Ein Jahr nach Kriegsende war Juliette de Muyser, die zusammen mit ihrem Ehemann Alfred de Muyser ein Patentbüro betrieb, am 22. März 1946 gegen 16 Uhr beim Service de la Propriété industrielle des Justizministeriums vorstellig geworden. Sie vertrat ihren Mandanten Victor Lenert, einen Zollbeamten aus Lamadeleine, der eine Maschine erfunden hatte, die sich durch die Verschiebung von Gegengewichten unaufhörlich drehen sollte. Amtsgehilfe Hoffmann nahm alles zu Protokoll und erteilte ordnungsgemäß das Erfindungspatent Nummer 27 931 für ein Perpetuum mobile.
Weil ein Leben lang zu arbeiten für die meisten Menschen keine zufriedenstellende Perspektive darstellt, träumen sie seit Jahrhunderten von der ewig arbeitenden Maschine, einer Mechanik, die sich, wie das himmlische Uhrwerk der Sterne, unaufhörlich dreht. Besonders im Zeitalter der Aufklärung hatten Wissenschaftler und Laien ebenso einfallsreich und verbissen nach dem Perpetuum mobile wie nach der Quadratur des Kreises gesucht.
Doch schon 1775 beschloss die Pariser Académie royale des sciences, jede weitere Abhandlung über den Bau von Perpetua mobilia abzulehnen, weil „la construction d‘un mouvement perpétuel est absolument impossible“. Wie recht sie hatte, belegten 70 Jahre später gleich mehrere Physiker mit der Formulierung des Energieerhaltungssatzes: In einem geschlossenen System kann Energie sich nur verwandeln, nicht aber entstehen oder verschwinden. Das geschlossene System eines Perpetuum mobile kann deshalb nicht funktionieren.
Victor Lenert hatte im Larousse gelesen, dass das Perpetuum mobile eine „question insoluble“ sei. Trotzdem ließ er sich nicht beirren. Denn der in die Pose des Propheten im eigenen Land gehüllte Drang, hierzulande das dem Rest der Welt längst bekannte Rad neu zu erfinden, gehört zum Wesen des Luxemburger Geisteslebens. Wie all die für die Kunstgeschichte blinden Künstler, all die vaterländischen Schriftsteller, die nie ein Buch gelesen haben, bezeugen.
Victor Lenerts patentierter Entwurf war eine weitere Variante eines der ältesten und häufigsten Perpetuum-mobile-Vorschläge, eines Rads, bei dessen Umdrehung sich kranzförmig angebrachte Gewichte verlagern und ihm so durch eine Hebelwirkung neuen Schwung geben sollen. Auf diese Weise sollte Lenerts Maschine sich nicht nur ewig selbst drehen, sondern auch noch Motoren und Generatoren antreiben sowie Reibungsverluste kompensieren. Diesen erstaunlichen Wirkungsgrad erklärte er mit einer kleinen Einschränkung: Sein Perpetuum mobile sei im Grund kein geschlossenes System und damit kein Perpetuum mobile, denn es nutze die Erdanziehungskraft als äußere Energiezufuhr.
Obwohl es ihm nicht gelungen war, einen Prototypen seiner Maschine zu bauen – angeblich aus wirtschaftlichen Gründen in der unmittelbaren Nachkriegszeit –, blieb Victor Lenert vom Nutzen seiner Erfindung überzeugt und suchte jahrelang Unterstützung für ihre Verwirklichung. Nachdem er bei amtlichen Stellen auf taube Ohren gestoßen war, organisierte er zwei öffentliche Versammlungen, in der Hauptstadt und im heimatlichen Rodingen, um für sein Perpetuum mobile zu werben. So berichtete das Escher Tageblatt am 3. Januar 1949: „Perpetuum mobile. Am Donnerstag abend hielt Herr Victor Lenert, Zollbeamter, seine 2. Konferenz über das ‚Perpetuum mobile‘. Der Saal des Hôtel Excelsior war gut besetzt und in einer angeregten Diskussion wurde das Pro und Contra der Lenert’schen Erfindung besprochen. Herr Ingenieur Steinborn von der Rodinger Hütte soll sich bereit erklärt haben, dem Erfinder bei der praktischen Auswertung seiner bisher theoretischen Beweisführung behilflich zu sein.“
Da auch die Versammlungen nicht den gewünschten Erfolg brachten, veröffentliche Victor Lenert zwei Jahre später eine 16-seitige Broschüre L’inventeur du Perpetuum Mobile mit einem längeren Appell an den Leser und dem Text der Patenturkunde. Die Titelseite zierte ein Porträtfoto des selbstbewussten Erfinders mit der handschriftlichen Legende: „Je suis l’inventeur du ’Perpetuum Mobile‘! Lenert“. Noch einmal versuchte der Lamadeleiner Zollbeamte, seine Landsleute wachzurütteln und sie darauf aufmerksam zu machen, welch verkanntes Genie in ihrer Mitte lebe. Schließlich sei ihm gelungen, woran bisher selbst die größten Geister gescheitert seien: ein Perpetuum mobile zu erfinden, das kostenlose Energie für alle produzieren werde und damit der Menschheit den ewigen Frieden beschere. Aber die Heimat stellt sich bis heute taub. Ein halbes Jahrhundert später erfand ein geistiger Nachfahre, der Wickringer Handwerkermeister Guy Rollinger, eine Wonnermaschinn, welche für Haebicht bezweckten Industrieafälle in Edelmetall verwandeln sollte.