Als Finanzminister Pierre Gramegna (DP) am Mittwoch den Staatshaushaltsentwurf 2018 im Parlament hinterlegte und seine letzte Budgetsried in dieser Legislaturperiode hielt, grummelten CSV-Abgeordnete immer wieder, runzelten die Stirn, schüttelten ab und an belustigt den Kopf, scharrten mit den Füßen. Fraktionspräsident Claude Wiseler legte immer wieder das Kinn in die gefalteten Hände und blickte ernst. Während die designierte DP-Haushaltsberichterstatterin Joëlle Elvinger auf einem Stuhl neben dem Kammerpräsidenten thronte und in die Runde des Plenarsaals grinste.
Dass das Budget 2018 auch ein Wahlkampfbudget sein würde und Gramegnas Rede auch eine Wahlkampfrede, war zu erwarten gewesen. Schon als die DP-LSAP-Grüne-Regierung ihr im Koalitionsvertrag 2013 vereinbartes Ziel eines mittelfristigen Haushaltsüberschuss von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor anderthalb Jahren in ein Defizit von minus 0,5 Prozent verwandelt hatte, war das ein Manöver gewesen, das dem Finanzminister für die Wahljahre 2017 und 2018 zu einem ganz neuen Spielraum verhalf. Als er vor einem Jahr den Haushalt 2017 präsentierte, ging er von einer beeindruckenden Steigerung des Wirtschaftswachstums auf 4,6 Prozent für 2017 aus. Am Mittwoch erklärte er, das Statistikamt Statec habe die Vorhersage für dieses Jahr zwar auf 3,4 Prozent „leicht nach unten korrigiert“, rechne aber für 2018 mit 4,4 Prozent und demnächst vielleicht mit noch mehr, „wenn neue Zahlen von der EU-Kommission kommen“. Falls nicht, sei das „nicht dramatisch, denn wir machen keine Politik für die nächsten Wahlen, sondern für die nächsten Generationen“.
Weil die Koalitionsparteien um ihre Wiederwahl besorgt sind und sie dafür nach dem Abschneiden der CSV bei den Gemeindewahlen noch mehr Grund haben, übernahm Pierre Gramegna, der nach seinem Amtsantritt mit dem Zukunftspak und dem Versprechen auf eine „kopernikanische Wende in der Haushaltspolitik“ Eindruck zu machen versuchte, wie schon letztes Jahr die Rolle, die Maastrichter Stabilitätskriterien um ein Haar als Diktat zur ökonomischen Disziplinierung zu entlarven, dann aber die „Top-Position“ Luxemburgs im Vergleich mit den Nachbarländern und innerhalb der Eurozone doch in den gewohnten Kontext von Budgetdisziplin und gutem Ruf auf den Finanzmärkten zu rücken: „Dass wir die Staatsschuld stabilisiert haben, sagen auch der Internationale Währungsfonds und die Rating-Agenturen.“ In dem an die Presse verschickten Manuskript der Budgetrede steht zwei Mal, Luxemburg brauche keine „Austeritätspolitik“, aber so weit wollte der frühere Direktor der Handelskammer dann doch nicht gehen, und zum Glück gilt, „seulement le discours prononcé fait foi“.
Stattdessen wiederholte er immer wieder, nicht nur die Konjunktur sei gut, überdies habe die Regierung die Ausgaben des Zentralstaats „total im Griff“. 890 Millionen Euro soll dessen Defizit nächstes Jahr betragen. Womöglich ist das eine Überschätzung. Für 2016 waren 633 Millionen Defizit eingeplant, für dieses Jahr sind es 983 Millionen. Als Grund dafür hatte der Finanzminister vor einem Jahr eine Drittel Milliarde Euro Mindereinnahmen als Folge der Steuersenkungen angegeben (d’Land, 14.10.2017). Die sollen auch ein Grund dafür sein, dass im Haushaltsentwurf für nächstes Jahr 890 Millionen Euro Defizit im Zentralstaat vorgesehen sind. Doch am Donnerstag vergangener Woche hatte Gramegna dem parlamentarischen Haushaltsausschuss die frohe Kunde überbringen können, neuesten Zahlen zufolge schließe der Zentralstaat 2016 mit einem Minus von lediglich 211 Millionen Euro ab, also um zwei Drittel besser als veranschlagt. Unterm Strich ergibt sich daraus ein Überschuss über die gesamten öffentlichen Finanzen, Gemeinden und Sozialversicherung inklusive, von 845 Millionen Euro. Das sind 577 Millionen mehr als vorgesehen waren.
Angesichts solcher Zahlen stellt sich natürlich die Frage, wieso nicht gleich ein ausgeglichener Haushalt angestrebt wird und der Finanzminister das Zentralstaats-Defizit stattdessen laut seinem Mehrjahres-Budgetentwurf entlang einer „Trajektorie“ bis 2021 so weit senken will, dass es dann nur noch 89 Millionen Euro betragen und „fast ein Gleichgewicht“ herrschen soll, wie Pierre Gramegna sich am Mittwoch ausdrückte. Aber vielleicht unterschätzt er die Einnahmen ähnlich systematisch, wie seine Vorgänger von der CSV das in den Jahren vor der Finanzkrise taten. Lässt sich ein Defizit zeigen, und sei es auch klein, ist das immerhin ein Grund, Maßhalten zu predigen. Was Pierre Gramegna am Mittwoch ebenfalls tat.
Auf der Einnahmenseite rechnet der Finanzminister dank der prächtigen Konjunktur nächstes Jahr mit 17,3 Milliarden Euro, das wären 6,3 Prozent mehr als 2017. Den größten Teil davon machen mit 7,9 Milliarden die Einnahmen aus direkten Steuern aus, die trotz Steuerreform um 4,8 Prozent gegenüber 2017 wachsen sollen. Auch die indirekten Steuern, der zweitwichtigste Einnahmenposten, sind im Haushaltsentwurf mit 6,8 Milliarden Euro höher veranschlagt als 2017 (+7,5 Prozent). Und während das Aufkommen aus den direkten Steuern trotz der Steuerreform wachsen soll, soll das aus den indirekten Steuern trotz des progressiven Wegfalls der Mehrwertsteuer auf dem elektronischen Handel zunehmen: 2018 darf Luxemburg, wie dieses Jahr, noch 15 Prozent dieser Einnahmen im Land behalten. Danach nichts mehr. Daran „kauen wir“, erklärte Gramegna. Im Mehrjahresbudget rechnet er dennoch damit, dass die Einnahmen aus den indirekten Steuern bis 2021 um 4,1 Prozent zunehmen.
Weil der Kammerwahlkampf und der große Showdown mit der CSV naht, beschränkte der Finanzminister sich diesmal nicht nur auf makroökonomische Betrachtungen rund um die Haushaltslage, sondern flocht in die Budgetpräsentation eine gute Portion Politik ein. Seit der Finanzkrise von 2008 hat die Staatsschuld zugenommen, nicht zuletzt, um Banken zu retten. Dass dadurch eine „Schuldenspirale“ entstanden sei, wirft die DP der CSV seit Jahren vor. Allerdings lag die Staatsschuld 2013 zum Amtsantritt der neuen Regierung mit 24 BIP-Prozent noch deutlich unter den laut Maastrichter Kriterien erlaubten 60 Prozent. Gramegna konnte sich am Mittwoch dafür loben, dass sie Ende 2016 nur noch 20,8 BIP-Prozent oder 11 Milliarden Euro betrug „und nicht 29,2 Prozent des BIP, wie zu unserem Amtsantritt geschätzt wurde“.
Die „Schuldenspirale nachhaltig gebrochen“ zu haben, erklärte der Finanzminister am Mittwoch mehrmals. Und dass die hohen Investitionsausgaben von knapp 2,5 Milliarden Euro zu drei Vierteln aus den laufenden Einnahmen bezahlt werden sollen. Womöglich werden sie am Ende in noch höherem Umfang aus den laufenden Einnahmen gedeckt. Der Budgetgesetzentwurf soll der Regierung zwar erlauben, nächstes Jahr einen Kredit über eine Milliarde Euro aufzunehmen. Davon sollen unter anderem 200 Euro in den Schienenbaufonds und 120 Millionen in den Straßenbaufonds fließen. Das Finanzministerium teilte aber auf Anfrage mit, „wahrscheinlich“ werde es gar nicht nötig, die Anleihe aufzunehmen.
In Zeiten von Niedrig- bis Minuszinsen und obwohl Luxemburg sich des Triple-A-Ratings seiner öffentlichen Finanzen erfreuen kann, scheint Kreditaufnahme zur Finanzierung von Zukunftsbauten demnach als unmoralisch zu gelten. Es könnte aber auch sein, dass die Regierung – und die DP – sich damit einen Trumpf gegenüber der CSV vorbehalten will.
Denn die Auseinandersetzung mit der größten Oppositionspartei setzte gleich nach der Haushaltsrede ein, als CSV-Fraktionspräsident und Spitzenkandidat Claude Wiseler die Finanzpolitik der Regierung „unverantwortlich“ nannte und wiederholte, was er schon oft gefragt hatte: Wann, wenn nicht in diesen konjunkturell guten Zeiten, sollte die Staatsschuld denn abgetragen werden? Und wieso nimmt die Regierung ein anhaltendes Defizit beim Zentralstaat hin? Gramegnas Trajektorie, entlang der es bis 2021 auf 89 Millionen gebracht werden soll, bezeichnete Wiseler am gestrigen Donnerstag im RTL Radio als ein Vermächtnis, durch das „die nächste Regierung gar keine Politikgestaltung machen“ könne.
Wiselers Klage, die DP/LSAP/Grüne-Koalition lege die nächste Regierung zu sehr auf etwas fest, ist allerdings nur eine Umschreibung dafür, dass die CSV sich offenbar noch immer ausmanövriert vorkommt, seit die Regierung das mittelfristige Haushaltsziel mit Genehmigung der EU-Kommission von einem Überschuss in ein Defizit umdeutete, eine Runde Steuerentlastungen schmiss und seither die Sparpolitik des Zukunftspak vergessen machen will. Seitdem versucht die CSV verzweifelt, die Eurostat-Prognosen über die Bevölkerungsentwicklung des Landes, die 2060 einen „1,2-Millionen-Einwohnerstaat“ ergeben könnten, als von der Regierung geplant darzustellen. Aber weil dieses Szenario Teil der Betrachtungen der Ageing Working Group der EU-Kommission zur langfristigen Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sind, müsste jede Panikmache vor dem 1,2-Millionen-Einwohnerstaat ehrlicherweise um Vorschläge ergänzt werden, wie bei weniger Wachstum die Renten finanziert werden sollten. Was die CSV sich bisher hütete, auch nur anzudeuten.
Und so fragte der frühere Direktor Handelskammer am Mittwoch beinah höhnisch in den Plenarsaal der Abgeordnetenkammer, „wo würden Sie denn sparen?“, und als flexibler Liberaler bekannte er wie ein aufrechter Sozialist, „diese Regierung will, dass auch die Generationen nach uns nicht weniger Anspruch auf eine Pension haben“.
Weil es angesichts der nahenden Parlamentswahlen gar nichts bringt, von „Kopernikus“ und Sparen zu reden und es ist vorteilhafter ist, die CSV und ihren Spitzenkandidaten die Rolle des Spielverderbers spielen zu lassen, kleidete Pierre Gramegna die wichtigsten Neuerungen bei den 18,2 Milliarden Euro umfassenden Staatsausgaben in einen 13 Abschnitte umfassenden Zukunftsentwurf „für eine moderne und solidarische Gesellschaft“ und überschrieb sie mit den Schlagworten Lebensqualität, Wettbewerbsfähigkeit und Kontinuität.
Nicht alles davon ist neu. Die Investitionsausgaben zum Beispiel erreichen dieses Jahr mit geplanten 2,415 Milliarden Euro zwar eine noch nie dagewesene Höhe, sind für nächstes Jahr mit 2,365 Milliarden noch immer hoch veranschlagt und sollen laut Mehrjahres-Haushaltsentwurf ab 2019 die 2,5-Milliardengrenze überschreiten. Doch dieser Umfang ergibt sich zu einem guten Teil allein schon aus den vielen laufenden und anstehenden Bauten im Eisenbahnnetz. Bauten von Straßen, Schulen oder Krankenhäusern kommen hinzu (siehe S. 5). Auch die Ankündigung, 500 neue Posten im Schulbereich zu schaffen, ist nicht wirklich überraschend angesichts des zum Schulanfang bekannt gewordenen Lehrermangels im Grundschulbereich oder der geplanten Neuausrichtung der Édiff. Unerwarteter ist dagegen, dass ab nächstem Jahr auch die Schulbücher in der Sekundarstufe gratis sein sollen, wenngleich das schon eine Zeitlang im Gespräch war (siehe S. 4). Dass es über die Steuerreform hinaus noch Verbesserungen für Unternehmen geben werde, war ebenfalls schon im Gespräch und wird nun konkreter (siehe S. 3: „Stock-options vergeblich gesucht“).
Bemerkenswert ist, dass unter den 500 Staatsdienern, die 2018 neu eingestellt werden sollen, auch 100 für die Steuerverwaltung und 20 für die Einregistrierungsverwaltung vorgesehen sind. Beide Verwaltungen „brauchen mehr Personal, um ihre Arbeit machen zu können“, erklärte der Finanzminister lapidar. Spätestens an dieser Stelle zeigte sich, wie groß der Show-Anteil an der Budgetpräsentation war, wenngleich sie am Mittwoch politischer ausfiel als sonst: Das Personal der Steuerverwaltungen aufzustocken, damit sie „ihre Arbeit machen können“, hätten schon die CSV-Finanzminister besorgen können. Wäre es Gramegna darauf angekommen, die CSV ernsthaft zu attackieren, wäre das der Moment gewesen. Denn seine Fragen nach Sparen im Wachstum waren vor allem rhetorische. Und frei von Widersprüchen ist auch der „Zukunftsentwurf“ der Regierung nicht. Die Dotation des Beschäftigungsfonds zum Beispiel soll nächstes Jahr nur zehn Millionen Euro betragen und ab 2020 nur noch fünf Millionen. Was vermutlich mit der Hoffnung auf weiter sinkende Arbeitslosenzahlen zu tun hat, aber dass die „dritte Industrielle Revolution“ Anforderungen an Adem und Beschäftigungsfonds stellen könnten, ist ziemlich plausibel. Und Pierre Gramegna selbst hält die Digitalisierung, neben dem Klimawandel, für ein „Risiko“.