Guill Kaempff, Feinkosthändler, ist neuer Präsident des Stadter Geschäftsverbands. Zusammen mit UCVL-Direktor Yves Piron bespricht er beim Rundgang durch die Haupteinkaufsstraßen der Oberstadt die Prioritäten seiner Amtszeit: die Reform des gewerblichen Mietrechts und die Ladenöffnungszeiten
Place d’armes, Montagnachmittag, das Wetter macht nicht unbedingt Einkaufslaune. Die Terrassen auf dem Platz sind entsprechend leer, ebenso wie die Gassen ringsum. Guill Kaempff und Yves Piron sind beide von Kopf bis Fuß mit Waren aus dem Luxemburger Einzelhandel eingekleidet, wie beide bestätigen. Kaempff ist Überzeugungstäter. Auch vor seiner Wahl zum Präsidenten der Union commerciale de la Ville de Luxembourg (UCVL) war er „kein Trier-Fan“, wie er sagt. „Ich kann gar nicht anders“, meint Yves Piron. Vor einiger Zeit sei er mit Freunden in Trier gewesen. „Nicht mal zum Einkaufen!“ Tagsdarauf habe sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet: „Der Direktor des Geschäftsverbandes wurde in Trier gesehen.“
Dabei muss, wer gerne Markenkleider kauft, gar nicht nach Trier fahren. Das hatten schon die Marktforscher von Cima Beratung und Mangement GmbH 2010 festgestellt, als sie im Auftrag der Stadtverwaltung den Einzelhandel in der Stadt und Umgebung untersuchten. Sie kamen zur Schlussfolgerung: Im qualitativ hochwertigen Angebot im Mode- und Bekleidungssegment, der hohen Dichte an Topmarken, liege die Stärke des Standorts. „Hier liegt das maßgebliche Profilierungspotenzial des Luxemburger Einzelhandels“, so die Marktforscher damals, durch das er sich gegen die Konkurrenz im Umland durchsetzen könne.
Ecke Rue Philippe II, Avenue Monterey. Vor kurzem hat hier Gucci eröffnet, viel Gold glitzert hinter den Schaufenstern. In wandhohen Vitrinen werden Handtaschen ins rechte Licht gerückt, und es gibt natürlich einen Portier, der denjenigen, die sich tatsächlich hinein trauen, die Tür öffnet. Die Cima-Leute hätten angesichts dessen, was sich auf diesem Straßenzug getan hat und noch tut, ihre Freude, reiht sich doch bald ein Fashion-Label ans andere. Weiter unten, an der Ecke Rue Notre Dame werden in Kürze Niederlassungen von Marc Jacobs und der Diffusionslinie von Sonia Rykiel entstehen. Auch Dior und Chanel sollen in absehbarer Zeit ihr Schild an eine Ladentür in der Rue Philippe II hängen. Eine Entwicklung, die man beim Geschäftsverband mit gemischten Gefühlen sieht. „Die vielen neuen Marken bringen sicherlich einen Mehrwert für die Stadt, und die Kunden fragen danach“, sagt Yves Piron. „Das Luxussegment wird ausgebaut. Aber es gibt auch Wermutstropfen“, fügt er hinzu. Weshalb Guill Kaempff die Entwicklung mit „großer Besorgnis“ beobachtet. Ursache dafür ist die Entwicklung der Mieten und das lückenhafte Mietrecht. Zwecks Ansiedlung der Topmarken wurden mancherorts die von den niedergelassenen Geschäftsleuten gezahlten Mieten überboten und die alten Mietverträge gekündigt. Deswegen fordert der Geschäftsverband unbedingt eine Änderung des Mietrechts bei gewerblicher Nutzung nach französischem Modell. „Der neue Mieter, der den alten überbietet, müsste dem Vormieter eine Entschädigung für den Fonds de commerce zahlen, den dieser aufgebaut hat“, meint Kaempff. Welche Berechnungsgrundlage soll genutzt werden, um zu bestimmen, wie viel ein solcher Fonds de commerce wert ist? Vorschläge dazu müsste das zuständige Justizministerium machen, sagt Yves Piron. Für den Geschäftsverband geht erst einmal darum, die Regierung von der Notwendigkeit einer solchen Mietrechtsänderung zu überzeugen.
Daneben will man versuchen, sowohl die öffentlichen als auch die privaten Vermieter dafür zu sensibilisieren, nicht immer an den Meistbietenden zu vermieten. Dass beispielsweise die Stadt Luxemburg die Ecke Rue Philippe II/Rue de la poste an die Makronen-Kette La Durée vermietet hat, statt wie es dem Geschäftsverband vorschwebte, dort ein Art Firmeninkubator für junge Geschäftsleute einzurichten, liegt Piron und Kaempff schwer im Magen. Zumal der Zuschlag für ein weiteres Geschäftslokal im öffentlichen Besitz weiter unten in der Straße kürzlich ebenfalls an den Meistbietenden gegangen sei. Die Vermieter müssten sich auch bewusst machen, dass eine unrealistisch hohe Miete „ein Art von Spekulation“ sei, sagt Kaempff. Nämlich dann, wenn absehbar ist, dass die Miete zu hoch ist, als dass sie der Mieter durch den Geschäftsbetrieb aufbringen könnte.
Ohnehin sind die Mieten so hoch, dass junge Firmengründer kaum die Möglichkeit haben, sich niederzulassen. Die Ecke Avenue de la Porte neuve/Grand-Rue ist der Top-Spot in der Stadt überhaupt. Hier haben die Marktforscher von Cima die höchste Passantenfrequenz in Luxemburg-Stadt gezählt. Über 40 000 Passanten wurden an drei Tagen im Juni 2010 in der Grand-Rue gezählt, ein Aufkommen, das dem von Edeleinkaufsmeilen im Ausland entspricht. In der Avenue de la Porte neuve waren es ebenso viele und an der Ecke liegt die Schnittstelle – dass Louis Vuitton hierhin gezogen ist, ist kein Zufall. Wie viel Miete hier für eine Vitrine von fünf bis sechs Metern Breite und einer Geschäftsfläche von knapp 60 Quadratmetern fällig wird? Zwischen 12 000 und 15 000 Euro monatlich, schätzen Piron und Kaempff. Berücksichtigt man, dass zwei bis drei VerkäuferInnen präsent sind, müssen ganz schön viele Kinderschuhe, Jeans oder Pralinen über die Ladentheke gehen, damit die Kosten gedeckt werden. Kein Wunder demnach, dass man fast nur noch Luxusmarken oder internationale Ketten sieht. Piron hält dagegen: „Über zwei Drittel der UCVL-Mitglieder sind Geschäfte des lokalen Einzelhandels mit weniger als fünf Angestellten, die keiner internationalen Kette oder Marke angehören. In anderen Städten ist das Verhältnis umgekehrt.“
Dabei gibt es in der Stadt aber auch ganz einfach ein Platzproblem, eine Bremse für die Entwicklung des Einzelhandels, wie die beiden erklären. In der Oberstadt haben die Marktforscher von Cima 2010 37 630 Quadratmeter Verkaufsfläche ausgemessen. Doch Vitrinen und Flächen sind meist klein, was an der Baustruktur liegt. Ein Blick nach oben, in die staubigen, ungeputzten Fenster über den Vitrinen der Grand-Rue reicht aus, um die Folgen zu erkennen: Um die Vitrinen und die Verkaufsflächen so breit wie möglich zu gestalten, gibt es keinen separaten Eingang zu den Obergeschossen, die, wenn überhaupt, als Lager genutzt werden. Warum nicht hier zusätzliche Ladenflächen erschließen? „In den meisten Häusern sind die Treppenhäuser schmal und es ist keine Liftinfrastruktur vorgesehen. Ohne Lift bewegen Sie heutzutage keinen Kunden mehr in den ersten Stock“, bedauert Kaempff. Da sei es sinnvoller, eine möglichst große Fläche im Erdgeschoss zu nutzen.
Weil die Flächen in der Stadt rar sind, die nicht als Büros genutzt werden, begrüßt der Geschäftsverband ausdrücklich das Projekt
Royal Hamilius, das zwischen Boulevard Royal und Rue Aldringen entstehen soll. Nicht nur weil hier Wohnraum entsteht, sondern auch, weil durch das Projekt die Verkaufsfläche in der Oberstadt um bis zu 18 000 Quadratmeter erweitert würde. Und weil die geplante Ansiedlung von Flagschiffen, wie einem Apple Store, die Anziehungskraft der Stadt als Einkaufszentrum erhöhen werden, sind sich Kaempff und Piron einig. Ein Department Store wie Inno, das belgische Pendant zur Galeria Kaufhof, wie er im Gespräch sei, sei zudem „wichtig, um die Ausgewogenheit des Angebots zu verbessern“, sagt Kaempff.
Zwar verfügen die Gebietsansässigen über eine überdurchschnittlich hohe Kaufkraft. Ob das aber ausreicht, um den Umsatz in den Luxusboutiquen in der Innenstadt zu gewährleisten? Wer kauft dort ein? „Es gibt eine neue Kundengruppe in Luxemburg, die es so vor zehn, fünfzehn Jahren noch gar nicht gar: die Touristen“, sagt Kaempff. „Ob Chinesen, Japaner oder Südkoreaner – vor allem in den vergangenen Monaten sind spürbar mehr chinesische Touristen unterwegs.“ „Die gehen aber hier nicht zu H[&]M“, fügt er hinzu, „dafür kaufen sie eher eine Vuitton-Tasche, einen Schal bei Hermes oder eine Rolex, weil sie hier wegen der niedrigeren Taxen viel günstiger sind.“
Zudem, relativiert Piron, sei das Angebot in der Stadt gar nicht so unausgewogen. „Vor allem im Bahnhofsviertel hat sich viel getan. Dort gibt es ein qualitativ hochwertiges Mittelklasseangebot, das erschwinglich bis günstig ist.“ „Man kann mit jedem Portemonnaie in der Stadt einkaufen“, lautet seine Schlussfolgerung. Das ist auch deswegen nicht ganz unwichtig, weil sich der Geschäftsverband generell gegen die Auslagerung des Einzelhandels in Einkaufszentren in den Randgebieten wehrt, wo das Angebot meist günstiger ist, wie schon Cima feststellte. Und weil er sich, zusammen mit der Stadtverwaltung, insbesondere gegen das Einkaufszentrum in Liwingen mit allen juristischen Mitteln wehren will, sich also vorgenommen hat, gegen mögliche Prozedurfehler auf jeden Fall zu klagen.
Dass die blau-grüne Koalition auf dem Knuedler dieses Vorhaben in ihrem Koalitionsabkommen schriftlich festgehalten hat und es darin ein eigenes Kapitel „Einzelhandel“ gibt, werten Kaempff und Piron als Erfolg der Bemühungen der vergangenen Jahre. Dass der Bürgermeister Xavier Bettel (DP) selbst für den Einzelhandel zuständig ist, se-
hen sie zudem als Anzeichen für das Umdenken, das bei den Stadtoberen stattfindet. „Die Gemeinde ist sich bewusst geworden, dass es der Handel ist, der wieder Leben in die Stadt bringen kann“, nicht die Banken, glaubt Kaempff.
Leben? An diesemgrauen Montag um 17 Uhr 30 verweilt kaum jemand auf der Place d’armes. In einer halben Stunde ist Ladenschluss, die meisten Passanten gehen Richtung Busbahnhof oder Parkhaus, um den Nachhauseweg anzutreten. Auch in punkto Öffnungszeiten setzt der Geschäftsverband auf Bürgermeister Xavier Bettel, der auf der Jahresversammlung von wenigen Wochen versprochen hatte, beim Mittelstandsministerium dafür einzutreten, dass auch der Einzelhandel in der Hauptstadt sonntags öffnen darf. Obwohl Mittelstandsministerin Françoise Hetto (CSV) dies nur erlauben will, wenn alle Geschäfte öffnen. „Wieso dürfen die Geschäfte in Echternach, Grevenmacher, Niederpallen oder Clerf sonntags geöffnet sein, nur die in der Hauptstadt nicht?“, fragt Kaempff. „Wieso sollen dort die Touristen vor offenen Türen stehen dürfen, hier aber vor geschlossenen? Aber wir können nicht jeden zwingen zu öffnen“, fügt er hinzu. „Man könnte prüfen lassen, ob es juristisch gesehen überhaupt legal ist, dass es diese Unterschiede zwischen der Hauptstadt und anderen Städten gibt“, sagt Kaempff. „Wir treten für die gleiche Behandlung aller Einzelhändler ein“, fügt Piron hinzu. Eine Klage in diesem Sinn plant man aber derzeit nicht. „Man muss ja abwägen, ob das auch politisch sinnvoll ist“, schließt Piron.