Handels- und Handwerkskammer zur Pensionsreform

"Viel mehr einschneiden"

d'Lëtzebuerger Land vom 27.04.2012

Nach der Arbeitnehmerkammer CSL im März haben sich Ende letzter Woche in einem langen gemeinsamen Gutachten auch Handels- und Handwerkskammer zur Pensionsreform geäußert – wie zu erwarten war, ebenfalls negativ. Während die in der CSL vertretenen Gewerkschaften die dem Reformentwurf zugrunde liegenden Szenarien von der steigenden Lebenserwartung angreifen, attackiert die Patronatsseite insbesondere die Wachstumsannahmen der Regierung: Statt bis 2060 mit durchschnittlich drei Prozent jährlichem BIP-Wachstum zu rechnen sowie mit je
1,5 Prozent Beschäftigungs- und Produktivitätszuwachs, solle man anerkennen, dass die Wirtschaftsleistung nicht nur krisenbedingt gesunken ist. Lag der BIP-Zuwachs inflationsbereinigt zwischen 1996 und 2000 bei 6,1 Prozent, waren es 2001 bis 2005 nur 3,6 Prozent und 2006 bis 2010 zwei Prozent. Zwischen 2009 und 2013 sei mit 0,3 Prozent zu rechnen. Ein neues „goldenes Zeitalter“ mit Zuwächsen wie in der zweiten Hälfte der Neunziger werde sich nach Hochrechnungen der beiden Kammern, wenn überhaupt, erst um 2029 einstellen können. Nötig sei eine Reform, die viel weiter geht, als die Regierung das will.

Ginge es nach den beiden Arbeitgeberkammern, würde in der Rentenformel der proportionale Erhöhungsfaktor, mit dem der in der Beitragszeit bezogene Bruttolohn multipliziert wird und der den größten Einfluss auf die Rentenhöhe hat, nicht innerhalb von 40 Jahren von derzeit 1,85 Prozent auf 1,6 Prozent gesenkt, sondern doppelt so schnell. Abgeschafft würden die gestuften Erhöhungsfaktoren, die den belohnen, der länger im Arbeitsleben bleibt; ebenso die am Rententisch eingeführte Jahresendzulage von gegenwärtig 493 Euro jährlich nach 40 Beitragsjahren. Der voraussichtlich steigenden Lebenserwartung Rechnung tragen soll eine automatische Kürzung aller aktuellen wie künftigen Renten nach jedem Bezugsjahr um 0,7 Prozent. Bei sich verschlechternder Finanzlage der Pensionskasse soll überdies ein zusätzlicher, noch festzulegender „Nachhaltigkeitsfaktor“ alle Renten weiter verkleinern. Die Rentenanpassung an die Reallohnentwicklung würde um mindestens 50 Prozent gesenkt, besser noch ganz abgeschafft – keinesfalls hinnehmen will die Unternehmerseite, dass Änderungen am Réajustement der Renten im politischen Ermessen der Regierung liegen und gegen Beitragserhöhungen abgewogen werden können. Würden all diese Maßnahmen ergriffen, wäre das Patronat einverstanden mit der im Reformentwurf geplanten Anhebung des pauschalen Erhöhungsfaktors in der Rentenformel, der vor allem kleine Renten aufbessert.

Politisch greifen die Arbeitgeberkammern damit die aus der CSV vorgetragenen Grundsatzkritiken am Reformentwurf auf. Neben Parteipräsident Michel Wolter und Finanzminister Luc Frieden hat auch Premier Jean-Claude Juncker die Wachstumsannahmen „eigentlich falsch“ genannt. Ob daraus mit der Patronatsposition ein einschneidend veränderter Reformentwurf folgen wird, fragt sich allerdings. Denn mit den Ablehnungen und Gegenvorschlägen von Gewerkschafts- und Unternehmerseite stehen sich zwei so gegensätzliche Positionen gegenüber, dass der Reformentwurf von Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) am Ende als der politisch durchsetzbare goldenen Mittelweg erscheinen könnte. Über alles Weitere hätte dann die nächste Regierung zu entscheiden, wenn, wie derzeit abzusehen ist, um 2018, also nicht lange vor dem Eintritt in den Wahlkampf zum übernächsten Parlament und zur übernächsten Regierung, die laufenden Ausgaben der Pensionskasse die Einnahmen übersteigen werden.

Nach einer Überschlagsrechnung des Land würden sich die Vorschläge der beiden Kammern – Index- und Reallohnanpassungen ausgeklammert – etwa wie folgt auswirken: Nach 40 Beitrags-jahren zu im Schnitt dem 1,25-fachen Mindestlohn, wie das für ungelernte Hilfskräfte im Bauwesen typisch ist, wird im aktuellen Regime eine Monatsrente von 2 153 Euro gezahlt. Nach dem Reformentwurf der Regierung wären es nach vollem Wirksamwerden der Reform 1 945 Euro nach 40 Jahren und 2 163 Euro nach weiteren drei Dienstjahren für die „Pension à la carte“. Entfiele der Erhöhungsfaktor, der längeren Verbleib im Arbeitsleben belohnt, betrüge auch nach 43 Jahren die Rente nur 2 017 Euro. Der 0,7-Prozent-Korrekturfaktor für die Lebenserwartung würde die Rentenhöhe nach jedem abgelaufenen Jahr um 14 Euro senken.

Auf höhere Renten wären die Auswirkungen entsprechend stärker. 40 Beitragsjahre zum durchschnittlich dreifachen Mindestlohn bringen aktuell 4 574 Euro Monatsrente, im Regierungskalkül nach 43 Jahren 4 535 Euro, und 4 186 Euro nach 43 Jahren laut Patronatsvorschlag. Die große Unbekannte wäre, abgesehen von der auch von der Regierung zur Disposition gestellten Rentenanpassung, der zusätzliche „Nachhaltigkeitsfaktor“. 

Peter Feist
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