In der hauptstädtischen Rue Philippe II und der Grand-Rue haben die Geschäftspartner Pascal Einhorn und Frédéric Castera sich ein kleines Geschäfts­imperium aufgebaut. Das freut nicht jeden

Eine Frage des Geschmacks

d'Lëtzebuerger Land du 04.05.2012
p>Wenn der hauptstädtische Geschäftsverband (UCVL) sich bei der Regierung dafür stark machen will, das Mietrecht für Gewerbeflächen zu ändern, so dass der Nachmieter dem Vormieter eine Entschädigung zahlen muss (d’Land, 30.04.2012), sind daran die beiden Unternehmer Pascal Einhorn und Frédéric Castera nicht ganz unschuldig. Seit mehr als zehn Jahren sind sie im Luxemburger Einzelhandel aktiv. Mit ihren Multimarkenshops Loft und Butterfly haben sie Designerlabels in die Hauptstadt gebracht, die man vorher hier kaum fand. Haben mit Markenläden wie Comptoir des Cotonniers, Gérard Darel oder Geox bekannte Labels angelockt, was, wie es auch die Konkurrenz anerkennt, die Attraktivität als Einkaufsstandort erhöht. 

Doch seit 2010 setzt die Firmengruppe der beiden Unternehmer stark auf Expansion und eckt damit zunehmend bei anderen Geschäftsleuten an. Verwunderlich ist das nicht. Insgesamt 23 Läden betreiben Pascal Einhorn und Frédéric Castera mittlerweile, die meisten davon in Luxemburg-Stadt, so auch Pablo und Sandro in der Rue du Fossé, aber auch in der Alzette-Straße in Esch, wie in den Einkaufszentren Belle Étoile und Auchan sind sie aktiv. Weitere Läden sollen in Kürze folgen. Dabei schreckt ihre Kritiker nicht allein die schiere Größe der Firmengruppe, sondern auch die aggressive Akquisitionspolitik für neue Geschäftsflächen, die man in den Gassen der Oberstadt zuvor so nicht gewohnt war. Ihrem zielstrebigen Entwicklungskurs mussten in den vergangenen Jahren Traditionshäuser des Luxemburger Einzelhandels weichen. Weitere werden folgen. Beispiel: die Maison Ackermann an der Ecke Rue Philippe II/Rue Notre-Dame, die dort während fast 50 Jahren Baby- und Kindersachen verkaufte, die von Einhorn und Castera derzeit umgebaut wird und wo bald die Diffusionslinien, also die etwas weniger teuren Linien, von Sonia Rykiel und Marc Jacobs verkauft werden sollen. Ein Juweliergeschäft mit Vitrine in die Grand-Rue, seit 1936 in der Hauptstadt aktiv, und ein Damenbekleidungsgeschäft der Rue Philippe II, seit  36 Jahren präsent, stehen vor dem gleichen Schicksal. Einhorn und Castera haben den Vermietern höhere Mieten angeboten, weswegen die alten Mietverträge nicht erneuert wurden. 

Das allein reicht aber nicht aus, um den Argwohn der etablierten Geschäftsleute gegenüber den Newcomern zu erklären. „Zwei- bis dreimal so viel Miete“, erklärt eine Geschäftsfrau, würden Einhorn und Castera bieten, da könnte kaum ein anderer mithalten. Gerne würde man ebenfalls so viel Miete zahlen und dabei noch etwas verdienen, sagt ein anderer Geschäftsmann. Er zahlt fast 25 000 Euro Miete monatlich. Als ihm sein Vermieter Ende 2010 mitteilte, Einhorn und Castera hätten 35 000 Euro für die Geschäftsfläche geboten, habe er das durchgerechnet und sei zum Ergebnis gekommen: unmöglich. Deswegen stellen er und andere sich die Frage, wie Frédéric Castera und Pascal Einhorn das bewerkstelligen.

„Klar, wir hören uns um. Wenn ein Mietvertrag endet, versuchen wir ihn zu übernehmen“, gibt Einhorn freimütig zu. Dass man aber systematisch zwei bis dreimal so viel biete sei „Unsinn“, sagt er dem Land. „Das wäre wirtschaftlich unmöglich. Die Miete muss immer in einem gewissen Verhältnis zum Umsatz bleiben.“ Auch in seiner Firma. Ein Geschäft habe er verloren, als der Vermieter die Monatsmiete mehr als verdoppeln wollte. Das Eckhaus in der Rue du Curé wird gerade in Wohnungen umgebaut. Wieso es ihm und seinem Geschäftspartner dennoch gelingt, höhere Mieten zu zahlen, wenn andere Geschäftsleute abwinken müssen? „Wir haben die Marken, die uns erlauben, einen höheren Umsatz zu machen“, erklärt er. „Deswegen können wir auch etwas mehr Miete zahlen.“ Die Schuhmarke Geox beispielsweise, erklärt er, gehöre zu den bekanntesten Marken weltweit. „Wenn sie einen 240 Quadratmeter großen Laden eröffnen, wie wir es in der Grand-Rue gemacht haben, dann werden die Leute aus Thionville, Metz und Nancy hierherkommen, um hier einzukaufen, weil es ein vergleichbares Angebot dort nicht gibt“, so Einhorn. 

À propos Marken: Dass sich Chanel bald in der Rue Philippe II niederlassen wird, ist Pascal Einhorn und Frédéric Castera zu verdanken, auch wenn Chanel das Geschäft selbst betreiben wird. Kenzo- und Paul-Smith-Artikel gibt es schon seit ein paar Jahren in der Rue Philippe II zu kaufen, dafür verantwortlich ist das Unternehmer-Duo Einhorn-Castera. Auch das Geschäft für Marken-Makronen von Ladurée gehört ihnen. Die quirlige Designer-Marke Paul[&]Joe gibt es seit kurzem in der Avenue de la Porte neuve zu erstehen – man ahnt es fast – : Die Boutique gehört zum Firmennetz von Einhorn und Castera. Dass aber in der Rue Philippe II, wo früher die Nouvelle Façon Popstar-Poster, Scherzartikel und falsche Tattoos verkaufte, seit kurzem Gucci-Taschen in einem Dekor angepriesen werden, das goldener strahlt als der Altarschmuck der Kathedrale während der Oktave-Woche, demonstriert wie kein anderes Beispiel, was die beiden Unternehmer vorhaben: In der Rue Philippe II und der Avenue de la Porte neuve Luxus-Boutiquen anzusiedeln, während in der Grand-Rue der „Massenmarkt“ bedient werden soll. Nicht umsonst hat Geox vor kurzem genau diesen Umzug vollzogen. „Wir versuchen, das Ganze etwas kohärenter zu gestalten“, sagt Einhorn. Mit „Massenmarkt“ meint er Produkte, die für 30 bis 40 Prozent der Konsumenten erschwinglich sind.

Das Ganze kohärenter gestalten, wollen er und sein Geschäftspartner natürlich am liebsten selbst. Zehn Boutiquen besitzen sie bereits auf der designierten Luxusmeile. Und es ist hier, wo sie sich weiterentwickeln wollen. Auf die „Lage, Lage und nochmals die Lage“, kommt es an, so Einhorn, das habe er von seinen Eltern und Großeltern gelernt, die selbst bereits Bekleidungsgeschäfte, beziehungsweise einen Stoffhandel betrieben. „In einer schlechten Lage ist es schwierig, gute Geschäfte zu machen.“ 

Um die Top-Lage an der Ecke Avenue Monetery/Rue Philippe II zu sichern, taten Castera und Einhorn genau das, was der Geschäftsverband gesetzlich verankern lassen will: dem Vormieter – dem letzten Kramladen in der Oberstadt – eine Entschädigung gezahlt. Von einer Million Euro. Dem Eiscafé, an der Ecke Rue de la Poste/Rue Philippe II, – die Warteschlange vor dem Verkaufstresen in den Sommermonaten war fester Bestandteil des Straßenbildes –, haben sie 1,15 Millionen Euro gezahlt, damit er auszieht. Die Zahlung solcher Kommissionen „versuchen wir natürlich zu vermeiden“, räumt der Geschäftsmann ein. „Doch in diesem Fall war es strategisch wichtig, weil wir Marken ansiedeln wollten“, sagt er. 

So funktioniere das Geschäft, sagen Einhorn und der Finanz- und Verwaltungschef der Gruppe, die unter der Muttergesellschaft TLVPAP zusammengefasst ist, Roland Metzler. „Erst sichern wir das Lokal. Dann entscheiden wir, welche Marke hineinpassen könnte. Nicht umgekehrt“, führt Metzler aus. Ob der Vorwurf, den manche Geschäftsleute erheben, Einhorn und Castera würden sich als Geschäftsleute ausgeben, agierten aber in Wirklichkeit wie Immobilienagenten, völlig aus der Luft gegriffen ist? „Wir können gar nicht anders als Lokale erwerben“, reagiert Einhorn. „Würden wir das nicht tun, hieße das, dass wir unsere Entwicklung einstellen würden.“ Er beruft sich auf die unternehmerische Freiheit. „Jeder hat das Recht, erfolgreich zu sein.“

An der Kundschaft für die Luxusboutiquen fehlt es nicht, erklärt Einhorn. Deren Zusammensetzung habe sich in den vergangenen Jahren zwar etwas verändert – die Kaufkraft der Amerikaner sei im Zuge der Finanzkrise gesunken – dafür komme Kundschaft aus China, Russland und dem Nahen Osten. Und aus Luxemburg und Umgebung. Kunden, die ansonsten ihr Geld in die Luxusboutiquen in anderen Großstädten tragen würden, würden es stattdessen hier ausgeben, wenn das Angebot da sei, sagt Einhorn. So bündele man die vorhandene Kaufkraft vor Ort. Dass in der Oberstadt die Luxusboutiquen anderer Betreiber prosperieren, die beispielsweise Markenschmuck und
-Uhren verkaufen, oder aber, wie sich die Geschäftsleute erzählen, die Luxusmarke par excellence, Louis Vuitton, ein größeres Lokal suche, um neben den bestbekannten Taschen und Koffern ihre gesamte Produktpalette anbieten zu können, scheint Einhorn und Castera Recht zu geben. 

Dennoch beobachten manche Geschäftsleute argwöhnisch die dynamische Entwicklung der „Newcomer“ – die beiden sind immerhin seit über zehn Jahren im Geschäft und beschäftigen 200 Mitarbeiter. Sollte die Gruppe in finanzielle Turbulenzen geraten, stünde ein ganzer Straßenzug leer, warnen Skeptiker. Dass sich die beiden bisher gegenüber der Presse nie geäußert haben, und sich diskret im Hintergrund halten – die vielfältigen Marken, die sie vertreiben, wollen nicht unbedingt miteinander in Zusammenhang gebracht werden, erklärt Einhorn – hat die mysteriöse Aura der beiden nur verstärkt. Ebenso wie die in den Augen mancher sagenhaften Kommissionen und Mieten, die sie zahlen. 

Woher kommt das Geld, fragen sich die Konkurrenten, die nur noch mürrischer macht, dass am Ursprung des Firmengebildes um Pascal Einhorn und Frédéric Castera einige Off-shore-Firmen auftauchen. „Wir wurden damals schlecht beraten und es war in Mode, Off-shore-Firmen zu nutzen“, sagt Einhorn zum Thema. „Die wurden weder gebraucht, um Geld hinein, noch hinaus zu bringen, was die Finanzkontrolle bestätigt hat“, fügt er hinzu. 

Konkurrenten aber stellen die rasante Entwicklung der Firma insgesamt in Frage. Nicht ganz grundlos, da eine ganze Reihe ihrer Firmen, über die die verschiedenen Geschäfte betrieben werden, 2010 Verluste auswiesen. „In den Jahren davor haben wir Gewinne gemacht und Reserven angelegt“, hält Einhorn entgegen. „Statt Häuser in St.Tropez zu kaufen, teure Autos oder Uhren, haben wir diese Gewinne reinvestiert“, sagt er. „Wir haben sehr viel reinvestiert“. Weil die Vertriebsverträge mit den Marken meist über fünf Jahre gehen, müssten diese Investitionen in ebenso kurzer Zeit abgeschrieben werden, erklärt Finanzchef Metzler. Das drücke auf das Bilanzergebnis, stelle aber die finanzielle Gesundheit der Firma insgesamt nicht in Frage. Dabei sind die Investitionen erheblich, bestätigt er. Nicht nur weil die Mieter selbst die Modernisierung der Boutiquen übernehmen, womit nicht selten eine komplette Instandsetzung der Gebäude einhergeht. Das Geschäftsmodell der Gruppe – Fläche anmieten, dann Marke suchen – führt dazu, dass manchmal über Monate hinweg Miete fällig ist, ohne dass Einnahmen da sind, wie Metzler erklärt. Da man aber nur langfristige Mietverträge, über zwölf Jahre abschließe, die Investitionen jedoch binnen weniger Jahren abgeschrieben würden, so Metzler weiter, könnten in den verbleibenden Jahren der Mietvertragsdauer gute Gewinne erzielt werden. 

Wenn aber Luxus- oder immerhin Artikel bekannter Marken verkauft werden müssen, um die Mieten in Luxemburg zu finanzieren, heißt das im Umkehrschluss, dass für unabhängige Geschäfte mit erschwinglicher, individueller Ware, kein Platz mehr ist.

Michèle Sinner
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