Der Beitrag der Luxemburger Finanzbranche zum Bruttoinlandsprodukt steht im umgekehrten Verhältnis zur Aufmerksamkeit, die ihr in den Programmen der Parteien, die sich im Oktober zur Wahl stellen, zuteil wird: Dem Sektor, der allein ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung erbringt, widmen viele von ihnen kaum eine halbe Seite.
Dafür gibt es viele mögliche Erklärungen, allen voran die, dass sich mit dem Versprechen auf eine Mindestlohnerhöhung Wahlen einfacher gewinnen lassen, als mit Plädoyers für oder gegen eine erweiterte, harmonisierte und konsolidierte Bemessungsgrundlage. Nur wenige der Wahlberechtigten verdienen ihren Lohn in dieser Branche und bekommen kaum mit, was hinter den gläsernen Fassaden in Kirchberg und am Boulevard Royal passiert. Ihr Interesse dafür war zeitlich befristet auf die Zeit, als sie während der Finanzkrise um ihre Einlagen bei BGL und Bil bangten. Beziehungsweise die Zeit, als sie sich in ihrem patriotischen Stolz gekränkt fühlten, weil sie in den Nachrichten rund um den Globus als Schmarotzer bezeichnet wurden und sie plötzlich fanden, die staatliche Beihilfe zur Steueroptimierung für globale Konzerne geschehe nicht in ihrem Namen. Seither hält der Staat mit direkten oder indirekten Bankbeteiligungen seine schützende Hand über alle Schäfchen, die Wahlberechtigte auf ihren Bankkonten ins Trockene gebracht haben. Und da im letzten internationalen Medienleck kaum noch Daten aus Luxemburg waren, datiert die letzte Aktualität des Collectif Tax Justice Lëtzebuerg vom April 2017, als ein von Oxfam importierter Gastredner eine Konferenz hielt. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Luxemburger Finanzplatz-Politik über die Dauer blieb aus.
Dass sie nicht sagen, wie sie den Finanzplatz konkret gestalten wollen, ist bei manchen Parteien mit Sicherheit darauf zurückzuführen, dass sie nicht wissen, wie sie dies tun sollen. Aus ihren Wahlprogrammen geht hervor, dass ihnen schlichtweg die Kompetenz in Sachen Finanzplatz abgeht. Das kann man so ohne Zögern über Déi Gréng und die Piratenpartei behaupten. Letztere fordert in ihrem Programm vage die „Trennung von Bank- und Finanzdienstleistungen“, so als ob Erstere nicht eine Untergattung Letzterer seien. „Fir villfälteg Finanzdéngschtleeschtungen soll Lëtzebuerg weiderhin attraktiv bleiwen an als Numm stoen! Awer dat op Vertrauen opgebaut Bankgeschäft dierf net geopfert gin. Dat zolidd Geschäft mat Enn-Clientsen ass extrem wichteg fir d’Wirtschaft an dierf net duerch aggressiv spekulativ Praktike gefährt ginn.“ Daraus lässt sich noch nicht einmal schließen, dass die Piraten der Meinung anderer linker Strömungen sind, die Finanzbranche solle zurückgestutzt werden auf ihre Rolle in der Finanzierung der Realwirtschaft. Denn im nächsten Abschnitt meinen sie: „D’Piraten si géint eng Finanztransaktionssteier, déi längerfristeg Anlagen an Investitiounen d’selwecht besteiert wei déi kuerzfristeg. D’Piratepartei fuerdert ee Model fir eng Finanztransaktiounssteier auszeschaffen, bei deem de Steiersatz op 0% fält, bei Dauere vun iwwer 2 Joer.“ Die Piraten sind außerdem dafür, das Bankgeheimnis zu stärken; den auf EU- und internationaler Ebene besiegelten Austausch von Informationen zwischen Banken und Steuerverwaltungen rückgängig zu machen, weil er eine Verletzung der Privatsphäre der Bankkunden darstelle.
Kaum eine Partei trägt ihre Ignoranz und ihre Gleichgültigkeit gegenüber der größten Wirtschaftsbranche so offen zur Schau wie die Grünen. In dem Land, das die Grünen lieben, obwohl das in ihrer Muttersprache unmöglich ist, radeln luxemburgisch-sprechende, wachstumskritische und verzichtübende Bildungsbürger auf pendlerfreien Straßen zur Arbeit oder zum Biomarkt – in dieser ihrer Heimat hat die auf Gewinn bedachte Finanzbranche offensichtlich keinen Platz. Unter Punkt 23.6 auf Seite 98 im Kapitel V Eist Land weiderentwéckelen – Besser Wunnen, Mobilitéit ouni Stress träumen die Grünen auf einer halben Seite davon, „den Finanzplatz Luxemburg weiter (zu) diversifizieren und dabei die Ansiedlung von Investmentfonds fördern, die sozial engagierte und umweltverträgliche Projekte finanzieren“, „die Akteure des Finanzplatzes dabei unterstützen, die Risiken des Klimawandels besser bei ihrer Produktentwicklung zu berücksichtigen und dies transparent zu kommunizieren“.
Als einzige „konkrete“ Maßnahme wollen sie mit der Europäischen Investitionsbank „Risikokapitalfonds zur Finanzierung von grünen Zukunftsprojekten etablieren“. Déi Gréng möchten außerdem „Risiko und Verantwortlichkeit im Finanzsektor durch intelligente Regulierung besser verknüpfen“, wobei die Formulierung ernste Zweifel daran aufkommen lässt, dass irgendein Grünen-Mitglied weiß, wie man dazu gesetzgeberisch vorgehen müsste. Vielleicht wollen sich die Grünen aber schlicht ihre Chancen, im Herbst Koalitionsabkommen zu verhandeln, nicht mindern, indem sie allzu konkrete rote Linien ins Programm aufnehmen, an denen sich Verhandlungspartner stören könnten. Die „Stock Options progressiv zurückführen“, wie sie es an anderer Stelle im Programm versprechen, stellt keine solche rote Linie dar, da sich alle größeren Parteien einig sind, dass das Regime zumindest weiter reformiert werden muss. Anders als bei den letzten Wahlen, als manche Grüne sauer über die Aufnahme der fiktiven Zinsen ins Koalitionsprogramm waren, verspricht diesmal bereits das Wahlprogramm, dass sich die Grünen aus der Finanzplatzpolitik heraushalten werden. Denn sozialverträgliche und grüne Anlageprodukte sind seit Jahren ein Feigenblatt für die weniger schönen Seiten der Finanzbranche, auf das alle Parteien gerne zurückgreifen, wobei die Produkte marginal bleiben. Die grünen Anleihen (green bonds), die die Mikrofinanz in den vergangenen zwei Jahren in dieser Rolle überholten, entsprechen an der Luxemburger Börse – eigener Aussage zufolge die größte für diese Anlageklasse – einem Volumen von 100 Milliarden Euro. Im Vergleich zu einem Volumen von sechs Billionen Euro nicht-grüner Papiere, die dort gehandelt werden, ein winziger Tropfen auf den vom Klimawandel erhitzten Stein.
Déi Lénk erinnern sich noch sehr gut an das durch Luxleaks und Panama Papers geschädigte Bild Luxemburgs, schließlich hatten ihnen diese Skandale zu vielbeachteten Interventionsmöglichkeiten auf der Oppositionsbank verholfen. Sie setzen sich daher „für eine Exit-Strategie aus besonders schädlichen Steuernischen des Finanzsektors ein, ohne jedoch einen sofortigen und brutalen Abbau des Finanzplatzes zu fordern, der zweifelsohne eine weitreichende ökonomische und soziale Krise heraufbeschwören würde“. Welche Steuernischen und welche Praktiken die Lénk meinen, kann man im Kapitel „Finanzen“ nachlesen, wodurch sich bestätigt, dass Finanzplatzpolitik, wie Wirtschaftspolitik oft vor allem einen Frage der Steuerpolitik sind. Déi Lénk wollen die Bemessungsgrundlage für Unternehmen ausdehnen, die Steuerbefreiung auf Dividenden aufheben, die Aktienoptionen und die Patent-Box sowie das Bankgeheimnis für Gebietsansässige abschaffen, die Steuerbefreiung von Spezialfonds und die von Wertzuwächsen auf länger als sechs Monaten gehaltenen Wertpapieren oder die auf Immobilien aufheben, und die Vermögenssteuer für Privatpersonen und eine europäische Finanztransaktionssteuer einführen. In diesen Forderungen deckt sich ihr Programm in großen Zügen mit dem der KPL, die darüber hinaus die komplette Verstaatlichung aller großen Banken fordert. Die Kommunisten sind zudem der Ansicht, die Europäische Union sei „eine Struktur, die ausschließlich den Interessen der Banken und Konzerne dient und im Widerspruch zu den Lebensinteressen der Schaffenden steht“ und zudem „nicht reformierbar“, weshalb sie unter anderem die „Auflösung der ‚Europäischen Währungsunion‘, Abschaffung des Euro und Wiedereinführung nationaler Währungen“ fordern.
Die DP, die bei vergangenen Wahlprogrammen und Koaltionsverhandlungen auf Expertise der Big-4 zurückgriff und den Finanzminister gestellt hat, setzt sich besonders ausführlich mit der Finanzbranche auseinander. Sie macht reichlich Gebrauch von Marketing-Floskeln wie dem „Zugpferd der luxemburgischen Wirtschaft“, dem „Brückenkopf für den europäischen Markt“, der in „der Championsleague der weltbesten Finanzzentren mitspielt“. Und sie beglückwünscht sich selbst, weil die „mutige Entscheidung das Bankgeheimnis aufzugeben hat sich zudem als goldrichtig herausgestellt“, obwohl Luc Frieden (CSV) das Bankgeheimnis versehentlich in einem Zeitungsinterview abschaffte. Aber davon abgesehen, sagt die DP konkreter als andere Parteien, wie sie die Finanzbranche gestalten will. Sie verspricht Reglementierungen für Spielereien wie Crowd-Funding aber auch Cloud-Banking und Krypto-Währungen, will dafür sorgen, dass die neuen digitalen Finanzdienstleister die gleichen regulatorischen Auflagen erfüllen müssen, wie ihre traditionellen Wettbewerber. Sie verspricht, „europäische Regelwerke und internationale Abkommen zeitnah umzusetzen“, was ihr in dieser Legislaturperiode mit einigen sehr wichtigen Richtlinien nicht gelungen ist.
Die DP, deren Finanzminister das ganze Ausmaß der Luxleaks-Affäre ausbaden musste, möchte außerdem die unter Pierre Gramegna begonnene personelle Verstärkung der Steuerbehörden fortsetzen, sie ist erwartungsgemäß gegen eine Finanztransaktionssteuer und schlägt interessanterweise eine eigene Gerichtsabteilung für Wirtschaftsstrafsachen vor: „Die zunehmende Anzahl an umfangreichen Wirtschaftsstrafsachen mit internationalen Verflechtungen erfordert neue Konzepte und Strukturen. Um der gesteigerten Komplexität dieser Verfahren Rechnung zu tragen, wird die DP eine Sondergerichtsabteilung einrichten mit Experten aus dem Wirtschafts-, Finanz- und IT-Bereich. Ziel ist es, derartige Verfahren konzentriert und effizient zu führen.“ Mit diesem Vorschlag zieht die DP als einzige Partei Konsequenzen nicht aus Luxleaks, sondern auch aus den Geldwäscheskandalen auf dem Finanzplatz, wie bei der Rothschild-Bank oder bei der ICBC oder regulatorischen Präzedenzfällen wie jüngst bei ABLV, die darauf abzielen, nicht nur neue Gesetze zu stimmen, sondern sie auch durchsetzen zu können.
Ein paar Ansätze dazu finden sich auch im Wahlprogramm der LSAP, deren Finanzplatzkapitel die Handschrift ihres Abgeordneten Franz Fayot trägt. So fordert sie beispielsweise eine strengere Kontrolle von sogenannten Schattenbanken und schärfere Sanktionsmöglichkeiten gegen regelbrüchige Finanzmarktakteure und findet, eine gute Regulierung sei kein Wettbewerbsnachteil. Ein Komitee, in dem alle relevanten Ministerien und Verwaltungen vertreten sind, soll nach Vorstellung der LSAP dafür sorgen, dass einheitliche Positionen für internationale Verhandlungen abgestimmt werden und „mittelfristig sollte die Regierung gemeinsam mit den betroffenen Akteuren und internationalen Experten ein strategisches Leitbild für den Finanzplatz ausarbeiten“.
Ähnlich wie Franz Fayot hatte sich bei der CSV der Abgeordnete Laurent Mosar als Experte für den Finanzplatz profiliert. Entweder hatte er bei der Ausarbeitung des Parteiprogramms nichts mitzureden oder die CSV verfolgt eine andere Strategie: Indem sie nichts sagt, schließt sie weder was aus, noch legt sie sich fest. In einem Dutzend Zeilen unter dem Zwischentitel: Finanzplatz: Entwicklungschancen nutzen, macht die CSV vage Aussagen à la „Wir wollen den Aufbau neuer Sektoren im Finanzbereich unterstützen“ und „wir wollen, dass Luxemburg die Finanzindustrie der Zukunft mitbestimmt. Deswegen müssen wir schon heute die Finanzierungsinstrumente von morgen analysieren, begleiten und verbessern“. Somit hat die CSV, die jahrelang den Finanzminister stellte, noch weniger zur wichtigsten Wirtschaftsbranche zu sagen als die Piratenpartei. Ob sich dahinter die Einsicht verbirgt, dass die Zukunft der Finanzbranche über Richtlinien und Regulierungen ohnehin in Brüssel, in Paris und Frankfurt entschieden wird? Platz für nationalen Gestaltungsspielraum scheint sie keinen zu sehen. Sie äußert sich beispielsweise genausowenig wie die anderen Parteien zur Frage, ob die Zuständigkeiten für öffentliche Finanzen und Finanzplatz nicht getrennt gehörten. Vielleicht hält die CSV ihren Plan für Luxemburgs Finanzbranche auch einfach nur gut unter Verschluss.