Die meisten deutschsprachigen Texte im Luxemburger Wort waren vor dem Krieg in Fraktur-Schrift gesetzt. Nun könnte man meinen, dass das Blatt nach der Befreiung diese "gotische" Schrift aufgab, um zur deutschen Kultur auf Distanz zu gehen. Doch in Wirklichkeit waren es die deutschen Besatzer, die schon 1942 im gleichgeschalteten Wort diese Änderung vornahmen. Der Verzicht auf die Fraktur war also kein Akt nationaler Abgrenzung, sondern faschistischer Modernisierung.
Dies ist eine der Entdeckungen, die man beim Stöbern durch das großformatige Album Luxemburger Wort 1900-2000 machen kann, in dem aus jedem Jahrgang eine Titel- und eine (leider oft undatierte) Innenseite nachgedruckt sind.
Bisher faksimilierten Luxemburger Zeitungen ihre historischen Titelseiten höchstens als Beilagen oder Firmengeschenke, die aber nicht den Weg in den Buchhandel fanden. Mit diesem Album will das Luxemburger Wort sich in eine Reihe mit den großen internationalen Tageszeitungen stellen, die Sammlungen ihrer Titelseiten verkaufen, weil sie sie für über den Tag hinaus wertvolle Zeitdokumente halten. Gleichzeitig möchte sich das Zentralorgan des CSV-Staats wohl ein wenig nach außen mit seiner eigenen Geschichte versöhnen (siehe d'Lëtzebuerger Land vom 27. März 1998) und mit nicht ganz zufälligen Gegenzitaten Vorwürfe abschwächen, es habe beispielsweise am Anfang den Nazis Verständnis entgegengebracht.
Laut Vorwort wollte Direktor Léon Zeches ganz einfach "einen möglichst großen Teil der wichtigsten internationalen und nationalen Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts dokumentieren". Doch die Geschichte des 20. Jahrhunderts kann ein solches Album nicht erzählen. Dafür ist das Auswahlkriterium zu starr, war die Nachrichtenbeschaffung Anfang des Jahrhunderts zu primitiv und ist die kritische Distanz des Tagesjournalismus zu gering.
Eher kann man ausschnittsweise im O-Ton nachlesen, wie ein großer Teil der Luxemburger durch das einige Jahrzehnte lang wichtigste Massenmedium im Land die Welt erzählt und durch Weglassen auch nicht erzählt bekamen. Wenn sie dann nicht gewohnheitsmäßig über die Titelseite hinwegblätterten, die noch heute so langweilig konservativ ist, wie die Titelseite einer Tageszeitung nur sein kann, die nicht jeden Morgen den Konkurrenzkampf am Kiosk bestehen muss.
So erzählt das Wort dann seine Geschichte des 20. Jahrhunderts als Nachrichtenorgan, kirchlicher Anzeiger und konservatives Kampfblatt: Wenn Papst Leo XIII. stirbt, beginnt das Bistumsblatt auf seiner Titelseite 1903 mit einer Anweisung des Bischofs an seine Pfarrer, wie sie die Glocken zu läuten und sein Hirtenwort vorzulesen haben. 1914 wird auf der Titelseite breit die "Militaerische Okkupation Luxemburgs" gemeldet, 1940 steht lediglich auf Seite sechs: "Luxemburg von den Deutschen besetzt", statt eines Berichtes folgt ein weißes Zensurloch.
1924 hieß der Fortsetzungsroman am Fuß der Titelseite "Um der Liebe willen", 1925 "Was die Liebe vermag". 1926 folgte der Regierung Prüm - "Wir weinen ihr keine Träne nach. Wir mussten sie bekämpfen" - Maulkorbpolitiker Bech. 1944 erscheint Seite eins ausnahmsweise auf patriotischem Luxemburgisch.
Dann sterben CSV-Staatsminister in Luxemburg, segnen Päpste in Rom, verbreiten Kommunisten Angst und Schrecken in Russland und Vietnam, doch "US-Elitetruppen landen auf Grenada" 1983. Die Kathedrale brennt 1985, aber das Wort verliert den Glauben nicht. Es bleibt paternalistisch und proamerikanisch, antiarabisch und ultramontan, mit einem Herz für Diktatoren, wenn sie nur rechts genug sind. Fast immer ist Ruhe erste Bürgerpflicht, sogar als 1969 Neil Armstrong den Mond betritt, aber nicht mehr 1978, wenn die Namen der Deputierten aufgelistet werden, die für die Abtreibungsreform stimmten. Bis am Ende, im Jahr 2000, ein neuer Großherzog vereidigt und Milosevic gestürzt wird. Die Welt also wieder ein Stückchen so geworden ist, wie sie für das Wort sein sollte.
Luxemburger Wort 1900-2000. Luxemburg und die Welt ein Jahrhundert im Rückblick. Éditions Saint-Paul, Luxemburg 2000, ca. 212 S., 2480 Fr.