d’Lëtzebuerger Land: Herr Reding, ist der OGBL für oder gegen eine nachhaltige Entwicklung in Luxemburg?
Jean-Claude Reding: Warum sollte er dagegen sein? Auf dem Nationalkongress 2009 stand dieses Thema an vorderer Stelle der Programmresolution. Darin wird der Klimaschutz eine „priorité existentielle“ genannt und für einen ökologischen Umbau der Wirtschaft plädiert.
Aber zu dem Gutachten des Nachhaltigkeitsrats über die öffentlichen Finanzen haben Sie bemerkt: „Wir sind gegen eine nachhaltige Entwicklung, die uns arm macht.“ 2008 sind Sie aus dem Nachhaltigkeitsrat ausgetreten. Und vor einem Monat, als die Klima- und Umweltpartnerschaft, in der seit Oktober Vertreter der Regierung, der Sozialpartner, von Gemeinden und NGOs über Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung diskutieren, ihre erste Pressekonferenz abhielt, nahm daran niemand von den Gewerkschaften teil. Auch vom OGBL nicht.
Den Nachhaltigkeitsrat habe ich aus persönlichen Gründen verlassen: Ich fand, ich hatte mir zu viel zugemutet. Inhaltlich wurden dort interessante und zum Teil ganz gute Debatten geführt. Es gab Dissens über das Wie eines ökologischen Umbaus, aber den gibt es in der Gesellschaft generell. An der Klima- und Umweltpartnerschaft war der OGBL von Anfang an beteiligt. Wir haben in allen Arbeitsgruppen mitgewirkt, in denen wir meinten, nützliche Beiträge liefern zu können. Unklar war uns aber, was dieses Partenariat sein sollte: Eine Plattform zum Austausch mit der Regierung über deren Konzepte? Oder ein Gremium, das funktio-niert wie der Wirtschafts- und Sozialrat oder der Nachhaltigkeitsrat, weil dort alle Beteiligten ihre Ideen einbringen und man sie anschließend diskutiert?
Das Partenariat ist etwas Hybrides. Beamte spielen da eine große Rolle als „Fachleute“. Aber letzten Endes können sie nicht völlig frei sein; sie müssen einer Linie der Regierung folgen. Wir konnten jedoch nie eine Linie der Regierung erkennen. Als es zum Schluss hieß, die Debatten im Partenariat würden für die Regierung geführt und aus den Berichten der Arbeitsgruppen bilde der Regierungsrat seine Position, fanden wir, eine Teilnahme an dieser Pressekonferenz wäre einer Werbung für die Regierung gleichgekommen. Aber eine Regierung wird dafür gewählt, Ideen zu haben, und nicht, um auf die Suche nach Anregungen zu gehen.
Gibt es einen Konflikt zwischen sozialem und ökologischem Fortschritt, weil nachhaltige Entwicklung „arm macht“?
Ich erkenne keinen Konflikt zwischen sozialem und ökologischem Fortschritt, sondern zwischen der heute vorherrschenden ökonomischen Logik zum einen und der sozialen und der ökologischen Dimension in der Gesellschaft zum anderen. Eine Ökologisierung der Wirtschaft ist notwendig. Aber je nachdem, wie man diesen Prozess beeinflusst, können die Bezieher kleiner bis mittlerer Einkommen besonders stark belastet werden. Die Gefahr besteht zum Beispiel, wenn man einseitig an den Preisen dreht und behauptet, jeder könne sein Verhalten so ändern, dass er den Unterschied nicht spürt. Das ist für eine ganze Reihe Leute ein ziemlich theoretischer Diskurs. Ähnliches gilt für die Verzichtslogik. Man kann sagen, es werde überflüssig konsumiert und jeder könne sein Geld qualitativ besser ausgeben. Aber das fällt mit einem Monatseinkommen von 10 000 Euro leichter als mit dem Mindestlohn.
Und schließlich: Wenn es einen ökologischen Umbau geben soll, muss man den Leuten eine Perspektive geben. Nehmen wir den LKW-Fahrer, der Gemüse quer durch Europa transportiert. Wenn wir morgen endlich zur Einsicht kommen, dass jeder am besten Lebensmittel aus der nahen Region beziehen sollte, dann fällt der Arbeitsplatz dieses Fahrers wahrscheinlich weg. Wenn wir sagen, Transporte gehören auf die Schiene und nur zur Verteilung über kurze Distanzen kommen LKW in Frage, dann muss man den Betroffenen sagen, was mit ihnen geschieht. Sonst fangen sie morgen an, sich zu wehren. Solche Transaktionsfragen werden bisher ganz, ganz wenig debattiert. Es wird nicht positiv gedacht, um den Leuten zu zeigen: Eine Transformation eurer Arbeit bietet neue Perspektiven.
Weiß man denn, in welchen Branchen es hierzulande welche Transformationsrisiken und Entwicklungschancen gibt?
Leider wurde bisher versäumt, sekto-rielle Analysen zu machen. Der OGBL hatte schon vor den letzten Wahlen vorgeschlagen zu untersuchen, welche Änderungen sich in allen Wirtschaftsbereichen ergeben, falls man CO2 einspart. Unserer Ansicht nach sollte auch die Großregion einbezogen werden, denn vielleicht bestehen Möglichkeiten zur Kooperation. Immerhin kann man sich vorstellen, dass viele Bereiche betroffen wären – vom Maschinenbau über den Wohnungsbau bis hin zur Berufsausbildung.
Konsens bestand im Partenariat über das politische Ziel, die Erderwärmung nicht über zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit ansteigen zu lassen. Kürzlich erschien eine Studie für die Caritas und die Action solidarité tiers monde über die gerechte Verteilung der noch möglichen CO2-Emissionen. Demnach müsste Luxemburg mit seinen hohen Pro-Kopf-Emissionen und seinem hohen Pro-Kopf-Einkommen nicht nur viel mehr CO2 einsparen, als die Regierung vorsieht, sondern auch erhebliche geldwerte Beiträge an Entwicklungsländer leisten. Was wahrscheinlich auf großen Verzicht hinausliefe.
Man kann das nicht auf „reiche“ und „arme“ Länder reduzieren. Weltweit besteht die Herausforderung darin, Produktionsweisen massiv umzustellen. Von den Folgen am meisten betroffen ist die Masse der Menschen, die nicht so reich sind. Das sind in den Dritte-Welt-Ländern und den Schwellenländern natürlich mehr als bei uns, aber bei uns sind es ebenfalls welche. Wir wissen: Die Menschheit erreicht ihre Klimaziele nicht, falls in Staaten wie China und Indien so produziert und konsumiert wird wie bei uns. Genauso wissen wir, dass die Menschen dort eine Verbesserung ihres Lebensstandards wünschen und Europäer und Amerikaner keine Verschlechterung ihres Lebensstandards wollen. Da fragt sich: Was ist ein guter Lebensstandard? Und: Entscheidet sich das nur daran, wie viel man hat, oder auch an der Qualität dessen, was man hat? Ich meine, wir müssten uns darauf konzentrieren, anders zu produzieren und qualitativ andere Vorstellungen von dem, was man individuell und als Gesellschaft haben will, in die Debatte aufzunehmen. Dass man da auf Streitfragen trifft, ist klar.
Welche Qualitätsziele könnten das sein?
Die Salariatskammer hat mit der Caritas und dem Mouvement écologique eine Studie über Energieeffizienz und Wohnungsbau erstellen lassen. Darin nennen wir es zum Beispiel eine Illusion und nicht tragbar, falls jeder ein Einfamilienhaus mit ein paar Ar Grünfläche haben wollte. Ich denke, in einer Ortschaft, die dichter bebaut und besiedelt ist, wohnt man nicht schlechter. Wegen kürzerer Wege kann das sogar positiv sein. Und wer davon träumt, eines Tages in einem Schloss zu leben, aber eigentlich weiß, dass er sich das nie leisten kann, ist vermutlich zufrieden mit einem Apartment oder einer Wohnung, in der sich angenehm leben lässt, die gute Fenster und eine ordentliche Heizung hat.
Wie bringen Sie denn den Mitgliedern des OGBL solche Qualitätsziele nahe?
Das ist eine permanente Diskussion, die vor allem auf Kongressen geführt wird. Man muss versuchen, sie tiefgründig zu führen. Wie gut uns das gelingen wird, weiß ich nicht. Mir ist klar, dass unsere Mitglieder dem OGBL aus ganz unterschiedlichen Gründen angehören.
Das heißt, die Nachhaltigkeitsdiskussion im OGBL ist nicht einfach?
Ja, und dessen bin ich mir bewusst. Gewerkschaft heißt Vielfalt; das ist anders als in politischen Parteien. Man tritt nicht den Grünen bei, wenn man für Atomenergie ist. Man kann aber einer Gewerkschaft angehören, die sich gegen Atomenergie ausspricht, und selber dafür sein.
Während der Tripartite-Debatten letztes Jahr hat der OGBL so nachdrücklich den Erhalt der Kaufkraft verlangt, dass mich ein wenig überrascht, Sie heute von qualitativen Zielen in einer Verzichtsdiskussion sprechen zu hören.
Ein Mehr an Qualität hat für mich nichts mit Verzicht zu tun. Wenn wir unseren Stromverbrauch einschränken, die Elektrizität aber weiterhin aus Atomenergie oder altmodischen umweltverschmutzenden Kohlekraftwerken beziehen, haben wir nichts erreicht. Wenn wir erneuerbare Energien fördern und entwickeln, auf energieeffiziente Technologien setzen, können wir unsere Umweltziele erreichen und langfristig unsere Lebensqualität verbessern. Kurzfristig entstehen neue Betriebe und Arbeitsplätze, statistisch schlägt sich das in einer Steigerung des Bruttoszialprodukts nieder. Und schließlich: Warum soll die große Mehrheit der Arbeitnehmer Verzicht üben in einer Gesellschaft, die zunehmend ungleicher wird, in der oft unverschämter Reichtum zur Schau gestellt wird, während sie selbst sich Sorgen um den Erhalt ihres Lebensstandards machen müssen?
Wie ist das Verhältnis zwischen OGBL und NGOs wie dem Mouvement écologique?
Meiner Ansicht nach konstruktiv. In Luxemburg beziehen Umweltorganisationen ganz stark soziale Elemente in ihre Überlegungen ein. Der OGBL wiederum stellt Überlegungen an, die über das Soziale hinausgehen, und nimmt Umweltziele in seine Strategien auf. Dass es in Detailfragen unterschiedliche Ansätze gibt, ist normal und kann sogar bereichernd sein.
Luxemburg ist seit Jahrzehnten hohe Wachstumsraten gewöhnt. Müssten wir künftig darauf verzichten oder ein inhaltlich anderes Wachstum anstreben?
Ich plädiere für Letzteres. Wir haben ein Klimaproblem, das wir in den Griff bekommen müssen. Dazu muss im Weltmaßstab eine Explosion des Bevölkerungswachstums verhindert werden. Auf globaler wie nationaler Ebene müssen überflüssige Transporte abgeschafft und Produktionsprozesse so umgestellt werden, dass sie ressourcenschonender werden oder auf verschiedene Ressourcen ganz verzichtet wird. Dass in einer Wirtschaft, die seit 30 Jahren immer weiter liberalisiert wird, die These aufkommt, es ließe sich politisch über Wachstumsgrade entscheiden, erstaunt mich. Wer das behauptet, müsste die Rolle der Staaten und der EU gegenüber der Wirtschaft erst einmal entsprechend stärken. Persönlich meine ich wie viele Gewerkschaftler, dass mehr regulierende Eingriffe der öffentlichen Hand möglich sein sollten. Und schon ein inhaltlich anderes Wachstum erfordert eine andere Wirtschaftspolitik, eine stärkere Rolle für die Staaten und die EU und eine Abkehr von den einseitig marktorientierten wirtschaftsliberalen Theorien, die uns in die Sackgasse geführt haben.
Welche Rolle beim ökologischen Umbau könnte eine Steuerreform spielen? Grundsätze dafür soll die Partnerschaft für Klima und Umwelt diskutieren ..,
... und zwar wiederum, ohne dass die Regierung gesagt hat, was sie davon hält und worüber geredet werden soll. Geht es nur um höhere Verbrauchssteuern? Oder um eine fundamentale Steuerreform, die auch die Besteuerung der Einkünfte und die der Unternehmen einschließt? Dazu weiß ich nichts Offizielles und habe noch keinen Minister dazu gehört. Es ist ja nicht Herr Schank, sondern Herr Frieden, der die Ideen der Regierung zu diesem Thema erläutern müsste.
Luxemburg setzt auf energetische Gebäudesanierung. Man könnte sagen, um dazu in großem Maß anzureizen, seien die Energiepreise noch zu niedrig. Könnte eine Energiesteuer nachhelfen?
Ich glaube nicht an eine Energiesteuer zur Lenkung des Verbraucherverhaltens. Denn sie müsste so konzipiert werden, dass sie irgendwann keine Einnahmen mehr liefert, und ich kann mir keinen Finanzminister vorstellen, der das täte. Also ginge es um eine neue Einnahmequelle. Da brächte eine Besteuerung der Finanztransaktionen wahrscheinlich mehr, wäre so-zial gerechter und würde überdies die Spekulation dämpfen. Weil es Finanztransaktionen immer geben wird, wären die Einnahmen garantiert. Würde man aus ihnen den EU-Haushalt aufstocken und sie für eine Politik zum Abbau der Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedstaaten nutzen, dann wäre eine solche Steuer eine wirklich gute Sache. Eine EU-Energiesteuer könnte man ebenfalls einführen. Ich denke aber nicht, dass eine Steuerreform, die auf künstliche Preiserhöhungen setzt, um das Konsumverhalten zu lenken, das geeignete Instrument für den ökologischen Umbau wäre.
Es gibt Umweltkosten, die in den Preisen noch nicht berücksichtigt sind. Bezieht man sie ein, trifft das vor allem sozial Schwache. Brauchte man da keinen Ausgleich im größeren Rahmen, eine neue Umverteilung?
Preisgestaltung und Ökosteuern können Elemente des ökologischen Umbaus sein – aber nur kleine. Man darf nicht behaupten, man bekäme allein damit den Umbau hin. Man braucht auch ordnungspolitische Elemente: Normen und Verordnungen. Und politische Entscheidungen, in denen man sagt: Das und das machen wir nicht mehr, weil es in eine falsche Richtung geht. Denn worin besteht der große Konflikt? Die Liberalisierung der Produktion und der Finanztransfers führt dazu, dass ökologischer Schaden angerichtet wird, weil er zu maximalem Profit verhilft. In dem Zusammenhang habe ich große Probleme damit, Ressourcen wie dem Wasser einen Preis zuzuweisen und sie zu einer Ware zu erklären. Das ebnet den Weg für Privatisierungen, die vom Profitstreben angetrieben werden und nicht von ökologischen Motiven.
Wie könnte eine institutionalisierte Diskussion aussehen, die sich Langfristfragen wie der nachhaltigen Entwicklung zuwendet?
Wahrscheinlich müssten wir eine gesellschaftliche Diskussion über unsere Gremien-Vielfalt führen und fragen, ob Fusionen oder Neuzusammensetzungen angebracht wären. Luxemburg ist ein kleines Land, und in vielen Gremien begegnen sich oft dieselben Leute wieder. Ein anderer Aspekt ist Europa: In Nachhaltigkeitsfragen spielt das EU-Recht eine große Rolle, denn es geht um Normen, politische Steuerung, Subventionen und Konkurrenzpolitik. Wir brauchen eine demokratische Debatte im Vorfeld europäischer Entscheidungen. Unsere Regierung nimmt in den Euro-päischen Räten an Gesetzgebungsverfahren teil. Ist sie dazu wirklich von unserem Parlament legitimiert? Ich frage mich, wo und wann die öffentliche Debatte über die Ausrichtung der Luxemburger Politik in Brüssel im Vorfeld wichtiger Entscheidungen stattfindet.