Was wäre gewesen, wenn die Regierung doch zurückgetreten und das Parlament schon diesen Monat aufgelöst worden wäre? Hätten die scheidenden Abgeordneten um ihre Diäten fürchten müssen, hätten sie sich umgehend Gedanken machen müssen um einen Plan B für ihre berufliche Karriere für den Fall, sie würden bei vorgezogenen Wahlen nicht wiedergewählt? Und wie wäre es den Mitgliedern einer scheidenden Regierung ergangen?
Ein finanzieller Abgrund hätte den Gewählten nicht gerade gedroht. Laut Wahlgesetz gilt für sie das Staatsbeamten-Gehältergesetz, und dem zufolge steht jedem Abgeordneten eine jährliche Entschädigung im Wert von 375 Indexpunkten zu. Davon erhalten sie monatlich ein Zwölftel, wobei ein angefangener Monat als ein ganzer gerechnet wird. Die Hälfte der 375 Indexpunkte ist zum Ausgleich für Repräsentationskosten steuerfrei und frei von Abgaben für die Rentenversicherung. Beim derzeitigen Stand von Index und Punktwert beim Staat ergeben sich daraus monatlich 3 129 Euro steuer- und sozialabgabenfreie Diäten sowie 3 304,45 Euro „imposables“ und „pensionnables“. Dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer stehen für Repräsentationsaufwendungen neben dieser Basisentschädigung weitere 300 steuer- und abgabenbefreite Indexpunkte zu, sie entsprechen derzeit 5 006,39 Euro im Monat. Die Fraktionspräsidenten erhalten 200 Indexpunkte zuzüglich zu den Basis-Diäten. Sie sind frei von Pensionsabgaben, aber zur Hälfte steuerpflichtig. Das ergibt für sie monatlich 1 668,80 Euro steuer- und abgabenfrei und 1 762,37 Euro „imposables“.
Weil nach einem Verlust des Parlamentarierstatuts, egal ob durch Rücktritt, Abwahl oder nach einer Auflösung des Parlaments, die Basisentschädigung von 375 Indexpunkten als Abgangsgeld während drei vollen Monaten weitergezahlt wird, hätten die Abgeordneten, falls die Kammer im Juli aufgelöst worden wäre, für diesen angebrochenen Monat ihre Diäten erhalten und danach das Abgangsgeld bis zum Oktober, wenn wieder gewählt wird. Eingebüßt hätten der Präsident und die Fraktionsvorsitzenden bis dahin ihre Zusatzbezüge, und darüberhinaus jeder Parlamentarier an Präsenzgeldern: Für die Teilnahme an einer Sitzung des Kammerplenums oder von Ausschüssen hat ein Abgeordneter Anspruch auf einen Jeton von 113,44 Euro beim aktuellen Indexstand, wobei es pro halben Tag nicht mehr als einen Jeton geben kann. Im Schnitt bezieht ein Abgeordneter im Monat rund 1 100 Euro an Präsenzgeld, von denen die Hälfte steuer- und abgabenfrei ist. Es fragt sich jedoch, ob die Einbuße an Jetons bei einer Auflösung des Parlaments im Juli vergleichsweise groß geworden wäre: Im August ruht das parlamentarische Leben ohnehin, und ob nun, da die Abgeordnetenkammer erst am 7. Oktober aufgelöst wird, im September noch viele Ausschusssitzungen stattfinden werden, ist nicht gewiss. Auf jeden Fall bringt die zum 7. Oktober verfügte Auflösung der Kammer es mit sich, dass für Parlamentarier, die am 20. Oktober nicht wieder gewählt werden, die Übergangszeit in ein Leben ohne Diäten nicht schon anderthalb Wochen später endet, sondern erst im Januar 2014.
Pekuniär komplizierter wäre die Situation für jene Abgeordneten geworden, die das Parlament bereits einmal verlassen und 375 Indexpunkte Abgangsgeld bezogen haben: Die gibt es nämlich nur einmal. Es sei denn, der Abgeordnete hat in der Vergangenheit nur einen Teil des Abgangsgelds in Anspruch genommen: dann steht ihm der noch bis zur Maximaldauer von drei Monaten verbleibende Rest zu. Aber Abgeordneter zu werden, heißt andererseits nur für zuvor im öffentlichen Dienst oder bei einem Établissement public Beschäftigte, für Richter und Staatsanwälte oder für Eisenbahner mit Beamtenstatut, die Berufstätigkeit zu unterbrechen – um sie anschließend wieder aufzunehmen. Wer vor der Wahl ins Parlament lohnabhängig beschäftigt oder Freiberufler war, dem stehen laut Wahlgesetz ohnehin nur 20 Wochenstunden politischer Urlaub zu. Dem Arbeitgeber eines Député-salarié wird dabei das halbe Bruttogehalt bis zu einer Maximalhöhe des vierfachen qualifizierten Mindestlohns von der Abgeordnetenkammer erstattet. Freiberufler und Abgeordnete ohne Beruf bekommen, sofern sie das gesetzliche Rentenalter von 65 Jahren noch nicht erreicht haben, vom Parlament eine monatliche Pauschale in Höhe des vierfachen qualifizierten Mindestlohns überwiesen. Beim ak-tuellen Indexstand beträgt der vierfache qualifizierte Mindestlohn 8 966,12 Euro.
Für die Mitglieder der Regierung gelten noch andere Regeln. Selbst wenn das Kabinett zurückgetreten wäre, wäre es bis zur Bildung einer neuen Regierung nach den Wahlen im Amt geblieben. Weil außerdem nirgendwo geschrieben steht, was in Luxemburg unter einer „geschäftsführenden“ Regierung zu verstehen ist, hätte das Juncker-Asselborn-Kabinett auch nach einem Rücktritt so weiterfunktioniert, wie es das nun tut. Scheidet ein Regierungsmitglied aus dem Amt, steht ihm nicht nur eine dreimonatige Abgangsentschädigung zu, sondern während bis zu zwei Jahren ein Wartegeld. In den ersten drei Monaten ist es so hoch wie die Bezüge während der Amtszeit – abzüglich Extrabezüge für Repräsentationszwecke. Nach Ablauf dieses Vierteljahrs beträgt das Wartegeld 350 Indexpunkte oder beim derzeitigen Indexstand 6 138,31 Euro. Ein aus der Regierung geschiedener Premier erhält 412 Indexpunkte, beziehungsweise 7 260,98 Euro. Das Wartegeld ist steuer- und sozialabgabenpflichtig. Verzichten auf das Wartegeld müssen frühere Regierungsmitglieder, falls sie anderweitig in den Dienst des Staates, einer Gemeinde oder einer öffentlichen Institution nationalen oder internationalen Charakters treten. Aber auch, falls sie eine bezahlte Beschäftigung im Privatsektor annehmen oder Freiberufler werden. Allerdings nur, falls der Verdienst aus dieser Tätigkeit mindestens doppelt so hoch ist wie das Wartegeld.
Eine besondere Regelung besteht für Regierungsmitglieder, die Staatsbeamte gewesen sind, ehe sie Minister oder Staatssekretär wurden. Scheiden sie aus dem Amt, können sie in den Staatsdienst zurückkehren und für einen Posten als Erster Regierungsrat oder Verwaltungsdirektor nominiert werden. Nach dem Ende der Juncker-Polfer-Regierung 2004 wurde eine solche Lösung für die frühere Bildungsministerin Anne Brasseur und die Staatssekretäre Jos Schaack und Eugène Berger von der DP gefunden.
Grundsätzlich könnte dieses Szenario auf eine ganze Reihe der aktuellen Ministerinnen und Minister zutreffen, falls sie am 20. Oktober nicht erneut gewählt würden: von der LSAP-Bildungsministerin und früheren Lehrerin Mady Delvaux-Stehres, über ihren Parteikollegen und Arbeitsminister Nicolas Schmit, den ehemaligen Diplomaten, bis hin zur früheren Beamtin im Staatsministerium und heutigen Ministerin für Kultur, Justiz und den öffentlichen Dienst Octavie Modert (CSV). Doch auch dafür wäre ohne Belang, ob die Regierung schon diesen Monat demissioniert hätte, statt den Großherzog aufzufordern, bis zum 7. Oktober alles zu lassen, wie es ist, und Wahlen für den 20. Oktober anzusetzen. Ein persönliches Interesse, das Parlament möglichst spät aufzulösen, hätten allenfalls die Abgeordneten haben können. Tatsächlich kamen Diäten und Abgangsgeld in der Konferenz der Fraktionspräsidenten auch zur Sprache. Aber nur kurz. Denn vor allem hatten es die Fraktionschefs mit einer Regierung zu tun, die nicht zurücktreten wollte: Der Premier nicht, weil er wollte, dass ihn jemand stürzt, und seine Koalitionspartner nicht, weil sie nur zu einer Demission der ganzen Regierung bereit waren. Es ging vor allem um Strategien für den Wahlkampf und die Zeit danach – und viel weniger um Diäten, Abgangs- und Wartegelder.