Finanzminister Pierre Gramegna (DP) ließ sich die Gelegenheit vergangenen Mittwoch bei der Vorstellung des Haushalts für 2017 nicht entgehen. Vor den versammelten Abgeordneten, Journalisten, Vertretern der Berufskammern und den Regierungskollegen dankte er feierlich Jeannot Waringo, der am 1. November in Rente geht. Der Direktor der Generalfinanzinspektion der Finanzen (IGF) ließ den Kopf in die Hände gestützt, mit denen er das halbe Gesicht bedeckte, schloss kurz die Augen.
Waringos Abgang besiegelt das Ende einer Ära: der seinigen. Jeannot Waringo hat sechs Finanz- und Haushaltsminister erlebt, seit er seine Karriere bei der IGF unter Jacques Poos (LSAP) begann. Der Wirtschaftswissenschaftler musste damals sein Doktorat in Straßburg abbrechen, weil ihm – trotz Nebenjobs wie Postaustragen – das Geld fehlte. Er blieb Herr über den Haushalt, während Minister kamen und gingen. Er kam zurück, nachdem er binnen eines Jahres drei Todesfälle im engsten Familienkreis und einen Schlaganfall durchmachte. Waringo bezeichnet sich selbst als stur, schnell aufbrausend und als Mensch mit Widersprüchen. So ist der IGF-Direktor, von dem immer alle etwas wollen, nämlich Geld, bei den Vertretern anderer Ministerien, die bei ihm darum fechten mussten, zur teils gefürchteten, teils respektierten Legende geworden, der auch sehr starkem Gegenwind standhält. Dass er hohe Ansprüche stellt und trotz aller Widersprüche eine Menge Prinzipien hochhält, hat dazu sicher beigetragen.
Was ihm wichtig ist, sagt er, ist eine präzis erledigte Arbeit. Respekt hat er vor den Ministern, die ihre Dossiers, ihre Zahlen kennen. Dazu zählt er ganz ausdrücklich Pierre Gramegna und Jean-Claude Juncker, den er als guten Freund bezeichnet, obwohl er zur Antwort auf die CSV-Frage, lauthals „Nein“ ruft und sich eher als „grün und sozial“ bezeichnet. Eine Parteimitgliedschaft, sagt er, sei mit seiner Arbeit „unvereinbar“. Nach der Pensionierung irgendein Mandat annehmen, das über die Ehrenamtlichkeit hinausgeht, findet er ebenfalls moralisch verwerflich, weshalb er sich auf seine acht Enkelkinder und aufs Reisen konzentrieren will.
Ein besonderes Gräuel ist ihm „Einheitsdenken“ jeder Art, auch was den wirtschaftstheoretischen Rahmen der Haushaltspolitik betrifft. Die Diskussion um den Haushalt habe sich von Brüssel ausgehend bis hin zum Stammtisch in der Dorfkneipe immer mehr auf den strukturellen Saldo reduziert. Obwohl keine drei Leute im Land wüssten, was der strukturelle Saldo überhaupt sei. „Aber es arrangiert alle, nur darüber zu reden. Das ist typisch für unsere Gesellschaft.“
Früher, sagt er, sei pragmatischer diskutiert worden, im Staatsdienst und den Regierungsgeschäften. „Und dann wurde eine Entscheidung getroffen.“ Heute strömten immer mehr Akademiker zum Staat, was er weder als gut noch schlecht bewerten will. Aber heute werde andauernd diskutiert, würden Expertisen beantragt, „aber keiner traut sich mehr, eine Entscheidung zu treffen.“ Waringo ist kein großer Fan der modernen Kommunikation. „Es wird immer wichtiger, wie man etwas sagt, nicht was. Das vertrage ich am wenigsten.“
Das einzige, das er im Rückblick auf seine lange Laufbahn wirklich bedauere, sei, dass trotz langwieriger Vorarbeiten der Haushalt nach Zielvorgaben, eine Loi organique relative aux lois de finances (Lolf), nie Wirklichkeit geworden sei. Die kopernikanische Wende Gramegnas mit der Ausgabenprüfung bewertet er „absolut notwendig“, weil sie in den Ministerien einen Mentalitätswandel ausgelöst habe, die Beamten seither darüber nachdächten, wofür wirklich Geld gebraucht werde, und die Aufstellung des Haushalts seither viel einfacher sei. Ob man dafür McKinsey brauchte? „Natürlich nicht! Ein paar gute Staatsbeamte!“
Über seinen Nachfolger Etienne Reuter, bis Ende des Jahres Generalsekretär im Finanzministerium, sagt er nicht viel. Dass Charakterstärke eine der Voraussetzungen für den Job ist, meint er aber auf jeden Fall. Damit hat Reuter, der die Anfrage auf eine Unterredung im Rahmen dieses Artikels unbeantwortet ließ, dem Vernehmen nach bisher nicht geglänzt. Reuter, selbst bald 60, ist so vorsichtig, dass man ihn fast ängstlich nennen muss. Reuter ist seit langem Präsident des Fonds Belval und seit weniger langem Präsident von BGL BNP Paribas, wo man mit ihm zufrieden ist. Mit der Koordination im Ministerium, erzählen Beamte, klappe es eher mittelmäßig. Reuter hat Wirtschaftswissenschaften in Löwen studiert und ein Master of Business Administration von der Universität Chicago. Angesichts seines Alters bleibt ihm eher wenig Zeit, die dort erworbenen Manager-Qualitäten anzuwenden, oder zu beweisen, dass er starkem Gegenwind durchaus widerstehen kann.
Gleichzeitig mit Jeannot Waringo geht der Direktor der Steuerverwaltung, Guy Heintz, in Rente. Auch er besiegelt das Ende einer langen Regentschaft. Seit zehn Jahren war Heintz, der sich vor seinem Renteneintritt nicht äußern will, an der Spitze der Verwaltung, in der er sich seit 1977 hochgearbeitet hat. Deshalb, meinen Kollegen, versteht er im Gegensatz zu manchem Akademiker, der in den vergangenen Jahren zur Steuerverwaltung gekommen ist, tatsächlich etwas von Steuern: Er hat in der Praxis Akten bearbeitet, kennt Steuern nicht nur als theoretisches Konzept. Dass Heintz selbst einem Hurricane der obersten Kategorie bei gleichzeitigem Erdbeben standhält, demonstrierte er spätestens mit seiner Aussage im Luxleaks-Prozess. Vor dem mit internationalen Journalisten gefüllten Gerichtssaal, von denen eine ganze Reihe sicher gerne sein Scalp eingefordert hätten, zählte Heintz zur Antwort auf die Mehrheit der Fragen von Anwälten und Richtern die Gesetzespassagen auf, die ihm eine Äußerung unmöglich machen würden. Hinter ihm flatterten die Anwälte aufgeregt mit ihren Roben und das Publikum scharrte vor Fassungslosigkeit mit den Füßen. Er wiederholte seine Artikel, zuckte fast ein wenig lachend mit den Schultern, was sollte er als Direktor auch anderes tun, um seine Verwaltung und ihre Mitarbeiter zu schützen. Dann ging er, das war’s.
Wochen später hat Heintz die kollektive Anwaltschaft gegen sich aufgebracht, weil er von den in den Panama-Papieren als Mittelsmänner genannten Juristen wissen wollte, welche Dienstleistungen sie denn genau für ihre Kunden erbracht hätten. Sein Schreiben brachte wohl auch einige Roben zum Flattern. Die Anwaltskammer ließ ihn wissen, ihre Mitglieder würden schweigen.
Heintz‘ Nachfolgerin wird seine ehemalige beigeordnete Direktorin Pascale Toussing, die nach dem Regierungswechsel das Ressort Steuern im Finanzministerium übernommen hatte. Auf diesem Posten hat sie Pierre Gramegna in den vergangenen zwei Jahren dabei geholfen, Luxemburgs Weste weißzuwaschen. Der Ruling-Austausch wurde in dieser Zeit beschlossen, Rulings in Luxemburger Gesetz eingeführt, die Transferpreise ebenfalls, Beps angenommen. Die 49-jährige Toussing hat, wie Reuter, in Löwen Wirtschaftswissenschaften studiert. Den Sozialdialog im Land scheint sie für wichtig genug zu halten, um die Präsidentschaft des Wirtschafts- und Sozialrats übernommen zu haben. Dass sie ihre Meinung sagen kann, wenn es sein muss, hatte sie gemeinsam mit dem Direktor der Einregistrierungsbehörde Romain Heinen während einer denkwürdigen Pressekonferenz bewiesen, nachdem das Einzelhandelsimperium von Pascal Einhorn und Frédéric Castera in Konkurs gegangen war. Politiker jeglicher Couleur, inklusive ihr Minister Luc Frieden ,kritisierten danach die beiden Steuerbehörden wegen vermeintlicher Schlamperei und enormen Zahlungsrückständen. Bis zum gemeinsamen Auftritt von Heinen und Toussing, die Punkt für Punkt die Kritiken widerlegten. Danach war Ruhe.
Schon vor ein paar Monaten haben sich Jean Guill und Jean-Claude Finck aus dem aktiven Dienst verabschiedet. Guill hatte nach der heißen Phase der Finanzkrise die Aufsichtsbehörde CSSF übernommen und mit stiller Entschlossenheit aufgeräumt. Hatte der damalige Finanzminister Luc Frieden (CSV) im Sommer 2008 noch auf einem Bankett internationaler Bankiers die CSSF als business-friendly gepriesen, ist Guill auch heute noch der Ansicht, „dass eine gute Kontrolle ebenfalls business-friendly ist“. Guill begann seine berufliche Laufbahn wie Waringo unter der berühmten liberalen Koalition Ende der 70-er nach seinem Jurastudium in Straßburg. Wie Waringo hat er nie eine Parteikarte besessen und hat auch nicht vor, eine zu erwerben. Er verbrachte zwei Jahre beim IWF und der Weltbank in Washington, bevor er beim Insititut monétaire (IML) anfing, wo er blieb, bis das IML im Zuge der Euro-Einführung abgeschafft wurde. Er übernahm von Yves Mersch, Zentralbankgouverneur, das Schatzamt, wo er während der goldenen Jahre nicht besonders viele Schulden aufnehmen musste. Eine interessante, abwechslungsreiche Zeit, sagt Guill, in der er auf europäischer Ebene viel Kontakt zu ausländischen Ministern hatte. Durch die Pensionierung von Nicolas Schaus wurde 2009 der Chefposten der CSSF frei und obwohl er das Schatzamt nicht satt hatte, reizte ihn die Aussicht, sein eigener Chef zu sein. Als solcher zog er andere Seiten auf. Nach der Krise war das „dringend notwendig“, wie Guill meint. Er führte Kontrollen vor Ort ein, die heute Routine sind, und Sanktionen, um Verstöße gegen die Regulierung zu ahnden. In den sechs Jahren, die Guill Direktor der CSSF war, wurde die Bankenunion Realität, erste Stresstests durchgeführt, der Mitarbeiterstab verdoppelte sich und die Behörde baute sich ein neues Hauptquartier.
In die Auswahl seines Nachfolgers Claude Marx war Guill nicht eingebunden. Nur beim gesuchten Profil konnten er und seine Direktionskollegen mitreden. Kompetenzen im IT-Bereich wurden dringend gesucht sowie die Fähigkeit, den schnell gewachsenen Betrieb wirksam zu leiten. Marx kommt aus der Privatwirtschaft, war vorher Versicherungs- und Bankchef. Kaum war er im Amt, musste er anfangen, die Banken, darunter seinen früheren Arbeitgeber HSBC, zu den Panama-Papieren zu befragen, kontrollieren, ob sie die Geldwäschebestimmungen eingehalten hätten. Nut zwei Monaten nach seinem Amtseintritt rächte sich seine Vergangenheit in der Privatwirtschaft. Obwohl er dem Lëtzebuerger Land versichert hatte, niemals für Kunden Offshore-Gesellschaften gegründet oder für sie Verwaltungsratsmandate übernommen zu haben, berichtete die Belgische Zeitung Le Soir von seinen Kontakten zur panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca. Da die Panama-Papers, anders als die Luxleaks-Akten, nicht öffentlich zugänglich sind, bleibt unklar, was sie wirklich enthalten. Kein ganz glücklicher Start, für den Mann, der von sich selbst sagt, dass er schon als Bankier in den Gremien der Bankenvereinigung für einen Wandel in Sachen Steuern eingetreten sei.
Unter ebenfalls nicht ganz günstigen Umständen ließ Jean-Claude Finck vergangenen Herbst mitteilen, er gehe demnächst in Rente, der Minister sei darüber schon länger informiert. Ungünstig war das, weil deutsche Medien gerade von Datenträgern mit Informationen von BCEE-Kunden berichteten, die Steuern hinterzogen hätten. Daten, die ihren Weg zu deutschen Steuerfahndern gefunden hätten. Deshalb sah es aus, als ginge Finck, der bevor er 1996 in die Direktion aufstieg, das Private Banking der Sparkasse leitete, wegen des Steuerskandals. Heute befindet sich die BCEE in Verhandlungen um ein Millionenbußgeld, durch das die Bankleitung die Strafverfolgung ihrer Mitarbeiter wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung vermeiden will.
Als eine der zehn sichersten Banken weltweit legte die BCEE auch unter Jean-Claude Finck viel Wert auf Diskretion und das nicht nur im Bezug auf ihre Kunden. Jahresergebnisse, Geschäftsentwicklung, das alles muss sie nicht erklären, obwohl sie auf dem lokalen Markt der mit Abstand wichtigste Akteur ist. Jean-Claude Finck hat laut Wikipedia-Eintrag – er verzichtete auf ein Gespräch – Wirtschaftswissen in Aix studiert, seine Berufslaufbahn bei der Arbed angefangen, bevor er in die Finanzbranche wechselte.
Weil sich Jean-Claude Finck in den zwölf Jahren, in denen er die Bank leitete, so selten äußerte, bleibt vor allem eine Episode im Gedächtnis: Sein Traum vom Innenminister. 2012 hatte Finck den Ermittlern im Fall Wickringen-Liwingen um die Unternehmer Flavio Becca und Guy Rollinger erzählt, er habe vom Verlauf des Telefonats zwischen ihm und Jean-Marie Halsdorf (CSV) geträumt, der ihn angerufen hatte, um sich über die Kreditbedingungen für Guy Rollinger zu informieren. Ein Gespräch, an das sich Finck vorher nicht so genau hatte erinnern können. Finck ist auch der Direktor, der sich von der Regierung „überreden“ ließ, das Arbed-Gebäude in der Avenue de la Liberté für einen Arcelor-Mittal gefälligen Preis zu kaufen. Danach stellte die BCEE-Leitung die Geschehnisse so dar, als habe man nach anfänglichem Desinteresse gemerkt, welches Goldstück an Immobilie man vor der eigenen Tür habe und deshalb die Gelegenheit beim Schopf gepackt, sie zu erwerben. Doch auf dem Bild der Vertragsunterzeichnung in Anwesenheit von Staatsminister Xavier Bettel, Vize-Premier Etienne Schneider und Finanzminister Pierre Gramegna wirkte Finck eher als sei er in Geiselhaft und halte ihm jemand eine Pistole in den Rücken, denn als investiere er aus freien Stücken, einen dreistelligen Millionenbetrag in ein Museum, dessen Dach dringend reparaturbedürftig war.
Seine Nachfolgerin Françoise Thoma ist umso bemühter zu erklären, dass dererlei Extravaganzen die Wirtschaft fördern und damit durchaus mit dem Mandat der Bank vereinbar sind. Thoma war unbestritten die natürliche Kandidatin für Jean-Claude Fincks Nachfolge. Es gibt niemand, der ihre Kompetenz bestreitet und dass sie alles richtig macht, ihre ganze Laufbahn darauf ausgerichtet war, dass sie irgendwann den Betrieb übernehmen würde. Thoma ist Juristin, hat, bevor sie zur BCEE kam, als Anwältin gearbeitet und als Referendarin am Europäischen Gerichtshof. Bei der Bank leitete sie die Rechtsabteilung, was ihr erlaubt habe, alle Facetten des Geschäfts kennenzulernen. Sie war 15 Jahre für die CSV im Staatsrat, dennoch führte auch für die liberale Regierungskoalition kein Weg an ihr vorbei. Sie spricht lieber davon, dass ihre Arbeit ihr wichtiger sei als ihre Karriere. Sie habe auf nichts verzichtet, um dort anzukommen, wo sie nun ist. Dass sie eine Frau sei, spiele dabei keine Rolle, sie wolle Männer und Frauen motivieren und mitreißen. Dem Paperjam erzählte sie vor Jahren, dass junge Mitarbeiter gerne „Feedback“ über die berufliche Entwicklung erhalten. Die moderne Managersprache beherrscht sie.