Am kommenden Montag jähren sich die Kammerwahlen. Damals hatte eine Mehrheit der Wähler sich für eine christlich-sozialdemokratische Krisenregierung entschieden. Doch nach einem Jahr hat die Krisenregierung kaum mehr als eine Regierungskrise aufzuweisen.
Dabei hatte Premier Jean-Claude Juncker in seiner Regierungserklärung gewarnt, in der tiefsten Wirtschaftskrise seit 1929 „däerf ee keng Feeler maachen“. Aber gerade der Kampf gegen die tiefste Wirtschaftskrise erweist sich bis heute als überraschend dilettantisch.
Inzwischen hat sich herumgesprochen, wo der erste Fehler lag, der nicht begangen werden durfte: Die Regierung hatte während der Koalitionsverhandlungen ungenügend abgesprochen, wie sie aus dem Konjunkturprogramm vor den Wahlen ein Sparprogramm nach den Wahlen machen könnte. Die Regierungserklärung rechtfertigte das mit der launigen Formel: „D’Konsensprognos ass, datt ee keng Prognosen iwwer d’Joer 2010 eraus ka maachen.” In Wirklichkeit erleichterte das Herumdrucksen im vergangenen Sommer bloß die Koalitionsverhandlungen.
Die Folge war jedoch, dass CSV und LSAP diesen wichtigsten Teil der Koalitionsverhandlungen während der laufenden Tripartite-Verhandlungen nachholen mussten. Ein Auto während der Fahrt zu reparieren, ist aber sehr umständlich. Zudem verlor die Regierung ein halbes Jahr Zeit damit, dass der Premier während der Krise auf den gepackten Koffern saß und um den Posten des ersten ständigen Ratsvorsitzenden der Europäischen Union kämpfte. Am 19. November war dieser Traum ausgeträumt, Jean Claude Juncker, der sich mit Großbritannien und Frankreich angelegt hatte, stand als Verlierer da.
Dann zögerte die Regierung die Einberufung der Tripartite immer wieder hinaus und konnte sich lange nicht für ein klar definiertes Ziel der Verhandlungen entscheiden. Was um so verheerender war, als sie mit ihrem unrealistischen Haushaltsentwurf für 2010 und verwirrenden Zahlen über die Entwicklung der Staatsfinanzen und der Konjunktur ihre Glaubwürdigkeit ruinierte. Dabei hatten sich die sozialen Auseinandersetzungen deutlich verschärft: die Unternehmer meldeten in ungewohnt aggressiven Tönen ihre Interessen an, OGB-L, LCGB und CGFP marschierten in einer selten einmütigen Gewerkschaftsfront auf.
Trotzdem hatten die Verwaltungen so gut wie keine Vorarbeiten geleistet, und auch die Regierung ging ratlos und unvorbereitet in die Verhandlungen hinein. Die Improvisation erreichte ihren Höhepunkt, als die Koalition öffentlich über den verbindlichen Charakter ihrer Sparvorschläge stritt, der Premier den Sozialpartnern in Einzelgesprächen widersprüchliche Zusagen machte und dann, statt den greifbaren Konsens über Sparmaßnahmen zu suchen, die Tripartite wegen des Index kurzerhand für gescheitert erklärte.
So ging die Tripartite als vielleicht wichtigstes Projekt der ganzen Legislaturperiode erst einmal im Chaos unter. Mit dem verzweifelten Versuch, in seiner Not bei Tripartite-Veteranen väterlichen Rat einzuholen, demonstrierte der Premier dem ganzen Land seine Ratlosigkeit. Hatte er vor einem Jahr noch seiner Partei das beste Wahlergebnis seit 40 Jahren eingefahren, wurde er, nach der Niederlage um den europäischen Ratsvorsitz, binnen weniger Monate zum zweiten Mal geschwächt.
Die LSAP, die zu den Wahlverlierern zählte und als Juniorpartner bespöttelt wurde, erscheint heute deutlich gestärkt. Nach dem Euthanasie-Gesetz ist es ihr gelungen, die CSV zum zweiten Mal binnen zwei Jahren als macht- und hilflos vorzuführen.
Zum Glück für die Regierung kann die Opposition nur wenig Kapital aus dem Krisen-Management der Regierung schlagen. Die Ursachen sind dieselben, die ihren Durchbruch bei den Wahlen verhinderten: Die Wähler bezweifeln die Wirtschaftskompetenz der erneuerten DP, die der Grünen sowieso, und die ADR steckt in ihrer eigenen Krise.
Dabei ist auch die restliche Bilanz der Regierung bisher mehr als bescheiden: Das groß angekündigte christlich-soziale Superministerium von Claude Wiseler und Marco Schank für Infrastrukturen, Transport und Umwelt hat noch immer nichts Handfestes aufzuweisen. Was aus Reformplänen wie der Abtreibungs- oder der Verwaltungsreform wird, wenn sie einmal den gerade begonnenen Instanzenweg zurückgelegt haben werden, steht in den Sternen. Dem sozialistischen Sozialminister Mars Di Bartolomeo fehlt weiterhin der Mut zu klaren Entscheidungen in der Renten- und Krankenversicherung. Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) geht es in seinem Ressort nicht anders.
François Biltgen und Octavie Modert sind mit ihren Verhandlungen über eine Gehälterrevision im öffentlichen Dienst im ersten Anlauf gescheitert. LSAP-Arbeitsminister Nico Schmit hat sich zwar bemüht, die Unfähigkeit seines Vorgängers nachzuweisen, aber die eigenen Reformen lassen noch immer auf sich warten. Und wer kann sich noch daran erinnern, dass es mit Romain Schneider (LSAP) einen Minister für Solidarwirtschaft geben soll?