Luxemburg 1970: Ich sitze auf der Kellertreppe eines alten Hauses in der Oberstadt. Im Kellergewölbe übt eine Rockgruppe. Es sind die We Feel, verwegene Burschen mit langen Haaren, die ihren Instrumenten einen harten rockigen Sound entlocken. Dieses Bild aus meiner Jugend ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben.
Damals waren die We Feel eine der wenigen Luxemburger Bands, und wir bemühten uns bei jeder Gelegenheit, ihre Konzerte zu besuchen. Unsere Eltern meinten, diese Art von "Gedudel" hätte nicht viel Zukunft und die Jugend würde bald wieder "anständige" Musik hören. Gut dreißig Jahre später besuchte ich das Halbfinale und das Finale des Rockwettbewerbs Emergenza und war beeindruckt von der großen Zahl der Besucher. Am Ende hatten 4 000 Jugendliche diesen Wettbewerb verfolgt. Die Rockmusik hat also allen Unkenrufen zum Trotz in Luxemburg ihren Weg gemacht.
Dutzende von Bands tummeln sich in einer sehr lebhaften lokalen Szene. Jede von ihnen hat ihr Publikum, das sie unterstützt und ihre Konzerte verfolgt. Die meisten von ihnen haben einen individuellen Stil entwickelt, auch wenn sie sich an bestehende Stilrichtungen anlehnen.
Beeindruckend war auch die Stimmung während des Emergenza-Wettbewerbs: entspannte Atmosphäre beim Publikum, geschäftiges Treiben bei den Organisatoren backstage, gute Qualität des Sounds und eine professionelle Abstimmung der Anlage.
Die zahlreichen Fans der verschiedenen Gruppen schienen einander zu respektieren, und jede Fangruppe unterstützte lautstark die eigene Band, hörte aber auch geduldig den übrigen Bands zu. Viele schienen sich für mehrere Gruppen zu begeistern.
Dass dabei die Liebhaber von so verschiedenen Stilrichtungen wie Rock, Metal, Pop, Folk usw. friedlich miteinander umgehen und gemeinsam Spaß an der Musik haben, sollte uns allen ein Beispiel sein. Hier hat eine Generation ohne viel Aufsehen zu erregen eine Rockszene geschaffen, wie es sie in Luxemburg noch nie gegeben hat.
Allein 34 Bands sind bei der diesjährigen Emergenza gestartet. Die Sieger des Wettbewerbes, Tiger Fernadez, werden im Vorprogramm von Bands wie Hooverphonic oder Placebo am 9. September beim Kulturfestival Terres Rouges.lu in Esch auftreten. Vorher wird diese Band beim Tauberthal Open Air Festival die Farben Luxemburgs verteidigen. Vom 17. bis zum 19. August werden zwei Luxemburger Gruppen beim Life Festival in St. Vith dabei sein.
Bands wie Def Dump und Low Density Corporation geben zahlreiche Konzerte im Ausland. Erwähnenswert sind in dieser Beziehung auch die Auftritte von Schlagloch, Blue Room, Petrograd, Desdemonia, Infinity, Pronoian Made oder von Raquel Barreira.
Die Konzerte sind heute zahlreicher geworden und sind, falls sie in den Medien Erwähnung finden, auch gut besucht. Das diesjährige Rock um Knuedler wird wohl erneut der Auftakt zu guter Rockmusik made in Luxembourg sein.
Das Phänomen ist bemerkenswert: Die Jugend hat ihre Rockbands und feiert ihre Konzerte, während die Alten sich streiten, ob man denn nun eine Rockhalle bauen soll oder nicht. Die Medien scheinen von dem ganzen Treiben im Rockmilieu nur wenig Notiz genommen zu haben. Musikkritiker beschäftigen sich nur wenig mit der (Rock-)Musik unserer Jugend. Im Radio werden nur selten Songs aus der neuen Szene gespielt. Einen Musikclip oder Auftritte Luxemburger Bands im Fernsehen gibt es nicht.
Überhaupt scheint Luxemburg in die absurde Lage zu geraten, in der es eine neue, aktive Musikszene gibt, die zum ersten Male über ein begeistertes und zahlungskräftiges Publikum verfügt, jedoch die (im Ausland) üblichen Begleiterscheinungen wie verstärkte Medienerwähnung, eine Bewertung über Musikcharts oder der Kommerz über Plattenverkauf gänzlich fehlen - ein gesellschaftliches Phänomen droht dadurch unbeachtet zu bleiben. Als Gründe hierfür werden angeführt, dass der Markt zu begrenzt, die Gruppen zu unprofessionell, das kreative Potential zu schwach seien.
Dies mag alles stimmen, andererseits wird man den Verdacht nicht los, dass es auch daran liegen könnte, dass wir Rockmusik noch immer nicht als Bestandteil unserer Kulturszene akzeptieren und uns mit der Zurverfügungstellung der nötigen Mittel zur Verbesserung der Lage immer noch schwer tun.
Es ist jedoch zu hoffen, dass Letzteres nicht der Fall ist, da bereits unsere Väter vergebens gehofft hatten, dass Rockmusik eine schnell vergängliche Erscheinung wäre. Dabei ist sie die Musik der Jugend, die von Generation zu Generation immer neue Varianten entwickelt. Sie ist derart mit dem rasanten Tempo unserer modernen Gesellschaft verschmolzen, dass sie nicht mehr wegzudenken ist.
Wir sollten daher froh sein, dass wir in Luxemburg eine solch vitale Rockszene haben, und sie nach Kräften unterstützen.
- Als Erstes muss für Aufführung von Konzerten gesorgt sein. Die Zahl der Orte, an denen Konzerte stattfinden können ist begrenzt: Kulturfabrik, Café Intro, Flying Dutchman, Bikers, Art-Scene, Plus-Minus..., der eine oder andere neue Veranstaltungsort würde der Rockmusik in Luxemburg weiterhelfen. (Siehe Debatte zum Thema Rockhalle)
- Die Produktion von Platten ist den Gruppen meist selbst überlassen. Hier wäre die professionnelle Arbeit eines Produzenten nützlich, um für die nötige Qualität der Aufnahmen und den professionellen Touch bei der Produktion zu sorgen.
- Für die Vermarktung fertig gestellter Aufnahmen fehlt es an einem Verleger, der über Kontakte zum Hörfunk und zu ausländischen Verlegern und Produzenten verfügt.
- Das Fehlen von professionellen Strukturen wie dem Beruf des Produzenten und dem des Verlegers bringt auch das Fehlen eines Luxemburger Musik-Labels mit sich. Die Szene hat zwar versucht, selbst Abhilfe zu schaffen und das Label Own Records gegründet; manche Autoren haben ihren eigenen Verlag auf die Beine gestellt. Diese Art der Selbsthilfe kann jedoch die Lücke professioneller Strukturen nicht füllen.
Die traditionellen Berufe des Produzenten, des Verlegers und des Agenten können jedoch in einem begrenzten Musikmarkt wie in Luxemburg nur schwerlich heranwachsen und bestehen. Im Allgemeinen wird der Verkauf von 3 000 CDs als die Grenze angenommen, ab der sich die Produktion einer CD für einen unabhängigen Produzenten rentiert. Die Rentabilitätsgrenze müsste in Luxemburg schon bei 1 000 CD liegen, weil der Markt nicht vielmehr hergibt. Ob das für einen Produzenten ohne Unterstützung zu schaffen ist, bleibt fraglich. Ein Verleger könnte auch vom Verlagsgeschäft mit Luxemburger Autoren und Komponisten nicht leben. Ebenfalls gilt es, ein effizientes Verteilernetz für den Verkauf von CDs zu schaffen, wobei dessen Betrieb aber kaum rentabel sein dürfte.
Wenn man alle diese Fragen betrachtet kommt man zu dem Schluss, dass wir in Luxemburg über ein wirtschaftliches Modell nachdenken sollten, das es einem Unternehmer im Verlags- und Produktionsgeschäft erlaubt, in einem begrenzten Markt seinen Beruf auszuüben und so den nötigen Professionalismus und die Verbindungen zum Ausland zu schaffen. Dies wäre selbstverständlich nicht nur im Sinne der Rockmusik, sondern aller Musikrichtungen, die in Luxemburg in so großer Vielfalt vertreten sind.
Der Autor ist Direktor der luxemburgischen Abteilung der Autorenvereinigung Sacem.