig. „Gäbe man Cannabis für den Konsum frei, ohne ein entsprechendes umfassendes Aufklärungsangebot über die Risiken und Gefahren zu haben, würde die Politik das falsche Signal geben“, warnt der Direktor der Suchthilfestelle.
Bisher übernimmt die Polizei einen großen Teil der Präventionsarbeit. Sie geht in die Schulen, zu Projekttagen und redet insbesondere über die Gefahren von Cannabis und harten Drogen. Gesetzeshüter in Uniformen sollen mitunter behauptet haben, dass Cannabis eine Einstiegsdroge in eine spätere Drogenkarriere sein kann – eine Aussage, die wissenschaftlich längst widerlegt ist, die sich aber bei manchen schlecht informierten Politikern, Drogenfahndern und Eltern hartnäckig hält. „Der Ansatz ist repressiv“, räumt Drogenfahnder Marc Hoffmann ein. Speziell Marihuana werde zu oft als Jugend- und Lifestyledroge verharmlost. „Viele Jugendliche wissen gar nicht, dass der Besitz und Gebrauch in Luxemburg strafbar ist, auch wenn es sich nur um geringe Mengen handelt“, betont der Polizist.
Doch obschon die Polizei Beamte in die Sekundarschulen und Jugendhäuser schickt, fehlt eine Prävention, die weniger mit dem Zeigefinger belehrt und warnt, sondern den Akzent mehr auf das gesundheitliche Wohlergehen und die Eigenverantwortung der Jugendlichen setzt. „Die Prävention ist nicht auf dem letzten Stand“, sagt Jean-Paul Nilles vom Präventionszentrum Cept.Seine fünf Mitarbeiter aus dem Fachbereich Drogen oder auch die Sozialarbeiter des Service thérapeutique solidarité jeunes leiten Programme, wie Kanner staark maachen am Sport oder Choice, die Kinder und Jugendliche über gesunde Lebensweisen und die Risiken von Drogen aufklären. Allerdings wurde die Personaldecke von Cept seit 2003 nicht mehr erhöht. Sie ist zu niedrig, um neben Jugendhäusern, Grund- und Drogenkonsum auf der Arbeit, abzudecken. Während es rund um die harte Drogenszene Plattformen wie das Cocsit gibt, wo Professionelle aus Gesundheit und Suchthilfe mit der Polizei und Justiz zusammenarbeiten, gestaltet sich die Zusammenarbeit in der Prävention schwieriger. Sie hängt nicht zuletzt von den Schulen selbst ab: „Es gibt kein kohärentes, für alle Schulen verbindliches Programm zur Drogenaufklärung und Risikominderung“, bedauert Nilles. Für viele Schuldirektionen ist das Thema ein schwieriger Balanceakt, denn keine Schule steht gerne wegen Drogen in den Schlagzeilen.
Dabei wäre mehr Aufklärung dringend geboten. Laut der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle ist der Cannabiskonsum auf einem historischen Höchststand. Schätzungsweise 77 Millionen erwachsene Europäer (im Alter von 15-64 Jahren) haben irgendwann im Leben einmal Cannabis probiert, für das letzte Jahr berichten dies etwa 20 Millionen. In Luxemburg ist der Haschischkonsum bei Zwölf- bis 20-Jährigen zwar zurückgegangen, aber diejenigen, die ihr ersten Joint rauchen, sind immer jünger.
Neben dem Haschisch bereiten den Experten Designerdrogen wie Amphetamine (auch „Speed“ genannt), Methamphetamine („Crystal Meth“) und synthetisches Cannabis zunehmend Sorgen, die immer einfacher über das Internet zu bestellen sind. Bei den synthetischen Cannabinoiden handelt es sich um Substanzen, die zum Beispiel in Kräutermischungen als Joints geraucht werden, ähnlich wie Cannabis wirken und unter Namen wie „Spice“ oder „Kakteendünger“ bekannt sind. Die zweite große Gruppe, die synthetischen Cathinone, können laut Europäischer Drogenbeobachtungsstelle EBDD geschluckt, geschnupft und gespritzt werden und haben zum Beispiel eine dem Kokain oder Ecstasy vergleichbare Wirkung. Solche neuen Drogen werden auch „Legal Highs“ bezeichnet, da nicht sämtliche von ihnen verboten sind, obwohl sie oft wesentlich gefährlicher sind als pflanzliches Cannabis. Das liegt unter anderem daran, dass sie zunächst einmal registriert werden müssen, bevor neue Verbote erlassen werden können. Seit Einrichtung eines Frühwarnsystems im Jahr 1997 wurden EBDD und Europol mehr als 200 neue Drogen gemeldet.
„Es ist schwierig neue psychoaktive Substanzen proaktiv, und in diesem Sinne wirksam, zu regulieren“, erklärt der nationale Drogenbeauftragte Alain Origer vom Gesundheitsministerium. Bis Drogenfahnder herausbekommen haben, welche Drogen auf dem Markt sind, vergeht einige Zeit. Zumal in Luxemburg, wo es keine offiziellen Anlaufstellen gibt, bei der Konsumenten ihre Drogen offiziell und vor Strafverfolgung geschützt testen lassen könnten, und wo auch die Polizei nicht einfach Drogen kaufen kann, um ihren Reinheitsgehalt und die Zusammensetzung zu analysieren.
Im Jahr 2012 wurden über das EU-Frühwarnsystem (EWS) 73 neue psychotrope Substanzen erstmals offiziell erfasst. Inzwischen entdecken europäische Fahnder fast jede Woche eine neue Droge. Von diesen Substanzen waren 30 synthetische Cannabinoide, die Cannabis ähnliche Wirkungen aufweisen. Laut Drogenbericht „wurden diese Produkte, die extrem stark sein können, inzwischen in praktisch allen europäischen Ländern gemeldet“.
Wie groß der Markt von psychoaktiven Substanzen und „Legal Highs“ in Luxemburg ist, ist völlig unklar. „Sicherlich gibt es sie, aber wir haben keine gesicherten Erkenntnisse“, sagt Polizeisprecher Vic Reuter. Eine neue Polizeistrategie, die auch Drogenfahndung im Internet stärker berücksichtigen soll, „sei in Arbeit“. Mit anderen Worten: Bisher existiert sie kaum. Dabei sagt zumindest der nationale Drogenbericht von 2013, dass sich die chemischen Gemische auch hierzulande einiger Beliebtheit erfreuen: „Die Nutzung solcher Substanzen ist auch in Luxemburg zu beobachten, ihre Verbreitung übertrifft den Mittelwert der EU-Staaten.“ Das Gesundheitsministerium will deshalb noch in diesem Jahr eine Umfrage starten, um den Konsum von psychoaktiven Substanzen in Luxemburg genauer unter die Lupe zu nehmen. Das wäre ein Novum und ein wichtiger Grundstein, um Strategien zur Risikominimierung und Bekämpfung des Konsums so genannter Partydrogen zu entwickeln.
Wobei die Bekämpfung illusorisch ist. In einer Zeit, wo der Konsum von Drogen zumindest in einer bestimmten Altersgruppe geradezu zum Lifestyle geworden ist, wo jeder, auch die Eltern schon, Rauschmittel probiert hat oder auch konsumiert (und sei es legale wie Alkohol oder Zigaretten) und ohne viel Aufhebens im Internet kaufen kann, gleicht der Kampf gegen andere Rauschmittel dem gegen Windmühlen. Umso wichtiger wäre eine umfassende proaktive Aufklärungsarbeit über Risiken und Nebenwirkungen, aber die steckt in Luxemburg gerade hinsichtlich der psychoaktiven Substanzen noch in den Kinderschuhen. Immerhin: Das Projekt Party-Mag-Net des Cept richtet sich gezielt an das Konzert- und Partymilieu in Luxemburg und in der Großregion, ein Nachfolgeprojekt schult gezielt Fachkräfte aus dem Gesundheitssektor über die Risikominimierung beim so genannten Freizeitkonsum.
Dass eine Lockerung der Strafbestimmungen beim Freizeit-Drogenkonsum nicht ohne eine kontinuierliche und vor allem aktuelle Informations- und Risikoverminderungsstrategie funktionieren kann, ohne Konsumanreize befürchten zu müssen, sagen auch die Befürworter der Liberalisierung. Sie ist nicht zuletzt auch eine Frage der Finanzierung. Der Etat des Gesundheitsministeriums im Bereich Drogen und Sucht stieg 2000 von rund zwei Millionen Euro auf rund 8,5 Millionen Euro im Jahr 2012, das ist eine Steigerung von 316 Prozent. Allerdings war Jahrzehnte zuvor die Suchthilfe ein Stiefkind und Hoheit der Strafverfolgungsbehörden. Ob die neue Regierung dieselben suchtpolitischen Akzente setzen wird, wird sich zeigen, wenn das neue Budget vorgestellt wird. Größere Sprünge sind dennoch kaum zu erwarten, schließlich galt die Vorgabe des Finanzministers, zehn Prozent bei den Funktionskosten einzusparen, auch für das Gesundheitsministerium. Auf jeden Fall werden sich die Professionellen in der Suchthilfe darauf einstellen müssen, ihre Arbeit (noch) besser zu begründen. „Das wird eine Herausforderung“, sagt Jean-Nico Pierre von Jugend- an Drogenhëllef. Vor allem in der Suchtprävention dürfe nicht gespart werden, dort fehle es an dringend an Personal.
Aber vielleicht ist das die Gelegenheit, endlich wieder über die grundsätzliche Ausrichtung der Suchtbekämpfung zu diskutieren. Immer mehr Länder in Europa versuchen einen pragmatischen Umgang mit Rauschmitteln, auch weil deren Bekämpfung viel kostet und den Betroffenen wenig hilft, sie oft zusätzlich stigmatisiert und kriminalisiert. Eine Studie in den Niederlanden von 2003 hatte ausgerechnet: Von 2,1 Milliarden Euro, die der niederländische Staat in die Drogenpolitik investierte, waren 42 Millionen für die Prävention, 278 Millionen für die Behandlung, 220 für Risikoverminderung und 1,6 Milliarden Euro für die polizeiliche Drogenbekämpfung.