Bis zu 100 Milliarden Euro wird Spanien aus den EU-Rettungstöpfen erhalten, um seine Banken zu stützen. Wieder einmal müssen öffentliche Gelder, beziehungsweise staatliche Garantien her, um marode Kreditinstitute zu stützen. In einem Land, in dem mehr als die Hälfte der Jugendlichen keine Arbeit hat. Angesichts solcher Nachrichten, klingt das Vorhaben der EU-Kommission durchaus attraktiv. Sie schlug vergangenen Herbst vor, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen, um die Finanzbranche an der Finanzierung der Krisenbewältigung zu beteiligen und sicherzustellen, „dass der Sektor einen angemessenen Beitrag zu den öffentlichen Haushalten und zugunsten der Bürger, Unternehmen und Mitgliedstaaten“ leistet. Doch in Luxemburg riskiert das Vorhaben eher für Minder- als für Mehreinnahmen zu sorgen. Deswegen wird in den kommenden Monaten viel Verhandlungsgeschick gefragt sein.
Mit Einnahmen über 57 Milliarden Euro rechnet die EU-Kommission, wenn eine Finanztransaktionssteuer von 0,1 Prozent auf dem Handel von Finanzprodukten wie Aktien und Anleihen sowie von 0,01 Prozent auf Finanzderivaten erhoben würde. Geld, das die Kommission gerne in den EU-Haushalt fließen lassen würde, um so die Mitgliedstaaten von ihren Beiträgen zu entlasten. Die streiten seit Monaten über die Finanzierung des gemeinsamen Haushalts, aus dem die Ausgaben für die gemeinsame Agrarpolitik, aber auch für Forschungsprojekte und Strukturfonds bestritten werden.
In ihren offiziellen Mitteilungen hält die Kommission deshalb den gerechten Umverteilungscharakter der oft auch Robin-Hood-Steuer genannten Abgabe hoch, hebt hervor, dass diese von „Finanzinstitutionen“ zu entrichten sei. Damit lenkt sie aber davon ab, dass keineswegs nur die „bösen Banken“ und nicht die „braven Bürger“ zahlen müssen. Zwar soll die Kreditaktivität der Banken ausgespart werden und somit Privatpersonen beispielsweise bei der Immobilienfinanzierung oder Unternehmen, die investieren wollen, entlastet werden. Ebenso wie die Erstausgabe von Aktien und Anleihen nicht besteuert werden soll, um die Kapitalaufnahme von Firmen – und Staaten – nicht zu belasten.
Wer aber als europäischer Kleinsparer oder -anleger Aktien oder Sicav-Anteile kauft oder verkauft, muss den aktuellen Kommissionsplänen zufolge die Steuer ebenso entrichten, wie Großanleger. Denn auch Fonds-Anteile gelten dem Richtlinienvorschlag nach als zu besteuernde Finanzinstrumente. Das bliebe natürlich nicht ohne Folgen für den Fondstandort Luxemburg. Die Investment-Fonds riskierten im Fall einer EU-Transak-tionssteuer zwei bis dreimal besteuert zu werden, warnt Rüdiger Jung, ABBL-Direktionsmitglied und zuständig für Steuerfragen. Beispiel: Ein Kleinanleger kauft Anteile eines Ak-tienfonds. Sowohl beim Kauf als auch beim Verkauf der Fondsanteile würde die Steuer anfallen, wie auch wenn der Fonds Aktien kauft oder verkauft. Würde es sich dabei um einen Fonds handeln, der in andere Fonds investiert, würde die Transaktionssteuer ein drittes Mal fällig.
Der Europäische Fondsverband Efama hat vorgerechnet, dass durch eine Finanztransaktionssteuer, wie von der Kommission vorgeschlagen, im Jahr 2011 allein auf den Ein- und Verkäufen europäischer Publikumsfonds, den so genannten Ucits, bei einem Steuersatz von 0,1 Prozent pro Transaktion 15 Milliarden Euro FTT fällig geworden wären. Berücksichtig man die Steuern, die auf der Investitionstätigkeit der Fonds angefallen wären, hatte die europäische Ucits-Branche insgesamt 38 Milliarden Euro abführen müssen. Dabei ist Luxemburg der internationale Fondsstandort und die Vertriebsplattform für viele Fondspromotoren, die von Luxemburg aus ihre Anlageprodukte europaweit verkaufen. Rund 30 Prozent des Vermögens, das Kleinanleger in europäischen Publikumsfonds angelegt haben, steckt in Luxemburger Ucits. Demnach würde wahrscheinlich ein entsprechender Teil der Finanztransaktionssteuer aus der Ucits-Branche in Luxemburg abgeführt: bei einem Anteil von 30 Prozent wären es auf Basis der Efama-Berechnungen 11,4 Milliarden Euro gewesen.
Die Frage, ob die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer, wie von der Kommission vorgeschlagen, direkt an Brüssel gingen oder in den Mitgliedstaaten bleiben würden – vielleicht zumindest teilweise –, ist für Luxemburg eine wichtige.
Rund 600 Millionen Euro betragen die Einnahmen aus der Taxe d’abonnement, die beim Kauf von Fondsanteilen abgeführt wird, für den Luxemburger Staatshaushalt jährlich. Geld, auf das der Staat in Zeiten unausgeglichener Haushalte schlecht verzichten könnte. Dass die Fondsbranche bereit wäre, neben der FTT weiter eine Taxe d’abonnement abzuführen, ist wenig wahrscheinlich. Die doppelte Besteuerung würde die Kosten erhöhen und die Kundschaft schrecken, so das Argument.
Denn dass alle EU-Länder mitmachen und so zumindest innerhalb der EU gleiche Bedingungen für alle herrschen würde, ist illusorisch. Britische Regierungsvertreter, allen voran Premierminister David Cameron, haben wiederholt Widerstand angekündigt und mit dem Veto gedroht. Nicht von ungefähr. Denn sogar die Kommission übernimmt in ihrer Folgenabschätzung die Berechnungen von Ökonomen, die davon ausgehen, dass der Handel mit Derivaten durch eine FTT um rund 70 Prozent einbrechen würde. Weil die Londoner City Haupthandelsplatz im europäischen Derivatenhandel ist, gehen die gleichen Ökonomen von einem britischen FTT-Anteil aus dem Derivatenhandel von 62 Prozent aus.
Wenn aber nicht zumindest alle EU-Länder mitmachen – von den USA und anderen Finanzzentren gar nicht zu reden –, steigt das Risiko der Aktivitätsverlagerungen, wie auch der Luxemburger Finanzminister Luc Frieden wiederholt gewarnt hat. Das könnte beispielsweise auch Clearstream zu spüren bekommen. Nämlich dann, wenn deren Kunden ihre Transaktionen aus dem geografischen Anwendungsbereich der Steuer aussiedeln.
Seit die deutsche Kanzlerin Angela Merkel der Opposition im Bundestag versprochen hat, sich für eine FTT in Europa stark zu machen, damit diese dem Fiskalpakt für Europa und dem ständigen EU-Rettungsschirm zustimmt, kommt bei der EU-Kommission neue Hoffnung auf ein Weiterkommen in Sachen Transaktionssteuer auf. So berichtete die Süddeutsche Zeitung, der EU-Steuerkommissar Algirdas Šemeta, setzte darauf, dass beim Treffen der EU-Finanzminister am heutigen Freitag in Luxemburg mindestens neun Länder eine Transaktionsaktionssteuer befürworten, was ihnen erlauben würde, ihre Initiative gemeinsam fortzusetzen, statt jeder für sich allein.
Das Europaparlament hat sich Ende Mai mit großer Mehrheit für eine solche Steuer ausgesprochen, auch das gibt dem Steuerkommissar Rückenwind. Dass es aber fünf Jahre nach Ausbruch der Krise in der Politik noch immer erheblich am notwendigen Fachwissen fehlt und deswegen nicht immer alle gut gemeinten Initiativen – zum Beispiel, um Kleinsparer zu schützen – zielführend sind, zeigt der Beschluss des Parlaments, Pensionsfonds von der FTT auszuschließen. Denn wie hoch können die Einkünfte aus einer solchen Steuer sein, wenn man bereit ist, die größten institutionellen Anleger überhaupt von vornherein auszuschließen? Bei aller Dringlichkeit, die leeren Kassen der EU-Länder insgesamt zu füllen, muss die Luxemburger Regierung aufpassen, dass das angedachte System ihr nicht stattdessen ein größeres Loch in ihren Haushalt reißt.