Luftschlange, blauweiße Serviette, Papierpfeife, das Ganze säuberlich in Tütchen verpackt und ans Publikum verteilt: Die Zuschauer der Mainzer Produktion Leonce und Lena von Regisseur K. D. Schmidt werden bereits am Eingang zum Studio des Grand Théâtre zur Teilnahme genötigt. 1836 von Georg Büchner veröffentlicht, wird sein politisches Lustspiel erst 1895 in München uraufgeführt. Dazwischen liegen Jahrzehnte der Neuverfassung einer verschollenen Handschrift mit brisantem politischem Inhalt. Gerade dieser Bloßstellung der Macht, dieser grotesken Karikatur des Absolutismus soll das Publikum mit den ausgehändigten Utensilien aus der Komfortzone gegenwärtiger Demokratie zujubeln: König Peter vom Hause Popo wird gefeiert.
Die eigentliche Handlung des Dramas von Vormärz-Dichter Georg Büchner lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Der melancholische Müßiggänger Prinz Leonce soll unter der Herrschaft seines völlig unfähigen Vaters Peter an Prinzessin Lena aus dem Hause Pipi verheiratet werden und den Thron besteigen. Das Paar kennt sich nicht, beschließt jedoch unabhängig voneinander, vor der bevorstehenden Bestimmung zu fliehen, trifft dann aber zufällig aufeinander. Liebe und Heirat stehen an. Liebe war in diesen Herrscherhäusern nie vorgesehen. Es ist aber die Liebe, die dem machtpolitischen Kalkül ironischerweise in die Karten spielt. Das Räderwerk des Palasts greift ungewollt.
Mit Murat Yeginer als König, Julian von Hansemann als Prinz Leonce und Gesa Geue als Prinzessin Lena wartet das Mainzer Staatstheater mit einem spielfreudigen Ensemble auf. Ohne Frage muss aber vor allem Yeginer hervorgehoben werden. Die Szenen, in denen er zu seinem Volk, dem hell beleuchteten Publikum, spricht, und seinen schusselig vergessenen Gedanken nachjammert, bilden die Höhepunkte der Produktion: „Ich wollte mich an mein Volk erinnern.“ Mit seinen hinterhertrottenden Lakaien (Klee und Dillenberger) liefert Yeginer eine herrlich komische Groteske dieses Schattenkönigs. In Löwenpfoten stürmt er die Zuschauerreihen hoch, reagiert in spritziger Improvisation auf spontane Szenen und springt Männlein wie Weiblein hektisch auf die Knie. „Der Mensch muß denken und ich muß für meine Untertanen denken“, sprudelt es aus diesem unter der Last vermeintlicher Macht zuckenden Herrscher hervor. Doch dieser von seinem Darsteller gewieft interpretierte König denkt nur lethargisch „an das Etwas“ und vergeudet seine Zeit im Müßiggang.
Im ständigen rhetorischen Wettstreit zwischen Leonce und seinem Diener Valerio entstehen weitere geistreiche Wortgefechte, die für Büchner so typisch sind. Steve Kariers und von Hansemanns physisch starke Feier der Faulheit („Valerio ist Jungfrau in der Arbeit“) verpasst diesem Theaterabend weitere dynamische Momente. Selbige müssten eigentlich auch im Kontrast entstehen, sobald Leonce melancholisch über die Melancholie sinniert. Doch diese stillen Momente lassen die Dramaturgie stocken. Der junge Darsteller von Hansemann verleiht seiner Figur zweifellos Präsenz und macht Lust auf mehr, doch verzerrt er den eh verzerrten Kontext mit einer überzogenen Mimik dort, wo Dezenz angebracht ist. Schmidts Leonce und Lena weist so Längen zur Mitte der Handlung hin auf.
Mit seiner Ausstattung arbeitet auch Matthias Werner der politischen Luftnummer zu. Unter einer wackligen Hängebrücke liegen verstreut aufgeblasene Gegenstände: Krokodil, Palme, Globus, Indianerfedern. Irgendwie ist alles nur ein lächerliches Spiel. Das nur noch aus leeren Ritualen zusammengehaltene System ist warme Luft, ein Kindergarten, wacklig und naiv. Und doch bleibt zurück: Für die Untertanen bedeutet selbst dieser Kindergarten Leid, Armut und Willkür.
K.D. Schmidts Inszenierung von Leonce und Lena entpuppt sich als Lustspiel, das genau auf dieser Ebene passt. Büchners Textvorlage wird stellenweise verdreht und improvisatorisch verjüngt. Die nachdenklichen Szenen jedoch bringen die Dramaturgie ins Stocken. Diese Koproduktion mit den Théâtres de la Ville bleibt somit als spielfreudige, komische Politkarikatur in Erinnerung. Immerhin liegt genau dort Sinn und Zweck von Büchners Automatisierung leerer Macht.