Seit über zwei Jahren liegt der Gesetzentwurf über die Einführung eines Verbraucherschutzkodex, dem Code de la consommation, vor. Es ist eine gesetzliche Schwergeburt und die Wehen dauern an. Besonders um die neuen Bestimmungen über die Informationspflicht vor der Vergabe von Verbraucherkrediten dürfte in den kommenden Wochen gefeilscht werden. Die Bankenvereinigung ABBL befürchtet, den Kreditgebern werde eine zu hohe Verantwortung auferlegt, was zahllose Klagen nach sich ziehen werde. Die Verbraucherschutzorganisation ULC glaubt im Gegenteil, der Verbraucher selbst werde zu stark in die Pflicht genommen.
Die Schaffung eines solchen Kodex hatte sich schon die Vorgängerregierung ins Programm geschrieben, und der Gesetzentwurf kann durchaus als Beispiel für einen schlechten Rechtsschaffungsprozess dienen. In dem Entwurf sollten ursprünglich bereits bestehende Verbraucherschutzdispositionen zusammengefasst und außerdem die europäische Richtlinie zu unlauteren Geschäfts-praktiken aus dem Jahr 2005 umgesetzt werden. Weil Luxemburg mit der Umsetzung besagter Richtlinie bereits in Verzug war und sich deswegen in Brüssel ein Verfahren anbahnte, wurde sie vergangenes Jahr aus dem Entwurf wieder herausoperiert und vom Kodex unabhängig angenommen.
Um den sich damals bereits anbahnenden Richtlinien zu Timesharing und der Vergabe von Verbraucherkrediten vorzugreifen, hatte der ursprüngliche Entwurf bereits Elemente dieser Richtlinien aufgegriffen. Doch weil der Gesetzgebungsprozess in Brüssel schneller voranschritt als in Luxemburg, hat die CSV-LSAP-Regierung Ende Mai die endgültigen Richtlinien über Änderungsvorschläge in den Gesetzentwurf eingebaut – und wird sie dennoch nicht fristgerecht umsetzen. Allerdings bleibt Regierung und Abgeordneten ohnehin wenig Diskussions- und Handlungsspielraum. Weil die EU-Kommission eine größtmögliche Harmonisierung der Verbraucherrechte innerhalb der EU anstrebt, dürfen die Länder bei der Umsetzung in nationales Recht weder über das hinausgehen, was die Richtlinie vorschreibt, noch unter den darin vorgeschriebenen Standards bleiben.
Dabei legen die Gesetzgeber bei ihrem Vorhaben, bestehendes Verbraucherrecht zu kodifizieren eine gewisses Maß an Inkohärenz an den Tag. Nicht alle Gesetze, die ihren Platz im Kodex hätten, werden intergriert. Zum Beispiel das Gesetz von 1987 über die Hausiererei. Das ist laut Berichterstatter Alex Bodry (LSAP) „ein Schönheitsfehler“, den er bedauert, für den er aber eine Erklärung hat: Weil Brüssel es nicht erlaubt, die Hausiererei zu verbieten, wolle die Regierung das Gesetz nicht in den Kodex aufnehmen, um die Aufmerksamkeit der EU-Behörden nicht unnötig auf das unrechtmäßige Verbot zu lenken. Solche Inkonsequenzen machen den Kodex, der die Übersichtlichkeit im Sinne der Verbraucher steigern soll, eher undurchsichtiger. Darf, kann, soll man Hausierern nach einem grimmigen „Mir kafe näischt“, die Polizei hinterherschicken? Im Kodex wird man dazu keine endgültige Anwort finden.
Im Kodex gestärkt werden die Verbraucherrechte im Wesentlichen durch harmonisierte Informationspflichten für Anbieter von Dienstleistungen und Waren. Das bezieht sich sowohl auf die Informationen, die dem Verbraucher vor Vertragsabschluss zur Verfügung stehen müssen, wie auf den Inhalt der Verträge selbst. Anbieter, die in Zukunft nicht das halten, was die Werbung – oder die Produktbeschreibung – versprochen hat, oder ihre Preise nicht nach Vorschrift auszeichnen, sollen künftig wie Verkehrssünder durch Avertissements taxés abgemahnt werden. Dadurch soll es einfacher werden, solche Anbieter zu strafen, die sich nicht an die Regeln halten, ohne dass die Staatsanwaltschaft einschreitet, was in der Vergangenheit oft zu langen Prozeduren führte mit dem Resultat, dass die Fälle beigelegt wurden.
Weil im Kodex dermaßen viel Wert auf Vorabinformationen für die Kundschaft gelegt wird, und künftig gar Werbeversprechen als integraler Teil des Kaufvertrags zu bewerten sind, ist es umso unverständlicher, dass der Kodex die juristische Bedeutung von Kostenvoranschlägen nicht klären wird. Von einer „lacune“ ist im Sitzungsprotokoll der Parlamentskommission die Rede. Auch Berichterstatter Bodry findet die Luxemburger Gesetzgebung diesbezüglich „zu rudimentär“. Ein neues Gesetz nach dem Beispiel Frankreichs, das detailliert regelt, welche Informationen ein Kostenvoranschlag enthalten muss, wie es die ULC fordert, findet er übertrieben. Ob das Problem noch durch Änderungsanträge in diesem Gesetzentwurf angegangen wird oder aber auf später verschoben, bleibt abzuwarten.
Auf Brüsseler Initiative werden zudem die Rücktrittsfristen standardisiert. Der Verbraucher soll künftig 14 Kalendertage Zeit haben, um sich aus einem abgeschlossenen Vertrag zurückzuziehen. Das gilt für quasi alle business-to-consumer-Verträge. Außer für den Internethandel, dort soll eine Frist von sieben Tagen gelten. Die zuständige Parlamentskommission hat sich für die verkürzte Frist entschieden, um die Luxemburger E-Commerce-Branche nicht in ihrer Entwicklung zu behindern, rechtfertigt sich Bodry. Eine Erklärung, welche die ULC als Unsinn abtut: „Eine 14-Tages-Frist macht Luxemburg als Standort für Internet-Unternehmen nicht unattraktiver. Wenn die Firmen Waren oder Dienstleistungen an Kunden in anderen EU-Ländern verkaufen, müssen sie sich ohnehin an die dort geltenden Regeln halten. Das sind 14 Tage“, sagt Bob Schmitz, Rechtsberater der ULC.
Hauptzwist zwischen ABBL und ULC ist die Informationspflicht und die Verteilung der Verantwortung zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber. Weil die Richtlinie darauf abzielt, Verbraucher vor der Überverschuldung zu schützen und Licht ins Dunkel der Kreditvergabepraxis außerhalb des normalen Bankenkreislaufs zu bringen, sollen alle Kreditgeber gezwungen werden, ein europäisches Standardformular einzusetzen, das dem Verbraucher detailliert alle eventuellen Kosten darlegt. Zu den obligatorischen Informationen gehören auch die, ob der Kunde eine Versicherung abschließen muss und ein Beispiel, das zeigt, wie hoch der effektive Jahreszins ist.
Den Kreditgebern wird die Pflicht auferlegt, die Kreditwürdigkeit des Kunden zu bewerten. Weil es in Luxemburg kein zentrales Register gibt, in dem die Kreditwürdigkeit der Verbraucher vermerkt ist, sollen sich die Darlehensgeber bei ihrer Bewertung auf die Informa-tionen über Einkommen und bestehende finanzielle Engagements stützen, die ihnen die Antragsteller integral vorlegen müssen. Mehr oder weniger streng, gilt dies für alle Arten von Konsumentenkrediten bis zu 75 000 Euro, also auch auf solche ohne befristete Laufzeit, sprich Kreditlinien und Konsumkarten. Das dürfte vor allem die ULC freuen, die in ihrem Gutachten darauf hinweist, dass immer mehr Kredite von zweifelhaften Leihern außerhalb des Bankensystems vergeben werden. Und könnte auch dem Problem entgegenwirken, das der Service d’information et de conseil en matière de surendettement (SICS) von Inter-Actions asbl in seinem Jahresbericht 2009 festhielt. Immer öfter, stellt der SICS fest, nehmen Leuten ohne festes Einkommen und ohne Aussicht auf eine feste Anstellung Kredite auf und verschulden sich dadurch über ihre Möglichkeiten hinaus (d’Land 26.02.2010).
Den Verbraucherschützern entgegenkommen dürfte auch die Liste, auf der sich die Kreditvermittler (intermédiaires de crédit) eintragen sollen, wo sie außerdem offenlegen müssen, wer am Ende dem Kunden das Geld tatsächlich leiht (prêteur). Zudem soll der Verbraucher künftig seine Rechte wahren, wenn sein Kredit vom Darlehensgeber weiterverkauft wird. Oft genug ist dem Verbraucher nicht klar, wer ihm Geld leiht und wem er es schuldet. Wer beispielsweise zum Anlass der Fußball-WM einen neuen Großbildschirmfernseher kauft und dafür via Kundenkarte mit blumigem Namen einen Kredit aufnimmt, weiß nicht unbedingt, wer im Endeffekt das Geld vorstreckt. Der Supermarkt oder Elektrowarenhandel, bei dem er den Fernseher auf den Einkaufswagen gehievt hat, oder ein anderes Kreditinstitut? Kann der Käufer sich die Raten für den Fernseher nicht mehr leisten, ist die Gefahr groß, dass sein Darlehen zusammen mit dem anderer säumiger Kunden an professionelle Geldeintreiberfirmen verkauft wird. Plötzlich schuldet der Kunde einer Firma Geld, mit der er nie wissentlich eine Geschäftsbeziehung eingegangen ist.
Die vorgeschlagenen Methode stellt allerdings weder die Vertreter der Banken, noch die der Verbraucher zufrieden. Bevor der Vertrag über einen Kredit abgeschlossen wird, muss der Darlehensgeber sicher stellen, dass der Kunde alle Informationen erhält, die er braucht „jusqu’à ce qu’il soit en mersure de porter un jugement éclaireé sur les offres“, kommentieren die Gesetzautoren den betreffenden Artikel. Demnach zählt nicht nur, dass der Kunde informiert wird, sondern auch das Resultat dieser Informationsbemühungen. Das stellt die Bankiers vor die Frage, wie sie sicherstellen sollen, dass ein jeder Kunde verstanden hat, was beispielsweise der effektive Jahreszins ist und ob, falls er es nicht versteht, der Kreditgeber dafür haftbar gemacht werden kann. Diese Obligation de résulat, geht der ABBL zu weit. Wohl könne der Kreditgeber verpflichtet werden, den Kunden zu informieren und ihm alle nötigen Erklärungen zum Vertrag zu geben. Er könne aber nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass der Kunde den Erklärungen folgen kann. Dann müsse er ja auch feststellen, wie gut der Kunde verstanden hat, „was weder vernünftig noch machbar ist (...) und riskiert, zahlreiche Rechtsstreitigkeiten nach sich zu ziehen.“
Die ULC kritisiert ihrerseits, dass der Gesetzentwurf Kreditgeber, die sich wenig Mühe geben, die Kreditwürdigkeit von Antragstellern richtig einzuschätzen, nicht streng genug an die Kandare nimmt. Die Verantwortung zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber sei nicht ausgewogen verteilt, sagt der Rechtsberater der ULC. Weil die rechtliche Verantwortung, die zur Evaluierung notwendigen Informationen vorzulegen, beim Verbraucher liegt, „können die Kreditgeber bei Zahlungsausfällen ganz schnell die Hände in Unschuld waschen und sagen: ‚Wir haben von den anderen Verbindlichkeiten nichts gewusst, die hat der Kunde nicht offengelegt‘“, so Bob Schmitz.
Die ULC fordert, den Kreditgebern zumindest eine gewisse Beweislast aufzuerlegen. Das würde sich, erklärt Schmitz, mittels eines klar definierten Fragebogens bewerkstelligen lassen, der vor Kreditvergabe ausgefüllt werden müsste. So könne man sicherstellen, dass die Kreditgeber sich auch um die Informa-tionen bemühen, die ihnen die Antragsteller vorlegen sollen. Besonders, wenn es sich beim Darlehensgeber nicht um eine Bank handele sei das wichtig, betont Schmitz. „Das Problem ist allerdings, dass die Autoren des Gesetzes immer noch davon ausgehen, dass ein Kredit in der Bank und nicht im Kaufhaus oder beim Autohändler abgeschlossen wird.“ Die Bankiers sind sich dessen nur zu gut bewusst und bedauern deswegen, dass die Rücktrittsfrist auf 14 Tage verlängert wurde. Das könnte dazu führen, dass die Kreditgeber das Darlehen überhaupt erst nach dieser Frist freigeben, um zu vermeiden, dass sie Gelder überweisen, die sie nachher wieder einfordern müssen. Solche Verzögerungen könnten hingegen die Kunden verärgern, „die ihr Geld schnellstmöglich haben wollen“, besonders wenn das Darlehen an einen Kaufvertrag für beispielsweise besagten Fernseher gebunden ist. Denn muss der Kunde zwei Wochen auf das Geld und damit auf seinen Fernseher warten, riskiert er das Fussball-WM-Finale zu verpassen.