Seit Wochen wird im deutschsprachigen Raum heftig über Urheberrechte debattiert, hauptsächlich im Zusammenhang mit der aufstreben[-]den Piratenpartei, die das Kopieren von kreativen Werken im Internet legalisieren will und Kopierschutzmaßnahmen strikt ablehnt. In Luxemburg steht, trotz eines rezenten Falls von Diebstahl geistigen Eigentums (siehe d’Lëtzebuerger Land vom 4. Mai 2012), eine öffentliche Beschäftigung mit diesem Thema bislang noch aus. Zwar ging kürzlich auf vielen Kanälen, in allen Zeitungsspalten von den Veranstaltungen rund um den alljährlichen „Welttag des Buches und des Urheberrechts“ die Rede. Doch dabei fällt auf, dass vorwiegend Jubeltöne erklingen, die für Luxemburg spezifischen Probleme im Zusammenhang mit dem Speichern und Nutzen von geistigen Werken jedoch kaum Erwähnung finden.
Eine Tatsache, die nicht weiter erstaunt, wenn man sieht, wer aus ak[-]tuellem Anlass das Wort ergreift. Nämlich nicht diejenigen, die am Anfang einer Geschichte, eines Artikels oder eines Buches stehen und damit gewissermaßen erst für die Geburt eines Urheberrechts sorgen, sondern die Wiederverwerter und Rechtenutzer eines von allen Seiten gehätschelten Kulturguts: Verleger, Herausgeber von Sammelbänden, Buchhändler, Veranstalter von Lesungen, Funktionäre aus Ministerien und von Verwertungsgesellschaften – allesamt Herrschaften, die mit der Leistung anderer Geld und Ansehen verdienen, ohne diese andern entsprechend zu vergüten. Von einheimischen Urhebern, also den luxemburgischen Autoren selbst, hört man zum Thema Schutz geistigen Eigentums so gut wie nie auch nur das leiseste Wort.
Mit einer erfreulichen Ausnahme. In einem Tageblatt-Artikel vom 17. April 2012 zum diesjährigen „Welttag des Buches und des Urheberrechts“ erwähnte Ian de Toffoli, selbst Autor, Kritiker und Journalist, die allge[-]meine Missachtung luxemburgischer Schriftsteller und ihrer Werke. Leider beließ er es bei einem sanften Rüffel an die Adresse jener Nießnutzer literarischer Arbeit, die selbst Profit aus den Werken ziehen, deren Urheber sie regelmäßig mit vorgetäuschter Gönnerhaftigkeit angehen: „Wie? Der will auch noch Geld dafür? Der soll froh sein, dass ihn überhaupt jemand zur Kenntnis nimmt.“ Oder wie de Toffoli die nur allzu geläufige Argumentation selbsternannter Literaturförderer persifliert: „Oh ce n’est qu’un écrivain amateur, en fait, il est enseignant, il gagne déjà assez, pas la peine qu’on le paie.“
Womit wir beim Thema wären. Denn, so formulierte es unlängst der bekannte deutsche Blogger Malte Welding: „Wir führen eine Scheindebatte, wenn wir über das Urheberrecht reden. Wir müssen über Geld reden.“ Wir müssen klar machen, dass die fundamentalen Chancen des digitalen Zeitalters nicht darin bestehen, Informationen aus dem Internet ohne Kosten beliebig zu reproduzieren und zur Verfügung zu stellen. Dass Texte nicht allein aufgrund der Tatsache, dass sie im Internet unbeschränkt zugänglich sind, auch von jedem jederzeit gratis kopiert, wiederverwendet und weiterverbreitet werden können.
Vom materiellen Schaden einmal abgesehen: Wie beklaut, beschissen und enteignet muss sich ein Autor fühlen, der plötzlich irgendwo einen Text von sich liest, den ein anderer – Verfasser mag man ihn nicht nennen – ihm entwendet, überhaupt nicht oder nur minimal verändert und mit seinem eigenen Namen versehen hat. Sollen Plagiate im digitalen Zeitalter etwa gar nicht mehr strafbar sein? Oder fallen sogenannte Mash-ups, aus Schnipseln anderer Werke zusammengebastelte Texte, nicht unter diese Kategorie? Und wie lange soll das neumodische „Guttenbergen“, das fröhliche Anzapfen diversester Quellen ohne entsprechende Angaben, hierzulande noch als Kavaliersdelikt akzeptiert werden. Jeff Baden, mein ganz persönlicher Plagiator – wer kann schon einen solchen vorweisen? –, wird Ihnen gerne auf diese Fragen antworten.
Oh nein, ich bin kein Feierabenddichter! Kein Hobbyschriftsteller, der in seiner Freizeit sein Gärtchen bestellt und, wenn das Wetter zum Rosenschneiden zu schlecht ist, eine kleine Erzählung zu Papier bringt, in besonders langen Wintern gar den einen oder andern Roman. Nein, ich bin nicht Lehrer, nicht Pfarrer, nicht Universitätsdozent oder Institutsangestellter. Ich lebe vom Schreiben, ich will und muss mit meinen Büchern, meinen Artikeln, meinen Lesungen und sonstigen öffentlichen Auftritten Geld verdienen. Gelegentlich auch mit dem Nachdruck von Werken, die bereits einmal erschienen sind und irgendwann, komplett oder bloß in Auszügen, neu aufgelegt oder wiederverwertet werden.
Es geht demnach nicht um die Ehre. Die kann mir gestohlen bleiben. Es geht um Geld. Nur, wer hierzulande ehrlich über Geld spricht oder schreibt, macht sich unbeliebt. Wer welches hat, soll in unserer Gesellschaft am besten darüber schweigen. Wer keins hat, macht sich zudem lächerlich. Denn niemand will hören, dass unsereins zu Buchvorstellungen mit kleiner Konferenz eingeladen wird und bei den Vorgesprächen als Erstes zu hören bekommt, dass er neben der Werbung für sein Werk absolut rein gar nichts zu erwarten hat. Niemand will wissen, dass die Regierungsverantwortlichen einen Autor, der im Rahmen eines durchaus ambitionierten Schulprojekts ein mehrstündiges Schreibatelier abhält und nicht im Besitz eines Akademikerdiploms ist, mit einem Stundenlohn von erbärmlichen 38,69 Euro abspeisen. So als würde der Autor für Examensleistungen als Schüler oder Student entschädigt, aber nicht für das, was er in den darauffolgenden 20 oder 40 Jahren in seinem Beruf geleistet hat.
Wie viel Geld hierzulande mit einheimischen Romanen und Sachbüchern, Lyrikbändchen und Kindergeschichten umgesetzt wird – niemand weiß es. Es gibt keine Zahlen, nichts Konkretes, keine Statistiken, nur Geraune und Gemunkel. Niemand, außer meinem Steuerbüro, weiß, was dabei herausspringt, wenn ich einen für hiesige Verhältnisse absoluten Verkaufsschlager lande. Niemand ahnt, wie wund ich mir gleichzeitig die Fingerkuppen tippen muss, um am Monatsende meinen gesetzlichen Kranken- und Rentenkassenbeitrag entrichten zu können, weil ich sozialleistungstechnisch mit sicherlich nicht schlecht verdienenden Vertretern anderer sogenannter liberaler Berufe wie Ärzten und Anwälten in einen Topf geworfen werde.
Ich kann jedem, der es wissen möchte, versichern: Obwohl ich nicht nur meine Geschichtchen und Romänchen verfasse, sondern im Wechsel auch regelmäßig Sachbücher sowie häufiger Reise- und andere Reportagen in in- und ausländischen Zeitungen und Magazinen sowie in diversen Käse[-]blättern veröffentliche, dicke Bücher übersetze, dünne Bücher lektoriere, umfangreiche Radiofeatures nicht nur als Schreiber, sondern auch als mein eigener Produzent und Sprecher an einen einheimischen Kultursender verscherbele – mein monatliches Durchschnittseinkommen liegt seit Jahren, ja, eigentlich seitdem ich mich für diese Tätigkeit entschieden habe, weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Und wenn ich es recht bedenke, mache ich mich vermutlich sogar strafbar, weil ich als mein eigener Chef totale Selbstausbeutung betreibe – ein Geschäftsgebaren, für das jeder „normale“ Arbeitgeber vor Gericht gestellt würde.
Als ich einst, als 14-, 15-Jähriger mit dem Schreiben begann, dachte ich natürlich nicht daran, mit dieser Tätigkeit irgendwann einmal Geld verdienen zu können. Erst als ich einen hypothetischen akademischen Abschluss definitiv in den Schornstein schoss, begann ich, mir diesbezüglich ernsthaft Gedanken zu machen, mich umzusehen, umzuhören. Leider gab es in der damaligen Zeit hierzulande keine entsprechenden Vorbilder. Ich lernte niemanden kennen, der neben dem Schreiben nicht noch eine andere Erwerbsquelle in Form einer hauptberuflichen Tätigkeit aufzuweisen hatte. Prozentuale Beteiligung am Verkaufspreis war ein Fremdwort. Bei Lesungen trat man auf, um sich und sein Werk bekannt zu machen, nicht um ein Honorar zu erzielen. Texte stellte man zur Verfügung, weil es eine Ehre war, gedruckt zu werden, nicht eine Einkommensquelle.
Eigentlich hat sich, wann man ehrlich ist, an dieser Situation bis heute nicht viel geändert. Nach wie vor und nicht zu selten werde ich gefragt, was ich neben dem Schreiben denn so beruflich tue. Immer noch werde ich seltsam angeschaut, wenn nicht gar verachtet, sobald ich für meine schöpferische Leistung bezahlt zu werden wünsche, so wie jeder Bäcker für seine Brötchen, jeder Heizungsinstallateur für seinen Einsatz in meinem Keller, jeder Gärtner, bei dem ich mir ein paar Frühjahrsblümchen besorge. Kein Wunder demnach, dass mein eigener Vater mich erst vor kurzem wieder fragte, ob ich nicht allmählich daran denken würde, mir einen richtigen Beruf zu suchen. Und wenn nicht, warum ich denn nicht endlich einen Bestseller schreiben würde, wie der Kerkeling mit seiner Jakobswanderung oder diese andere Fernsehtussi, die zuerst über ihre Geschlechtsteile erzählte und dann über ihre toten Brüder und bestimmt längst zur Millionärin geworden ist.
Komisch eigentlich. Die Nachrichten sind voll von Berichten über pleitegegangene Banken und bankrotte Länder, doch von den finanziellen Krisen und Misserfolgen des Einzelnen wird kaum gesprochen. Vor allem nicht, wenn es um die Kunst geht. Wovon leben unsere bildenden Künstler eigentlich? Die Maler, Bildhauer, Fotografen. Die freiberuflichen Musiker, Schauspieler, Film- und Theaterregisseure. Warum erzählen sie nicht, ob und wie das Geld ihr Leben verändert, ihr Schaffen beeinflusst. Ob und wie an Geldfragen eventuell Freundschaften zerbrechen. Warum äußert sich kein Romancier zu den neuesten Entwicklungen, den möglichen Chancen, aber auch den potenziellen Gefahren durch E-Book, Smartphone und Tablet-PCs? Warum protestiert kein Autor, wenn Zeitungsinhalte umfassend digitalisiert, Nutzern kostenlos zur Verfügung gestellt und auch in diesem Fall massiv Urheberrechte verletzt werden?
Meine Vermutung: Es ist ihnen egal. Weil sie, im Gegensatz zu den eingangs erwähnten Mitspielern aus Verlagen, Druckereien, Bibliotheken, Ministerien und Lehrerstuben, mit ihrem Schreiben eh nichts verdienen, worum es sich zu kämpfen lohnen würde. Denn, um noch einmal einen Satz bei Malte Welding (in der FAZ vom 17.4.2012) zu klauen: Auch in Luxemburg kann man „nicht nur leben vom Schreiben, man kann sogar sehr gut davon leben – wenn man es nicht gerade selbst praktiziert“.