Position der Stärke war das Wort, das am häufigsten beschworen wurde, als die Gewerkschaften Apess und SEW am Montag zur Pressekonferenz riefen. Diese haben sie zweifellos: Spätestens seitdem im Dezember, je nach Schätzungen, zwischen 2 500 und 3 000 Lehrer in Bartringen gegen die Schulreformen und gegen Änderungen des Beamtenstatuts protestierten, befinden sich die Gewerkschaften im Aufwind. Am Dienstag stimmten überdies rund 1 200 Grundschullehrer der CGFP-Unterorganisation SNE gegen die Reform des Beamtenstatuts sowie gegen wesentliche Elemente der Grundschulreform und erklärten sich bereit, um ihre Forderungen durchzusetzen, notfalls bis zum Streik gehen zu wollen – und sich mit den anderen Gewerkschaften zu verbünden.
Damit sieht sich die Unterrichtsministerin einem Widerstand auf breiter Front gegenüber: Lehrerfront wohlgemerkt. Es ist, nach den Pannen im Dossier Fußballstadion, der größte strategische Fehler der schwarz-roten Regierung, die Reform des öffentlichen Dienstes in dieselbe Amtszeit wie die der Sekundarschule gelegt zu haben. Die Empörung gegen niedrigere Anfangsgehälter und neue Bewertungssysteme verknüpfen die Gewerkschaften nun geschickt mit dem Unmut gegenüber Reformen. Dass manche Lehrer nicht froh sind, bewertet zu werden, obwohl sie selbst nichts anderes tun, überrascht nicht. Genauso wenig, dass viele Mitarbeitergespräche kategorisch ablehnen. Jahrhundertelang war der Beruf des Lehrers mit dem des Arztes vergleichbar: Der Lehrer war sein eigener Herr, in seine Arbeit sprach ihm keiner hinein. Nun Rechenschaft ablegen zu müssen, ist ungewohnt, dazu von außen diktiert. Entsprechend heftig fallen manche Reaktionen aus.
Problematisch ist die Verknüpfung mit den Schulreformen: Inzwischen werden Stimmen lauter, die die überarbeiteten Zeugnisse in der Grundschule kippen wollen. Dabei hatten die Gewerkschaften dem Kompromiss im Sommer selbst zugestimmt. Was zu denken gibt: Viele der Argumente sind erschreckend wissenschaftsfrei. Wo sind die Studien, wo die erziehungswissenschaftlichen Belege oder pädagogisch-didaktischen Argumente dafür, dass ein Bewerten entlang einer Punkteskala besser ist? Dass Luxemburgs eklatant hohe Klassenwiederholerquoten den Schülern in der Breite etwas bringen? Oder dass die geplante automatische Versetzung nach der 7e zur massenhaften Schülerdemotivierung führt?
Wie kann es sein, dass bildungswissenschaftlich anerkannte Instrumente der Schulentwicklung, wie der Plan de réussite scolaire, den übrigens Lehrer und Eltern gemeinsam erarbeiten, von Gewerkschaften abgelehnt werden mit dem Argument, Schulen hätten schon früher Projekte gemacht, man brauche das nicht? Einzelne Projekte ja, aber eine systematische Schulentwicklung hat es in Luxemburg nie zuvor gegeben. Die Schule von heute sieht sich anderen Herausforderungen gegenüber als noch vor zehn, 20 Jahren. Und doch scheinen wachsende Teile der Lehrerschaft das zu boykottieren, wofür sie doch eigentlich einstehen müssten: für einen dauerhaften Lehr- und Lernprozess, für pädagogische Entwicklung.
Das Problem ist nicht, dass es Kritik an Reformen gibt, sondern dass sich zunehmend eine reformfeindliche Stimmung im Land ausbreitet. Einige verstehen unter Demokratie offenbar, dass Forderungen eins zu eins übernommen werden müssen. Dass zuvor Parteien mit einem politischen Auftrag gewählt wurden, ist irrelevant. Die Macht der Lehrergewerkschaften in Luxemburg ist groß, Lehrer sind eine wichtige Wählerschaft. Ihre Stärke ist zugleich eine elementare Schwäche: Sie behindert notwendige Entwicklung in diesem Land.