„Es ist mir noch nie passiert, dass mich jemand im Unterricht als der André Bauler von der DP wahrgenommen hat.“ Kaum zu glauben, aber genau das beteuert der Liberale Abgeordnete aus Erpeldingen. „Ich würde ich auch nicht wollen“, schiebt er hinterher.
Seit der Norddeputierte bei den Nationalwahlen 2009 den Sprung ins Parlament schaffte, hat er seinen Beruf als Wirtschaftslehrer am größten Lyzeum im Norden an den Nagel gehängt. Vorläufig jedenfalls. „Ich kann mir vorstellen, wenn der Wähler das so entscheidet, wieder in die Schule zu gehen. Jederzeit.“, sagt Bauler entschlossen.
Dass der stets korrekt gekleidete Wirtschaftslehrer während seiner aktiven Zeit am Wiltzer Lycée von seinen Schülern nicht mehr gefordert wurde, die Marktmechanismen im Turbo-Kapitalismus kontrovers zu diskutieren, erklärt Bauler damit, dass er 2009, als sich die Finanz- und Wirtschaftskrise auch in Luxemburg ausdehnte, bereits aus dem Schulalltag heraus war. „2008 war die Insolvenz von Lehman Brothers, erinnert sich Bauler. „Den vollen Umfang der Krise haben wir alle erst Monate später bemerkt.“
Den Niedergang einer der größten US-amerikanischen Banken hatte er mit damaligen 1e-Schüler noch im Unterricht diskutiert: an dem Beispiel ließ sich gut demonstrieren, wie ein überhitzter Immobilienmarkt und eine außer Kontrolle geratene Kreditvergabepraxis plötzlich zu einer Kettenreaktion führen kann, die Banken nicht nur in Amerika ins Wanken bringt. Mit drastischen Folgen für den kleinen Sparer, der sein Erspartes verliert, seine Wohnung und womöglich noch seine Arbeit, sowie für den hoch verschuldeten Staat, der es schwer hat, die heimische Wirtschaft wieder anzukurbeln. Dies auch weil Überwachungsmechanismen, wie eine effektive Bankenaufsicht, nicht gegeben waren und es zum Teil bis heute nicht sind.
Die Rolle des Staates in der Regulierung des Geldflusses und der Wirtschaft sei „ein Schlüsselthema“, das er mit seinen Schülern auf der D-Sektion im klassischen Lyzeum, aber auch Technique-Schülern mit Schwerpunkt Handel und Wirtschaft durchgenommen habe, so Bauler.
In den Schulprogrammen aus der nationalen Programmkommission liest es sich etwas dröger: Vor allem Wirtschaftstheorien, makro- und mikroökonomische Ansätze und monetäre Theorien stehen auf dem Menüplan der Wirtschaftsschüler. Dabei sind es meist Beispiele „aus den Nachrichten“, die „den Unterricht für den Schüler interessant machen“, sagt Bauler, der ansonsten betont, der Staat solle sich aus den pädagogisch-didaktischen Lehrinhalten heraushalten. „Das ist Sache des Lehrers.“ Spannende Geschichten, die das Leben schreibt und die zeigen, wie wirtschaftliche Krisen Politik bestimmen und umgekehrt. Wer diese noch so aufzubereiten weiß, dass die Jugendlichen die Bedeutung für sich und ihr Leben verstehen, dürfte es leichter haben. „Es kommt auf den Lehrer und seine Beziehung zum Schüler an“, sagt André Bauler, eine Grund-überzeugung, die auch Eingang in das jüngste Reflexionspapier der Liberalen zum Luxemburger Schulwesen und die Reformen der sozialistischen Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres gefunden hat. An-dré Bauler ist bildungspolitischer Sprecher der DP.
Als Lehrer unterrichtete der Wirtschaftswissenschaftler häufig auch Technique-Klassen. „Das ist etwas weniger theorielastig und dafür praxisorientierter“, sagt er. Womit aber keineswegs weniger anspruchsvoll gemeint ist. Im erst in den 90-er Jahren eingeführten mündlichen Examen habe es „öfters auch mal Fragen gegeben, da musste auch ich zweimal überlegen“, erinnert er sich. An aktuellen Beispielen Wirtschaftsphänomene zu erklären, hat Bauler Spaß gemacht.
Eine gute Gelegenheit verpasst er gerade. Als er seinen Job als Lehrer vorläufig an den Nagel hängte, zeigte sich die internationale Dimension der Bankenkrise, die bis heute nicht überwunden ist. Soeben melden Nachrichtenagenturen, Spaniens Banken hätten weitere faule Kredite in ihren Bilanzen – die weiterhin auf die internationale Kreditwürdigkeit Spaniens und auf den Euro drückten. Ein Desaster für das Königsreich mit gefährlichen Folgen für den Euroraum. Und ein sehr reales Beispiel, dafür, dass Theoriegebäude wie der Keynesianismus, die reine Markwirtschaft oder monetäre Theorien an ihre Grenzen stoßen.
Es gehe darum, den „Schüler Zusammenhänge zwischen Politik und Wirtschaft zu vermitteln“, so Bauler. „Es ist eine ewige Frage, wie viel Staat in einer Marktwirtschaft sein soll. Der Staat setzt einen Rahmen und gewisse Spielregeln und trägt Verantwortung, die Schwachen zu stärken sowie Starken zu ermöglichen, etwas für das Gemeinwohl tun zu können.“ Dass ein Staat wie Griechenland nicht jahrzehntelang mehr ausgeben kann, als er einnimmt, sondern eines Tages die Rechnung fällig wird, müsse jedem einleuchten. Wie der Geldfluss funktioniert, wie Zentralbanken darüber die Wirtschaft stimulieren oder bremsen können, aber auch andere monetäre Zusammenhänge werden im Classique eher theoretisch studiert. Bei Initiativen wie den „Jonk Entrepreneuren“ (www.jonk-entrepreneuren.lu) lernen Schüler, was es braucht, um ein eigenes Unternehmen gründen. In Projektarbeiten lernen Jugendliche zudem oft ganz praktisch, eigenes Geld zu verdienen, zu verwalten und die Ausgaben sinnvoll zu planen.
Dabei sei oberste Maxime, „eben nicht ideologisch zu sein,“ auch mit blauer Parteikarte nicht, sagt Bauler bestimmt. Andererseits: Dass Luxemburg mit seinem Finanzplatz eine spezielle Beziehung mit der Finanzwelt verbindet, sei nicht zu leugnen. „Wir haben natürlich auch diskutiert, was es heißt, wenn ein Land so sehr vom Finanzplatz abhängt wie Luxemburg“, so Bauler. Oder was es bedeutet, wenn der Staat plötzlich mit Millionenkrediten so genannte systemische Banken unterstützt und warum er das tut – und wie schwierig, es ist, den Nutzen davon einzuschätzen. „Wirtschaftswissenschaften sind keine exakte Wissenschaft. Da ist viel Psychologie mit im Spiel.“ Was derzeit gut am griechischen Beispiel studiert werden kann: Soeben haben die Griechen ihr neues Parlament gewählt und den am Euro festhaltenden Konservativen der Nea Demokratia und damit dem Euro ihre Stimme gegeben. Das erhoffte Kursfeuerwerk an den internationalen Börsen blieb aber, bis auf ein kurzes Aufflackern, aus.
Die Finanzwelt sei eine amoralische Welt, die an die unmoralische grenze, äußerte sich ein Psychologe und Coach kürzlich in der britischen Tageszeitung Guardian. Im Gespräch wollte er anonym bleiben, um seine Kundschaft – wichtige Persönlichkeiten in der Finanzwelt – nicht zu verprellen. Der Psychologe beschreibt verschiedene Banker als skrupellose desillusionierte Karrieristen, die nur eines im Sinn hätten: noch mehr Geld für sich zusammenzuraffen.
Wirtschaftethische Überlegungen spielen in offiziellen Lehrplänen keine große Rolle. „Das wäre vielleicht eine Idee, diese im Stundenplan fest vorzusehen“, so Bauler, der sich selbst als Sozialliberalen versteht. Dass es in unregulierten Märkten, auch in unregulierten Finanzmärkten, zu Auswüchsen kommt, bestreitet Bauler nicht. „Wir tragen alle Verantwortung. Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung.“