Kraft seines Amtes hatte der damalige Rosporter LSAP-Bürgermeister Luc Bonblet am 25. März 2001 dekretiert: „Today is the greatest day in local history“, als er den Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Dennis Hastert, empfing. Zur Würdigung des historischen Ereignisses weihte der Gast aus Übersee eine Gedenktafel am Haus Nummer 32 in der Rue principale in Osweiler ein. Als Dank erhielt er eine Flasche Mirabellenschnaps.
Unter dem wohlwollenden Blick von Pfarrer Nico Jans legte Dennis Hastert dann Blumen am lokalen Kriegsdenkmal nieder und hörte sich ein Ständchen der Osweiler Dorfkapelle sowie die entsprechenden Festreden an. Ehe er sich in seinem eigenen und im Namen des amerikanischen Volks dafür bedankte, dass der Rosporter Gemeinderat ihn 14 Tage zuvor zum Ehrenbürger der Gemeinde gewählt hatte. „It’s an amazing thing how history works“, sinnierte er. Er wusste nicht, wie recht er behalten sollte.
So wie Echternach seinen Willibrord hatte nun auch Osweiler seinen Dorfheiligen. Dennis Hastert trug sich ins Goldene Buch der Gemeinde ein und wurde dafür noch einmal mit Geschenken überhäuft, die seine vielen verschiedenen Rollen ehren sollten: Als Befreier und Gesundheitspolitiker erhielt er Bücher über die Ardennenoffensive und das Krankenhauswesen, als großer Sohn oder wenigstens Urenkel der Heimat bekam er einen Kalender, eine Ofenplatte, einen Stammbaum und das Foto des Geburtshauses seines Urgroßvaters. Und als ehemaliger Trainer einer Studentenmannschaft gab es auch noch ein Sporttrikot der Bonneweger Gym.
Seine Zeit als Trainer junger Sportler scheint prägend für Dennis Hastert gewesen zu sein. Denn noch 2013 gab der Politiker seinen Memoiren den Titel Speaker. Lessons from forty years in coaching and politics. Und gleich der erste Satz des Vorworts spannte den Bogen: „Twenty-five years ago, I was a high school wrestling coach in northern Illinois. Occasionally, I drove the school bus, in between, I taught history, economics, and social studies. Today I’m Speaker of the United States House of Representatives, the third highest position in our government.“
In seinen Memoiren erzählt der 1942 geborene Dennis Hastert: „My parents were Jack and Naomi Hastert, and I was the first of their three sons. David would come along in 1948, Chris in 1953. Their ancestors, the first Hastert in America, had emigrated from Osweiler, Luxembourg, in the 1860s, fearing that the tiny nation was about to get gobbled up by one of its hungry European neighbors, and they had settled in an immigrant neighborhood on Aurora’s northeast side called Pigeon Hill.“
Nach der Feierstunde im Osweiler Kulturzentrum wollte der fleißige Lokalreporter des Luxemburger Wort gleich mehrfach Zuschauer ausrufen gehört haben: „Wat ee sympathesche Mann!“ Anschließend begab man sich in das nur wenige Schritte entfernte Restaurant Le Grillon, wo Kammerpräsident Jean Spautz laut Luxemburger Wort „den Stolz der Abgeordnetenkammer und der Regierung“ ausdrückte, „die Ehre des Besuches von Dennis Hastert – ‚eine Visite von Goliath beim David’ – zu haben“. Denn „nicht nur für die Ortschaft Osweiler und die Gemeinde Rosport, sondern für das ganze Großherzogtum, dessen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten tief im gegenseitigen Einsatz für Verteidigung, Demokratie und Menschenrechte verankert seien, handele es sich um einen historischen Tag.“ Selbstverständlich beglückwünschte der ehemalige CSV-Präsident Jean Spautz Dennis Hastert auch „zu seinen Wahlerfolgen seit 1986, die ihn mit seinen starken und konservativen Überzeugungen, seinem Talent als Redner und Schlichter zu einem bekannten Politiker und beliebten Persönlichkeit machten, in der sich die Amerikaner wiederfinden“.
Als Dank für seinen ersten Besuch in Luxemburg erhielt Dennis Hastert die Nachbildung einer Tierskulptur von Auguste Trémont, und das war der Startschuss für eine Hastertmania, die zehn Jahre lang in blinder Heimatliebe Lokalpatrioten und Familienforscher sowie in kühlerer Berechnung das offizielle Luxemburg ergriff. Das Institut grand-ducal, Section de linguistique, d’ethonologie et d’onomastique, veröffentlichte im Internet einen Hastert-Stammbaum ab dem Jahr 1695, und als Außenministerin Lydie Polfer einen Monat später Washington besuchte, traf sie sich mit Dennis Hastert. Das tat auch Premier Jean-Claude Juncker Anfang März 2002. Im Juni war es dann Kulturministerin Erna Hennicot-Schoepges, die zusammen mit Dennis Hastert dessen Geburtsstadt Aurora besuchte.
Ende 2002 freute sich das Luxemburger Wort schon wieder: „Hoher Besuch aus den USA. Bereits zum zweiten Mal innerhalb von anderthalb Jahren ist der Präsident des US-Repräsentantenhauses, J. Dennis Hastert, gestern Mittwoch in das Land seiner Urahnen zurückgekehrt. Als Parlamentspräsident Jean Spautz nämlich erfuhr, dass der in der politischen Hierarchie der Vereinigten Staaten an dritter Stelle fungierende republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses – der Kongress in Washington besteht aus dem Senat und dem Repräsentantenhaus – auf Europatournee sei, lud er ihn mit einer Delegation von sechs anderen Mitgliedern des Kongresses nach Luxemburg ein.“
Jean-Claude Juncker, der ausländische Politiker betätschelte, Jean Asselborn, der mit ihnen kochte und radelte, Lydie Polfer, die große Spezialistin für die kleinen Aufmerksamkeiten, und alle ihnen ergebenen Parteikollegen setzten gnadenlos den zwischenmenschlichen Faktor ein, um ihren geringen diplomatischen Einfluss bei fremden Mächten wettzumachen. Da war der 59. Sprecher des US-Repräsentantenhauses mit seinen Osweiler Urgroßeltern ein auserlesenes Ziel, um einen Fürsprecher in der Bush-Administration zu bekommen, die das Bankgeheimnis abgeschafft und die Militärausgaben erhöht haben wollte sowie freundlich gegenüber Cargolux und SES gesinnt werden sollte. Vielleicht war er ja bereit, kostenlos die Lobbyarbeit zu leisten, für die andere Länder in Washington teuer bezahlten – und die er später zu seinem Beruf machte.
Deshalb blieb der Zweifel an der Hastertmania zurückhaltend und fußte meist auf einem Missverständnis. Zwar klagte das Tageblatt im März 2001, dass Dennis Hastert „dem rechten Flügel der Republikaner zugerechnet wird“, laut The Nation einer „von jenen US-Drogenkriegern, die lieber in Kolumbien einen Krieg gegen bitterarme Kokabauern inszenieren, als zu Hause gesellschaftliche Reformen durchzuführen“. Aber die Zeitung hatte nicht verstanden, dass Hastert nützlich war, nicht obwohl er, sondern weil er zum sehr rechten Zirkel der Bush-Administration gehörte.
Im September 2004 stattete dann Großherzog Henri zusammen mit einer Regierungs- und Wirtschaftsdelegation den USA einen offiziellen Besuch ab. Dabei zeichnete er in der Luxemburger Botschaft in Washington Dennis Hastert mit dem Großkreuz des Eichenlaubordens aus, denn „le Luxemburg est fier de votre réussite“, und die Friesinger Vorzeigeköchin Lea Linster bekochte ihn. Drei Monate später kam Dennis Hastert wieder nach Luxemburg, zum 60. Jahrestag der Ardennenoffensive. „Luxemburgisch ungezwungen und betont herzlich“ war die Begrüßung durch Kammerpräsident Lucien Weiler (CSV), denn Dennis Hastert war „trotz seiner hohen Funktion ganz einfach und bescheiden“, wie das Luxemburger Wort schwärmte. Nicht einmal ein Jahr später, im September 2005, war Dennis Hastert dann zusammen mit Jean-Claude Juncker wieder in Osweiler, um das nach ihm benannte neue Spritzenhaus der freiwilligen Feuerwehr einzuweihen.
Doch im November 2006 verloren die Republikaner die Wahlen. Dennis Hastert war 1998 eher durch Zufall ihr Sprecher geworden, weil der designierte Kandidat seine Ehefrau betrogen hatte und deshalb aufgab. Dennis Hastert hatte keine Lust, Oppositionspolitik zu machen, umso mehr, als ihm vorgeworfen wurde, die anzüglichen Emails eines Abgeordneten an minderjährige Pagen des Kongresses vertuscht zu haben. Dennis Hastert gab sein Mandat auf, zog sich als Lobbyist für die Lobbyfirma Dickstein Shapiro in die Privatwirtschaft zurück und machte seine politischen Beziehungen zu Geld.
Als Dennis Hastert im September 2011 nach Luxemburg kam, wurde er wieder von Kammerpräsident Laurent Mosar (CSV) abwärts wie ein Staatsgast empfangen, auch wenn es im Rechenschaftsbericht des Außenministeriums nur „Privatbesuch“ genannt wurde. In den USA war zuvor die missgünstige Frage aufgekommen, ob der als Lobbyist eingetragene Dennis Hastert nunmehr bezahlte Lobbyarbeit für das Luxemburger Steuerparadies leistete, so wie er es schon für die türkische Regierung tat.
Doch der endgültige Niedergang des nunmehr 73-jährigen, einst „drittwichtigsten Manns Amerikas“, wie es bis dahin gebetsmühlenhaft in der heimischen Presse hieß, begann vor vier Monaten – als Dennis Hastert am 28. Mai angeklagt wurde, gegen das Bankgesetz verstoßen und das FBI belogen zu haben. Hastert gab zu, mehr als eine Million Dollar von seinem Bankkonto abgehoben zu haben, ohne die Operation entsprechend dem Gesetz gegen die Geldwäsche zu melden. Im Verhör log er den FBI dann auch noch an, er habe sein Geld abgehoben, weil er den Banken nicht traue.
Die Ermittlungsbehörden haben aber inzwischen herausgefunden, dass Hastert seit 2010 von einem seiner ehemaligen Studenten erpresst wurde, weil er sich Jahrzehnte zuvor ihm gegenüber eines „sexuellen Fehlverhaltens“ als Trainer schuldig gemacht habe. Insgesamt soll er abgemacht haben, in Raten 3,5 Millionen Dollar Schweigegeld für das Vergehen zu zahlen. Im Juni berichtete die US-Presse über Beschuldigungen, dass Hastert neben dem Erpresser zwei weitere Studenten missbraucht haben soll.
Wenigstens so lange die Unschuldsvermutung gilt, muss Dennis Hastert weder dem Großherzog sein Großkreuz des Eichenlaubordens zurückgeben, noch wird einstweilen das Spritzenhaus in Osweiler umgetauft. Aber im Vergleich zu einem aktiven Politiker ist ein gewerbsmäßiger Lobbyist sowieso uninteressant. Die nächste Anhörung in dem Verfahren ist für nächsten Monat angesagt.