Als Corinne Cahen (DP), Ministerin für Familie, Senioren, Integration und die Großregion am Mittwoch dem Flüchtlingsparcours Pia in Mersch einen Besuch abstattete, war sie ganz in ihrem Element: Sie grüßte nach rechts und links, schüttelte ausgestreckte Hände, sprach mit Mitarbeitern und Flüchtlingen über deren Situation, knuddelte und trug ein rundliches Baby auf dem Arm. Das alles mit der einnehmenden Freundlichkeit, die die ehemalige RTL-Journalistin und Unternehmerin auszeichnet. Später saß sie beim Vortrag in der letzten Reihe und hörte zu, was Dozenten vorne an der Tafel erklärten. Zurückhaltung kann die Ministerin auch. Mittlerweile.
Denn bei ihrem Einstand hatte sie doch einige Müh, sich in die Rolle der staatsfrauischen Ministerin einzufinden. Das lag nicht nur daran, dass sich Politikneuling Cahen, die sich von ihrem Jugend- und Schulfreund Xavier Bettel (DP) zur DP-Kandidatur überreden ließ und es im ersten Anlauf bei den vorgezogenen Wahlen im Oktober 2013 auf Anhieb auf den fünften Platz im Zentrum schaffte, sich in ihr unbekannte technische Dossiers wie Sozial- und Familienpolitik, Immigration und Behindertenpolitik einarbeiten musste. Mit ihrer Direktheit und ihrem unbekümmerten Elan eckte sie zunächst ordentlich an, zumal in der schwarzen Hochburg: Mit einer kurzen Ausnahme war das Familienministerium sonst ununterbrochen in CSV-Hand.
Einstand mit Pauken
Wie die ehemalige Kulturministerin und inzwischen in Ungnade gefallene, nach Dubai versetzte Parteikollegin Maggy Nagel hatte auch Cahen forsch angekündigt, im Familienministerium viel Geld einsparen zu wollen und Tabula rasa bei den Konventionen und Verträgen mit diversen Trägern im Alten-, Behinderten- und Familienbereich zu machen – ohne zuvor einen Überblick gewonnen zu haben. Als sie sich diesen verschafft hatte, stellte sich heraus, dass bei den Konventionen offenbar doch nicht so viel zu holen war, wie anfänglich gedacht.
Stattdessen folgte im Rahmen der zum Zukunftspak (v)erklärten Liste von Einsparungen als unpopuläre Maßnahme die Streichung der Mutterschafts- und Erziehungszulage und später die Abschaffung des gestaffelten Kindergelds. Keinem werde etwas weggenommen, so das Mantra, mit dem Cahen die Kürzungen bewarb und das sie monatelang wiederholte. Doch nach der Caritas, die den Kindergeld-Vorstoß als „Aktivismus ohne grundsätzliche Basis“ schalt, rechnete der LCGB nach und kam auf 15 Millionen Euro, die auf den Rücken von Familien gespart würden, nähme man die Änderungen beim Kindergeld, einen einheitlichen Betrag für die Schul-Rentrée und den Wegfall des Kinderboni, alles Maßnahmen aus dem Zukunftspaket der DP-LSAP-Grünen-Regierung, zusammen.
Ins gleiche Horn stieß die einflussreiche Beamtenkammer: Wenn Familien künftig monatlich 265 Euro Kindergeld für jedes Kind erhalten und die progressive Staffelung entfällt, komme es zu wesentlichen Verschlechterungen – für eine Familie mit drei Kindern bis zu jährlich 2 860 Euro weniger, hieß es in ihrem Gutachten. Der OGBL, grundsätzlich der Abschaffung der Mutterschafts- und Erziehungszulage nicht abgeneigt, wenn es darum geht, die Beschäftigungsquote von Frauen zu erhöhen, sprach von einer „falschen Politik“. Wer angesichts des steigenden Armutsrisikos das Kindergeld kürzte, schaffe zusätzlich soziale Probleme, warnte Jean-Claude Reding, Präsident der Arbeitnehmerkammer.
Die Familienministerin beschwerte sich ob der massiven Kritik später gegenüber Journalisten, die Liberalen seien die einzige Partei, die ohne eine presse amie auskommen müsse. Ein erstaunliches Statement für eine, die es besser wissen müsste, als wäre Journalismus mit politischer Public relations gleichzusetzen. Nicht nur Cahen kämpfte mit derlei Anpassungsproblemen: Francine Closener (LSAP), ebenfalls früher RTL-Radiomoderatorin, tappte mit ihrer Dienstwagenaffäre zu Beginn in ein ähnliches Fettnäpfchen und versuchte zunächst, ihr eigenes Ungeschick als herbeigeredetes Problem herunterzuspielen. Für eine blau-rot-grüne Regierungskoalition, die angetreten war, mit dem Mief und Filz im verkrusteten CSV-Staat aufzuräumen, ein blamabler Start. Kein Wunder, dass beide, trotz guten Abschneidens bei den Wahlen, in Meinungsumfragen alsbald im Keller herumdümpelten, eine Platzierung, von der sich Cahen bis heute nicht richtig freimachen konnte. Was aber weniger mit ihrem Auftreten als vielmehr mit ihren familienpolitischen Aktionen zu tun haben dürfte.
Sympathiepunkte für Elternurlaub
Erst mit der Reform des Elternurlaubs, oder, um es mit Cahens Worten zu sagen, seiner „Flexibilisierung“ durch eine weitere Wahlmöglichkeit von vier statt sechs Monaten Urlaub bei gleichem Gesamteinkommen und dadurch entsprechend höheren monatlichen Auszahlungen (was einmal mehr beweist, dass die Arbeit der Väter höher bewertet wird) bekam sie politisch langsam Boden unter den Füßen und sammelte erste Sympathiepunkte: Von den Gewerkschaften wurde die Initiative zwar mit Argwohn betrachtet, weil sie Nachteile für die Beschäftigten fürchteten, aber bei Eltern kam die in diesem Jahr mit 165 Millionen Euro veranschlagte Reform gut an: Zwischen 2016 und 2017 stellten 70 Prozent mehr Väter und Müter einen Antrag auf Elternurlaub, das ist, selbst wenn man berücksichtigt, das manche die Reform vielleicht bewusst abgewartet haben, ein beachtlicher Sprung.
Der Familienministerin half, dass sie bei ihren Reden immer wieder ihre Doppel- und Dreifach-Identität einbringen konnte: als Chefin eines Schuhgeschäfts in Luxemburg-Stadt und ehemalige Vorsitzende des hauptstädtischen Geschäftsverbands sowie als Mutter zweier Kinder wusste sie geschickt und für viele glaubwürdig ein Win-Win-Szenario für ihr Vereinbarkeitsmodell zu begründen. Sie sprach von mehr Flexibilität für die Betriebe, von modernen Familien und von glücklicheren Eltern und Kindern. Sie konterte den Vorwurf von CSV-Parteichef Marc Spautz, für kurze Zeit selbst Familienminister, angesichts der gestrichenen Mutterschaftszulage, die Regierung würde ein Familienmodell bevorzugen, mit dem Gegenargument, die Wahlfreiheit zu fördern. Dabei ließ sie freilich unerwähnt, dass in der liberalen Logik zwar befristete Familienpausen auf Staatskosten für beide Eltern erlaubt sind, aber dies dient dazu, sie lediglich noch fester in die Verpflichtungen des Erwerbsarbeit einzubinden.
Dieselbe Logik findet sich bei der Reform des so-zialen Mindesteinkommens, dem RMG, wieder, die von den liberalen Autoren den Namen Revenu d’inclusion sociale aufgeklebt bekommen hat. Dieses ausgesprochene Faible, das Image einer vielleicht nicht so populären Maßnahme durch ein neues Label aufzuhübschen, teilt Cahen übrigens mit ihrem Parteikollegen, Erziehungsminister Claude Meisch: Aus Sonderschulen werden Kompetenzzentren, aus multiprofessionellen Teams Teams zur Unterstützung von Kindern mit besonderem Förderbedarf, aus Familienkasse eine Zukunftskees, und so weiter.
Tandem Cahen und Meisch
Mit Meisch versteht sich Cahen gut. Er hatte die Ministerin und DP-Parteipräsidentin im Oktober 2014 aus einem regelrechten Shitstorm herausgeboxt: Cahen hatte, frisch von der Leber weg, wie das so ihre Art ist, in einem Facebook-Post einen Lehrer beglückwünscht, der einem portugiesischen Schüler verboten hatte, seine Muttersprache in der Klasse zu sprechen. Der Fall schlug hohe Wellen, sorgte für viel Empörung nicht nur unter portugiesischen Mitbürgern; ausländische Medien wurden auf den Faux-pas aufmerksam und berichteten darüber. Ruhe kehrte erst wieder ein, als der Erziehungsminister Gespräche auf höchster diplomatischer Ebene führte und versicherte, Portugiesisch zu sprechen, sei nicht verboten.
Meisch und Cahen sind aber nicht nur befreundet, sondern bildeten ein wichtiges Gespann bei der Umsetzung liberaler Vorstellungen innerhalb der Dreierkoalition. Hinter modisch klingenden Etiketten steht eine Ideologie, die dabei ist, den gesamten Staat und seine Teilbereiche umzuformen: Dass die Liberalen neben dem Finanzministerium die Ressorts Familie und Erziehung übernommen haben – klassischerweise nicht ihre Domänen –, ist von Medien erst mit Verwunderung, dann mit Achselzucken hingenommen worden. Manche haben darin eine Schwäche gesehen, weil ein ehemaliger Banker sich angeblich nicht zutraute, das Finanzministerium zu leiten und sich lieber für das Bildungsressort entschied. Das und die Familienpolitik gelten eher als softe Politikbereiche.
Wenig analysiert wurde die dahinter liegende Strategie: Mit den Ressorts Familie und Erziehung plus dem Finanzministerium hielten die Liberalen fünf Jahre lang die Schlüsselressorts in der Hand, um eine Entwicklung voranzutreiben, die allgemein als neoliberal bezeichnet wird, die aber treffender mit der Durchökonomisierung ganzer Gesellschaftsbereiche umschrieben wäre. Es geht darum, immer mehr Politikbereiche in den Dienst der Wirtschaft und die Logik des Markts zu stellen. Der Elternurlaub erlaubt eine bessere Vereinbarung von Beruf und Familie, besonders für Mittelschichtseltern, weil der Urlaub durch das höhere Ausgleicheinkommen für sie attraktiver wird. Einerseits. Andererseits fixiert er das moderne Rollenverständnis der Geschlechter, so wie es passt für die Wirtschaft: Beide Eltern haben gleichermaßen für den Arbeitsmarkt verfügbar zu sein. Cahen begründete ihre Neuerungen beim Elternurlaub und beim von zwei auf zehn Tage verlängerten Vaterschaftsurlaub nicht nur damit, dass moderne Väter ihr Kind mit aufziehen wollen, sondern auch mit den besseren Leistungen und der Loyalität, die zufriedene Arbeitnehmer den entgegenkommenden Betrieben bringen.
Dabei ist zentral, dass die mit dieser Freiheit verbundenen Kosten nicht etwa die Wirtschaft trägt, also der Arbeitgeber, so wie früher Verbesserungen der Arbeitsbedingungen den Unternehmen abgetrotzt wurden, sondern dass der Staat sie übernimmt (und damit letztlich der/die Bürger/in selbst dafür zahlt). Ergänzt und flankiert wird diese Familienpolitik durch eine Betreuungs- und Bildungspolitik, die ebenfalls darauf abzielt, den Eltern den Rücken für den Beruf und den Betrieb freizuhalten: staatlich subventionierte oder gleich Gratis-Kinderbetreuung, Kinderkrippen mit flexiblen Öffnungszeiten (ab sechs Uhr morgens bis spät in die Nacht; die Minikrippen sollen sogar über Nacht geöffnet bleiben), damit auch Leute, die Schicht arbeiten, ihre Kinder während der Arbeitszeit betreut wissen. Dazu passt, dass die DP in ihrem Wahlprogramm für eine deutliche Lockerung der Wochenarbeitszeit eintritt.
Von Kindesbeinen an wird der Nachwuchs (und seine Eltern) auf seine Rolle als kompetitiver, sich selbst weiterbildender, erwerbsfähiger und -tätiger Bürger vorbereitet. Was als Unterstützung zum individuellen Lernen und zur autonomen Lebensführung angepriesen wird, ist die implizite Aufforderung, dem Staat später nicht auf der Tasche zu liegen und sich der immer rasanter wandelnden Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt anzupassen. Deswegen setzt das Bildungssystem auf lebenslanges Lernen und sind Arbeitslose gehalten, die Zeit ohne Erwerbsarbeit mit Weiterbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen zu füllen, egal, wie sinnvoll die einzelne Maßnahme sein mag. Was als formelle und informelle Bildung und gleiche Bildungschancen für alle dargestellt wird, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als ein Betreuungs- und Bildungsangebot, das Kinder und Eltern von Anfang an dazu anhält, selbst Verantwortung für Linien und Brüche im eigenen Lebenslauf zu übernehmen. Notfalls wird mit Nachhilfe oder dem Wechsel auf eine Privatschule nachgeholfen. Damit die zunehmend unter Druck geratene (nicht-luxemburgische) Mittelschicht die an sie herangetragenen gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen kann, errichtet der Staat internationale Schulen, die öffentlich finanziert sind und wahlweise Englisch, Französisch, Portugiesisch und andere Sprachangebote führen.
Wie Meisch umgibt auch Cahen ihre unternehmerfreundliche Politik stets mit einem sozialen Mäntelchen: sei es, die soziale Kohäsion zu fördern, die Inklusion zu stärken oder alternative Familienmodelle stärker zu berücksichtigen. Cahen stellte vor kurzem den Aktionsplan LGBTI vor, der sexuelle Minderheiten besser vor Diskriminierung schützen soll. Das Revenu d’inclusion sociale wird eingeführt mit der Begründung, die Betroffenen besser als bisher in die Gesellschaft einzugliedern. Bei Lektüre des Gesetzes wird indes deutlich: Eine Wahl gibt es nicht, wer sich nicht aktiviert – und das muss nicht Erwerbsarbeit heißen, sondern kann auch eine Entziehungskur sein für Suchtkranke oder eine Arbeit in einer therapeutischen Werkstatt –; wer also nicht den Erwartungen entspricht, verliert im schlimmsten Fall seinen/ihren Anspruch auf Unterstützung und verwirkt somit das Recht auf Teilhabe.
Auch wenn Cahen als DP-Präsidentin beim Parteikongress Anfang Juli, wo die Hauptschwerpunkte des Wahlprogramms vorgestellt wurden, nicht näher auf das Thema Armut eingegangen ist, hat sie als Ministerin einiges getan, um die Situation sozial Schwacher punktuell zu verbessern. Bei der Allocation de vie chère, der Teuerungszulage für einkommensschwache Haushalte, wurde der Kreis der Berechtigten im Sinne der „sozialen Selektivität“ begrenzt erweitert, erhöht wurde die Summe aber nicht. Das Wohngeld, schon seit Jahren beliebtes Wahlkampfthema der Sozialisten, wurde von der DP-LSAP-Grünen-Koalition eingeführt. Allerdings blieb seine Existenz derart unterm Radar, dass Sozialämter meldeten, viele, die Anspruch darauf hätten, beantragten es gar nicht. Mit über 16 Prozent ist das Armutsrisiko in Luxemburg hoch.
Beim sozialen Mindesteinkommen Revis wird künftig die zweite erwachsene Person im Haushalt, in der Regel meist verheiratete Frauen, bei Förder- beziehungsweise Aktivierungsmaßnahmen berücksichtigt. Das ist verständlich vor dem Hintergrund, dass Armut in Luxemburg oft ein weibliches Gesicht hat und viele Frauen, besonders Alleinerziehende, nach der Scheidung geradewegs in die Armutsfalle tappen. Aber es bedeutet zugleich, dass die Erzählung von der Wahlfreiheit (für beide Geschlechter) eine Mär ist: In der Marktwirtschaft wird jede Ressource gebraucht und zu Geld gemacht.
In diesem Sinne hat die DP mehr ihrer Kernanliegen umgesetzt, als parteiinterne Kritiker meinen, die dem Staatsminister Xavier Bettel mal vorwarfen, er lasse sich zu sehr von der LSAP durch die Manege führen (im Kontext der Steuerreform) oder von den Grünen beim Umwelt- und Naturschutz, die aber übersehen, wie stark der liberale Stempel im Bereich der Sozial- und Familienpolitik ist. Familienministerin Cahen war und ist eine wichtige und ziemlich effiziente Gehilfin, wenn es darum geht, das liberale Gesellschaftsmodell eigenverantwortlicher Individuen mit schlankem Staat umzusetzen, quasi die Frau im Maschinenraum der MS Luxemburg. Sie ist es, weil die Unternehmerin daran glaubt, weil sie wie kaum eine andere den Macherinnentyp verkörpert: dynamisch, geschmeidig und auch mal kühn im Umgang mit vornehmlich männlichen Entscheidungsträgern. Eine erklärte Feministin ist Cahen nicht, aber selbstbewusst und meinungsstark allemal. Dafür, dass sie im Sozialkonflikt um höhere Gehälter für den Pflegesektor auf Tauchstation ging, obwohl sie das Seniorenressort hat, wurde sie gescholten. Dabei war es ein kluger Instinkt und ein cleveres Manöver; darin steht sie anderen Politikerprofis in nichts nach.
Nicht im Widerspruch zur Durchökonomisierung steht, dass die DP die Gratis-Kinderbetreuung für sich entdeckt hat und Gratis-Schulbücher auf der Sekundarstufe verteilt: Erstens ist, wie DP-Generalsekretär Claude Lamberty feststellte, genug Geld da und kommen zweitens Wahlgeschenke immer gut. Vor allem aber: Weil es die Aufgabe des liberalen Staats ist, sich um Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandort zu kümmern, indem er die nötigen Rahmenbedingungen dafür schafft, ist es nur folgerichtig, dass er auch in die Bildung der Kinder und Erwachsenen investiert. Und zugleich deren Autonomie beschwört.
Aus dieser Perspektive ließe sich ein weiteres Politikfeld analysieren, das Cahen verantwortet und in dem sie, aller Kritik zum Trotze, einige Erfolge vorzeigen kann: Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird vom Familienministe-rium gesteuert und auch wenn es bei den politisch heiklen Themen wie der persönlichen Assistenz oder der Einsetzung einer Behindertenbeauftragten nicht vorangeht: Dass die (deutsche) Gebärdensprache endlich auch in Luxemburg als offizielle Sprache anerkannt ist, ist ein Fortschritt und als Signal für behinderte Menschen wichtig. Brisant sind die zwei anderen Themen, weil sie kostspielig sind und weil sich die Gesellschaft mit der Sichtbarkeit von behinderten Menschen mit Behinderungen, insbesondere mit mentalen, noch immer sehr schwer tut.
Die CSV, die diesen Politikbereich jahrelang betreut hatte, pflegte einen sehr paternalistischen Stil. Dieser ist noch nicht komplett gebrochen, aber Cahen hat zumindest einen Dialog in Gang gesetzt, der bemüht ist, Betroffene direkter einzubinden – und nicht nur staatlich konventionierte Vertreterorganisationen, die aus Sorge vor finanziellen Folgen oft nicht genügend Druck auf die Politik aufbauen. Cahen ist es sogar gelungen, ehemalige Kritiker auf ihre Seite zu ziehen. Die Grünen und die Linken mögen es noch so oft proklamieren; tatsächlich ist die DP die Partei die am sichtbarsten die Grundsätze von Inklusion und Gleichberechtigung umsetzt – in ihrer Politik und ihren Reihen: Unvergessen, die Generation einflussreicher aktiver DP-Frauen, von der nach dem Abschied von Anne Brasseur, jetzt nur noch Lydie Polfer, Bürgermeisterin der Hauptstadt, geblieben ist.
Mit der Anwältin Claudia Monti, die, als sie Ombudsfrau wurde, ihre parteipolitischen Ämter niederlegte, und mit der gehörlosen Nicole Sibenaler hat die DP zwei Frauen mit körperlichen Einschränkungen, die sich nicht nur, aber auch für die Belange von behinderten Menschen stark mach(t)en. Sibenaler beteuert, mit ParteikollegInnen auf Augenhöhe zu sein. Wer im Internet schaut, stellt fest: Der Auftritt der DP ist der einzige mit einem breiten inklusiven Ansatz, vom Wahlprogramm existieren Übersetzungen in drei Sprachen sowie eine Hörfassung. Eine Übersetzung in leichter Sprache, für Menschen mit Verständnisschwierigkeiten, soll noch kommen. Es war Xavier Bettel, der Sibenaler einlud, in die Partei einzutreten, aber auch von Cahens Engagement ist Sibenaler überzeugt. Hier zeigt sich eine Ähnlichkeit zwischen Parteipräsidentin Cahen und Xavier Bettel: Beide sind in der Hauptstadt beliebt und wissen eher durch Schlagfertigkeit zu überzeugen als durch programmtisch-inhaltliche Sattelfestigkeit. Beim stark personenbezogenen Luxemburger Wahlsystem ist das am Ende wahrscheinlich wichtiger.