In ihrem diese Woche veröffentlichten Bulletin meinte die Zentralbank, dass sie sich erneut geirrt habe und die Preise weiter langsamer stiegen, als sie in ihren vorigen Prognosen angekündigt habe. Wörtlich schrieb sie das selbstverständlich nicht so. Aber durch das billige Erdöl, die billigen landwirtschaftlichen und industriellen Güter nehme die Inflation im Vergleich zu den bisherigen Vorausschauen der Zentralbank langsamer zu. So dass „le paiement de la prochaine tranche indiciaire est prévu pour le début de l’année 2016“. Bei einem jährlichen Wirtschaftswachstum, das dreimal höher als die Inflationsrate ausfällt, wäre die Preisentwicklung kaum der Erwähnung wert. Wäre da eben nicht die zumindest bei niedriger Inflation gewährte automatische Anpassung der Löhne und Renten an den Index. Denn der Index als Heiliger Gral des Sozialstaats macht die Beobachtung und Vorhersage der Verbraucherpreisentwicklung zu einer nationalen Panikwissenschaft.
Ende Juli hatte Wirtschaftsminister Etienne Schneider über Twitter die für LSAP-Wähler freudige Nachricht verbreitet: „Selon les dernières prévisions d’inflation, une indexation des salaires devrait se produire à la fin de cette année.“ Kurze Zeit später setzte das Statec dann der scheinbaren Großzügigkeit des Ministers einen Dämpfer auf und schätzte, dass erst nächstes Jahr mit dem Inflationsausgleich zu rechnen sei. Nun stellt sich die Zentralbank hinter die Prognosen des statistischen Amts.
Auf Druck Etienne Schneiders hatte die liberale Koalition die Indexdiskussion für ihre Amtszeit erfolgreich beigelegt, indem sie die provisorische Außerkraftsetzung des Indexautomatismus beendete: Wenn sowieso keine Inflation stattfindet, spielt es keine Rolle, was im Index-Gesetz steht. Der Schachzug war vielleicht erfolgreicher als erwartet, wenn der Minister nun über Twitter seine Wähler beruhigen muss, die fürchten, dass überhaupt keine Indextranchen mehr fällig werden. Dem Wirtschaftsminister, der Kraft seines Amtes für die industriellen und mittelständischen Unternehmen und nicht für die Lohnabhängigen und Rentner zuständig sein soll, wird seither ein leichtfertiger Umgang mit ernsthaften Fragen der Inflation und des Index vorgeworfen. Schließlich wird ihm nicht verziehen, dass er vergangenes Jahr bei der Universität eine apologetische Studie über die Auswirkungen des Index gekauft hatte.
Aber die Vertreter eines angeblich seriöseren Umgangs mit Fragen der Inflation und des Index sind kaum einen Deut besser. Sie malen Sommer wie Winter, Jahr ein, Jahr aus, und unabhängig vom Wirtschaftswachstum das Gespenst eines unmittelbaren Anstiegs der Inflation an die Wand. So entsteht der Eindruck, dass ein Ökonom, der einen Rückgang der Inflation voraussagt, ein verantwortungsloser Demagoge, und einer, der einen Anstieg, und sei es nur aus eingebildeter Vorsicht, voraussagt, ein ernsthafter Sachverständiger sei. So wird, ganz unabhängig von Zinspolitik, Golfkrieg, Quantitative Easing und chinesischer Nachfrage, ein volkswirtschaftlicher Vorgang unter anderen nicht erklärt, sondern zu einer moralischen Angelegenheit verklärt. Und schließlich ist es mit der Inflation wie mit dem Regen: Man braucht sie nur unbeirrbar und ausdauernd genug vorherzusagen, irgendwann kommen sie auch. Obwohl Unternehmern und Politikern unvoreingenommene und damit realistischere Einschätzungen bei ihren Entscheidungen weit nützlicher sind.
Das hängt selbstverständlich mit der an den Interessen der deutschen und anderer Exportindustrien orientierten Währungspolitik in der Euro-Zone zusammen. Doch hierzulande dramatisiert das automatische Indexsystem eben alles zusätzlich, das mit der Entwicklung der Verbraucherpreise zu tun hat, weil es direkte Auswirkungen auf die Lohnkosten und die Lohnverhandlungen hat.