Am Donnerstag um fünf Uhr in der Frühe gab es noch keine Einigung der wallonischen Verhandler über ihre Zustimmung zum EU-Handelsabkommen Ceta mit den Vertretern der belgischen Regierung. Aber am Mittag ist klar: Wallonien bremst Ceta nicht mehr. Belgien darf das Freihandelsabkommen mit Kanada unterzeichnen, allerdings unter Vorbehalt: Im anschließenden nationalen Ratifizierungsverfahren will Belgien noch ein Veto einlegen können, wenn es bei den Schiedsgerichten bleibt. Zuvor will das Land eine juristische Prüfung der Schiedsgerichte durch den Europäischen Gerichtshof erreichen. Das sind die Vorschläge die Belgien noch am Donnerstag an die Kommission und die Mitgliedstaaten schickte. Da hatte der kanadischePremierminister Justin Trudeau seine Teilnahme am für denselben Tag geplanten EU-Kanada-Gipfel bereits abgesagt.
Belgien spielte mit Leidenschaft das Enfant terrible, ein Spielverderber aber möchte es nicht sein, auch nicht Paul Magnette, Ministerpräsident der Wallonie und Anführer der Anti-Ceta-Revolte. Er war nur versessen darauf, dass die Welt den Eindruck bekommt, er könne sich ein Scheitern dieses „besten Handelsabkommens, das die EU je abgeschlossen hat“ leisten. Das wollte er gar nicht, sondern nur größtmöglichen Eindruck erwecken und klarmachen, dass in der PS alle nur auf sein Kommando hören. Dafür kann ruhig die Signatur eines internationalen Handelsabkommens verschoben werden, wenn es denn sein muss.
Paul Magnette weiß genau, worum es geht und das besser als die meisten Parlamentarier, die dem Abkommen zugestimmt haben. Dieser immer hemdsärmelige und manchmal halbstarke Politiker, nie um einen flotten Spruch verlegen, hat sich in früheren Jahren als Professor der Freien Universität Brüssel mit EU-Verfassungsfragen befasst. Paul Magnette war also klar, dass die Wallonie dieser Tage nur vor der Frage steht, dem Teil des sogenannten gemischten Abkommens zuzustimmen, den normalerweise die EU-Kommission alleine, mit Zustimmung des Europäischen Parlaments, entscheiden kann. Nur weil der deutsche Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel die Kommission wenige Tage nach der Brexit-Entscheidung so gut wie gezwungen hat, das Handelsabkommen allen nationalen EU-Parlamenten und weiteren zehn abstimmungsberechtigten Regionen vorzulegen, musste die Wallonie überhaupt abstimmen. Hätten Angela Merkel und François Hollande den EU-Kommissionsvorsitzenden Jean-Claude Juncker im Juni öffentlich unterstützt, wäre Paul Magnette auf der europäischen Bühne weiterhin so unbekannt wie noch vor einer Woche. Stattdessen hieß es aus Namur: Alles hört auf mein Kommando!
Dem Publikum wären so ein herrliches Polittheater und die öffentlichen Tränen der kanadischen Handelsministerin entgangen. Offiziell geht es Paul Magnette um EU-Standards, Verbraucherschutz und dem Rechtsschutz vor internationalen Konzernen, die angeblich mit der EU und den europäischen Staaten Katz und Maus spielen. Inoffiziell ging es vielleicht noch um den Schutz der wallonischen Viehzucht gegenüber kanadischer Konkurrenz.
Vor allem aber geht es darum, dem PS in der Wallonie den Rücken zu stärken. Der steht nämlich mit diesem an der Wand, seitdem die ex-kommunistische PTB mit knapp 15 Prozent in den Umfragen auftauchte und der PS auf gut 25 Prozent abgerutscht ist. Da tickt der wallonische PS nicht anders als die bayerische CSU: Ist die eigene Vorherrschaft in Gefahr, dann gibt es keine Rücksicht, dann ist jedes Mittel recht, um diese zu sichern. Ein Robin Hood ist Paul Magnette im Gegensatz zur CSU allerdings nicht. Er hat nichts, was er den Armen zustecken könnte. Die Wallonie ist pleite und wird in letzter Zeit immer wieder als Krisenregion genannt. Als solche ist sie nun von den Medien einem europäischen und kanadischen Publikum präsentiert worden. Die Schließung des Baumaschinenherstellers Caterpillar mit dem Verlust von tausenden Arbeitsplätzen wurde nur zu gerne als pars pro toto ins Bild gesetzt. Insofern hat der wallonische Ministerpräsident auf internationalem Parkett ein klassisches Eigentor geschossen.
Zuhause ist das anders. Laut einer Umfrage des Instituts Ivox findet er unter den Frankophonen bei mehr als 70 Prozent Zustimmung für seine Politik. Fast 60 Prozent glauben, dass der Schaukampf der Wallonie ein positives Image verschafft. Sie lesen wohl nur die französische Presse, die auffallend oft den kleinen Asterix aus dem Norden gelobt hat. Den Reim des Westdeutschen Rundfunks „Wallonie – so viel Ärger war noch nie“ – haben sie nicht gehört.
Gleichgültig ob der Gipfel nun gestern stattgefunden hat oder nicht, das Ceta-Abkommen wird umgesetzt werden. Die EU ebenso wie ihre nationalen Politiker haben eine große Erfahrung darin, politischen Gegenwind in formaljuristische Verfahren zu verwandeln. Paul Magnette hat zuhause einen Imagegewinn verbucht. Die Europäer, nicht nur die EU, haben sich international blamiert. Dieser Eindruck wird nicht nur bleiben, er hat sich mittlerweile festgesetzt. Die Europäer stellen sich als ein Haufen zerstrittener und eigensüchtiger Geldsäcke dar, die man herrlich gegeneinander ausspielen und deren politisches Geplapper man getrost vergessen kann. International hält die Europäische Union zurzeit ihre linke Wange schon hin, bevor sie überhaupt auf die rechte geschlagen wurde. Wer auf sie bauen will, weiß, dass er keine Verlässlichkeit erwarten darf. Wer sich die EU zum Gegner erwählt hat, kann in Ruhe zusehen, wie diese mit sich selbst beschäftigt ist und ihre Interessen vernachlässigt.