Pünktlich zur Anhörung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor dem Ruling-Sonderausschuss des Europaparlaments (EP) offenbarte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel seinen Lesern das „Luxemburg-Prinzip“. Als Fallbeispiel für die Vermischung von Interessen, die Luxemburg durchsetze, wo Beamte „zugleich für den Staat und für die Industrie arbeiten“, dient Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP). Was Der Spiegel nicht sagt, ist dass Schneider als Beamter bei der Cegedel und der SEO, später bei Enovos und Creos die Interessen des Staates als Aktionär und der Verbraucher auf einem auf Geheiß der EU liberalisierten Strommarkt vertrat – zumindest war dies sein Auftrag. Das Bild von Schneider und seinem Rolls Royce, das den Artikel begleitet, suggeriert, dass Schneider mehr Geld kassiert hat, als ihm im Gegenzug für die geleistete Arbeit zustand – so rächt sich die anfängliche Offenheit Schneiders, der jedem Käseblatt seine Autos und seine Wohnung zeigte, um genau solchen Vorwürfen vorzugreifen.
Die Luxemburg-Schelte ist nur Mittel zum Zweck. Nach einem kleinen Umweg über Sarah Khabirpour, ehemalige Kabinettschefin von Luc Frieden, der erneut Interessenvermischung vorgeworfen wird, weil sie in den Verwaltungsräten der Bankenaufsicht CSSF und der Bank Bil tagte, sowie einer Abkürzung zu den Steuer-Rulings, landet das Nachrichtenmagazin schließlich da, wo es eigentlich hinwollte: beim „System Juncker“. Juncker habe den Briten Jonathan Hill als Kommissar für die Bankenregulierung zuständig gemacht. Seither sei der Regulierungseifer in Brüssel gebremst. Dass dies auch daran liegen könnte, dass das europäische Bankensystem seit 2008 einem größeren Umbau unterzogen wurde, der gerade erst in Kraft gesetzt wurde, bleibt unerwähnt.
So wird man auch ohne patriotisch-protektionistischen Reflex das Gefühl nicht los, dass aus eher harmlosen Sachverhalten ein Skandal gestrickt wird, statt dass wirkliche schwere Vergehen mit harten Fakten belegt werden. Denn bei den internen Kritikern, die das Magazin zitiert, handelt es sich um Mitglieder des selbsternannten Anlegerschutzvereins Protinvest, von denen eines einst Khabirpour in seinem Streit mit der Bil zum Eingreifen und damit aktiv zum Amtsmissbrauch aufgefordert hatte. Als sie sich weigerte, unterstellten ihr die gleichen Leute einen Interessenkonflikt. Dabei konnte der Betroffene, der Zeitungsredaktionen im Wochenrhythmus anruft, um Journalisten zu bearbeiten, nicht zwischen Verwaltungsrat und Direktion der CSSF und damit auch nicht zwischen den verschiedenen Aufgabenbereichen der beiden Gremien unterscheiden.
Dass Leute mit so wenig Glaubwürdigkeit ein derartiges Schadenspotenzial entfalten können, ist darauf zurückzuführen, dass man trotz Nation Branding in ausländischen Medien immer noch für solche Theorien empfänglich ist. Es liegt aber auch an den Nation-Branding-Botschaften selbst. So lange Luxemburger Regierungsmitglieder ausdrücklich Werbung damit machen, „wirtschaftsfreundlich“ und „nahe an der Indsutrie“ zu sein, ist nichts leichter, als ihnen diese „Nähe“ zur Wirtschaft vorzuwerfen.
Das Timing solcher Artikel im Vorfeld von Auftritten Junckers, der mit dem Anspruch angetreten war, eine politisch starke EU-Kommission anzuführen, sollte all jenen zu denken geben, die nun applaudieren, dies sei die Arbeit couragierter, unabhängiger Journalisten, die sich endlich zu sagen trauten, was bisher niemand gewagt hat. Denn am Ende bleibt die Frage, wer am meisten davon hat, wenn Juncker, der sich als Luxemburger Staatsminister Wirtschaftsvertreter vom Leib hielt, wo er nur konnte, und seine Kommission wenig Widerstand leisten können? Sind das etwa nicht wirtschaftsliberale, auf Haushaltsstrenge drängende nationale Regierungen? Oder Wirtschaftslobbyisten?