Seit 2002 schien in Luxemburg die Reform der Grundsteuer immer mal wieder auf die politische Agenda geraten zu sein, aber zu einem Reformkonzept kam es nie. 2013 gab es jedoch einen parteienübergreifenden Konsens über die Reformnotwendigkeit. Der Gemeindeverband Syvicol schloss sich an. Und so will nun die neue Regierung einen Anlauf wagen. Im Koalitionsprogramm hat sie bekräftigt, dass sie „réformera l’impôt foncier dans le cadre d’une réforme globale des finances communales“. Grundsätzliche Unterstützung kann sie unter anderem von der Handelskammer, vom Handwerkerverband und von der Chambre immobilière erwarten. Da aber nahezu jede Änderung am bestehenden System zahlreiche Gruppeninteressen berührt, nicht zuletzt die absolute und relative Finanzposition der einzelnen Gemeinden, folgt aus dem breiten Konsens für eine Reform noch keineswegs, dass man sich schnell auf ein Reformmodell oder gar auf konkrete Vorschriften einigen kann.
Nötig ist die Reform aber allemal. Die Kommunalfinanzen sind in Niveau und Struktur unzureichend, der kommunale Finanzausgleich setzt falsche Anreize, und die Grundsteuer in ihrer gegenwärtigen Form ist nun wirklich ein Anachronismus: Ihre Bemessungsgrundlage (der Einheitswert) wird nach den Wert- beziehungsweise Preisverhältnissen vom 1. Januar 1941 festgesetzt. Selbst für Grundstücke, auf denen heute ein Neubau errichtet wird, muss die Steuerbehörde dessen Einheitswert auf der Basis von beinahe 75 Jahre alten Veräußerungs- oder Mietwerten festsetzen. Der Einheitswert wird anschließend noch mit unter anderem regional differenzierten Messzahlen multipliziert, die auch schon seit 1968 gültig sind, bevor die Gemeinde ihren lokalen Hebesatz darauf anwendet. Mit einer zeitnahen Besteuerung des Grundvermögens hat das nichts zu tun.
Aus fiskalischer Sicht rechtfertigt der gegenwärtige Zustand der Grundsteuer eigentlich nur das Urteil „abschaffen oder völlig umkrempeln“. Die Steuer erbringt pro Einwohner und Jahr im Durchschnitt ganze 60 Euro. Ihr Gesamtaufkommen von rund 30 Millionen Euro macht weniger als 0,3 Prozent der öffentlichen Steuereinnahmen (ohne Sozialabgaben) aus. Darüber könnte man hinwegsehen – schließlich gibt es viele „Bagatellsteuern“ –, wenn den geringen Einnahmen nicht ein übergroßer Erhebungsaufwand gegenüberstünde. Das antiquierte Festsetzungsverfahren bindet eine ganze Abteilung in der staatlichen Steuerverwaltung und zusätzlich kommunale Ressourcen. Die Netto-Ergiebigkeit der Grundsteuer liegt daher nahe Null. Ihr Aufkommen dient gerade mal zur Deckung der Erhebungskosten – fiskalisch also ein echter Flop.
Dass die Grundsteuer dennoch im kommunalen Finanzsystem nach der Gewerbesteuer, die fast zwanzig Mal so viel erbringt, die zweitgrößte eigene Steuer der Gemeinden ist, klingt da schon eher wie ein Witz. Für die Einzelgemeinde sieht die Fiskalbilanz aber etwas freundlicher aus, da der Staat den weitaus überwiegenden Teil der Erhebungskosten trägt und die Grundsteuer nicht im interkommunalen Finanzausgleich umverteilt wird. Dennoch: Zu den laufenden Kommunaleinnahmen trägt die Grundsteuer nur knapp zwei Prozent bei. Ihre relative Bedeutung hat immer weiter abgenommen – kein Wunder, weil sich die großen Wertsteigerungen im Immobilienbereich aufgrund der retrograden Einheitsbewertung nicht in entsprechend höheren Bemessungsgrundlagen niederschlagen. In Zeiten, in denen die Grundstückswerte sich verdreifacht haben, ist das Grundsteueraufkommen gerade mal um etwa 50 Prozent gestiegen.
Viel beklagt wird auch die Ungerechtigkeit der gegenwärtigen Grundbesteuerung. Die Werte für alte und neue Gebäude werden trotz völlig unterschiedlicher Bau- beziehungsweise Qualitätsstandards und der durch Planungsentscheidungen eingetretenen Wertveränderungen durch Rückgriff auf historische Verhältnisse ermittelt. Die Einheitswerte bilden daher weder den aktuellen Realwert der Grundstücke noch ihre relativen Wertverhältnisse zueinander angemessen ab. Das macht die Ungerechtigkeit innerhalb der Grundsteuer aus. Nicht vergessen werden darf aber im Rahmen einer grundlegenden Steuerstrukturreform auch die Verzerrung in der Belastung zwischen dem mit Grundsteuer belastetem Grundvermögen und anderen nicht vermögensteuerlich belasteten Vermögensteilen.
Und schließlich setzt die Grundsteuer auch falsche Anreize für den Umgang mit der Fläche: Da die Steuer zurzeit für die Grundstückseigentümer marginal ist, kann sie zumeist mühelos aus dem sonstigen Einkommen, also auch ohne effiziente Nutzung beziehungsweise ohne Erträge aus der Grundstücksnutzung, bezahlt werden. Das führt zum einen zum „Zurückhalten“ von Bauland oder baureifen Grundstücken. Zum anderen unterstützt es die Tendenz zur „ineffizienten“ lockeren Einzelbebauung mit relativ großen Grundstücken außerhalb der Kernzonen, wirkt gegen die öffentlich-gemeinschaftlichen Planungsziele und setzt die öffentlichen Planungsträger unter Druck, immer mehr Flächen zur Bebauung freizugeben.
All das soll sich künftig ändern. Wie? – Dazu gibt es genügend Lehr- und Anschauungsmaterial, eine ganze Reihe erwägenswerter und durchaus praktikabler Optionen zur geltenden Grundbesteuerung. Die Anzahl von Einzelvorschlägen ist kaum noch überschaubar. Im Prinzip aber geht es stets um die Abwägung, ob man Grundstücke nur über ein Flächenmaß oder über ihren ökonomischen Wert erfassen, ob man bei Wertansätzen nur den Bodenwert oder auch den Wert der Gebäude zugrunde legen und anhand welcher Daten und Methoden man die jeweiligen Maßstäbe bestimmen soll. Für die einzelnen Ansätze gibt es jeweils technisch verschiedene Verfahren mit unterschiedlichem Verwaltungsaufwand.
Die meisten dieser Ansätze finden sich übrigens längst in der europäischen Besteuerungspraxis wieder. Im Osten (Tschechische und Slowakische Republik, Ungarn und Polen) haben sich bei der Neuorientierung der Steuersysteme nach 1989 einige einfach zu handhabende Flächensteueransätze durchgesetzt. Im Norden (Baltikum und Skandinavien) dominieren Wertsteuern. Um mit relativ geringem Verwaltungsaufwand die aktuellen Werte zu approximieren, werden dabei alle Grundstücke nach bestimmten Merkmalen (Größe, Lage, Baujahr der Gebäude und so weiter) erfasst. Nach jährlicher Auswertung der tatsächlichen Verkaufsfälle werden die dabei erzielten Preise in ein statistisch-mathematischen Modell eingegeben, das dann auch den nicht verkauften Grundstücken einen dem jeweiligen Typus angenäherten Wert zuordnet.
Auch die Niederlande bieten Anschauungsunterricht dafür, wie man eine wertorientierte Besteuerung auf der Basis verkaufter vergleichbarer Grundstücke umsetzt und welcher Erhebungsaufwand beziehungsweise welche Wirkungen damit verbunden sind. In Belgien werden die Werte vornehmlich auf der Grundlage von Informationen über Mieten bestimmt. Die Steuer wird auf das indexierte Katastereinkommen als durchschnittlicher Nettoertrag erhoben.
In Großbritannien besteuern die Business rates Grundstücke, die nicht zu Wohnzwecken genutzt werden, nach dem Rateable value in Form eines auf jeweils fünf Jahre festgelegten jährlichen Mietwertes, wie er bei freier Vermietung erzielt werden könnte. Die Council tax erfasst Wohngrundstücke zum Wert, zu dem das Grundstück 1991 hätte veräußert werden können. In den südeuropäischen Ländern gibt es Versuche, die Grundsteuer mit Hilfe recht starrer technischer Faktoren an die aktuellen Wertverhältnisse anzunähern. Aus Deutschland und auch Österreich, wo es wie in Luxemburg ein Einheitswertsystem gibt, lassen sich vor allem Erkenntnisse darüber sammeln, warum Reformvorhaben nicht umgesetzt werden.
Man kann also für die Luxemburger Reform Erfahrungen aus anderen Ländern nutzen. Und man kann aus einer breiten Palette von in der Wissenschaft diskutierten Reformmodellen auswählen. Eindeutige Antworten auf die Frage, wie eine moderne Grundsteuer für Luxemburg auszugestalten ist, erhält man daraus allerdings nicht. Best practice lässt sich allenfalls für bestimmte technische Verfahren bestimmen, nicht aber für den Systemstellenwert der Grundsteuer. Von der Wissenschaft kann man zwar bestimmte Spielregeln und Reformkriterien an die Hand bekommen, aber keine eindeutige Ausgestaltungsempfehlung. So hat sich kürzlich das höchste Gremium der deutschen Finanzwissenschaftler (der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium) klar für eine Kombination von Bodenwert- und Gebäudewertbesteuerung mit Orientierung am Mietwert ausgesprochen. Dies fand aber heftige Kritik vonseiten anderer Wissenschaftler, die eine Besteuerung der Gebäudewerte für systemwidrig und unter anreiz- und lenkungspolitischen Aspekten für völlig verfehlt halten. Zu den unterschiedlichen Schlussfolgerungen tragen sicherlich zum Teil verschiedene ideologische wie theoretisch-methodische Positio-nen bei. Es wird aber auch deutlich, dass mit der Grundsteuerreform unterschiedliche Ziele verknüpft werden, die nicht alle gleichzeitig erreichbar sind, und dass daher je nach gesetzten Prioritäten unterschiedliche Konstruktionen mehr oder weniger empfehlenswert sind.
Auch für die Luxemburger Reform lautet somit die Kernfrage: Welchen Zielen soll sie prioritär folgen, und wie fügt sie sich in die strukturelle Gesamtreform des Steuersystems ein, die von der Regierung beabsichtigt, zumindest angekündigt ist? Im Regierungsprogramm werden für die Grundsteuer drei Ziele vorgegeben: (1) Sie soll den Gemeinden künftig eine stabilere Finanzquelle für Ausbau und Pflege ihrer Infrastruktur sein, also höhere und mit der allgemeinen ökonomischen Entwicklung Schritt haltende Einnahmen erbringen. (2) Sie soll zu größerer Steuergerechtigkeit beitragen und (3) zu einem wirtschaftlicheren Umgang mit den knappen Bodenressourcen des Landes anregen. Zudem hat die Regierung ihre Steuerpläne generell unter das Motto „wachstums-, familien-, so-zial- und umweltfreundlich“ gestellt. – Vorgaben, die zu einer weit reichenden Strukturreform zwingen, bei denen durchaus Konflikte zu erwarten sind.
Am leichtesten lässt sich das Aufkommen erhöhen. Das könnte man sogar in der bisherigen Grundstruktur erreichen. Dazu müsste man allerdings entweder immer wieder Steuermesszahl oder Hebesatz erhöhen oder die Einheitswerte mit einer gewissen Regelmäßigkeit neu feststellen oder fortschreiben – ein Riesenaufwand, der die Mehreinnahmen im Zweifelsfall auffressen würde.
Wenn das Steueraufkommen mit dem allgemeinen Wachstum Schritt halten soll, ist auch von einer reinen Flächensteuer abzuraten, die zur dynamischen Aufkommensanpassung ein ständiges Drehen an der Steuersatzschraube verlangt. Am einfachsten und nachhaltigsten ließe sich das Aufkommen steigern und dynamisieren, indem man auf eine ak-tuell wertbasierte Bemessungsgrundlage zurückgreift, die Veränderungen in Boden- und/oder Gebäudewerten widerspiegelt. Ob man zusätzlich andere Maßstäbe heranzieht und ob man den Bodenwert unabhängig von den auf Grundstücken stehenden Gebäuden oder unter Einbeziehung der Gebäudewerte als Bemessungsgrundlage wählt und wie man die Feststellung der Wertverhältnisse organisiert, das sind Fragen, die im Hinblick auf andere Ziele der Bodenbesteuerung zu beantworten sind. Wie jede Steuer, so hat nämlich auch die Grundsteuer neben rein fiskalischen etliche nicht-fiskalische Wirkungen. Jede Reformoption begünstigt oder verletzt also eine Reihe anderer politischer Ziele.
So garantiert die reine Bodenwertbesteuerung zwar fiskalische Ergiebigkeit und Beteiligung am Wachstum, sie eignet sich aber – da sie sich an Marktwerten orientiert – nur unzulänglich zur Anlastung negativer Umwelteffekte, wie sie vor allem durch Flächenversiegelung und -verdichtung für Boden und Wasser entstehen. Dafür setzt das Modell richtige Anreize, die knappen Grundstücksflächen effizienter zu nutzen. Da das Gebäude selbst keine Rolle spielt und insofern nach wertsteigernden Investitionen keine höhere Steuer anfällt, wirkt sich ein solcher Ansatz auch positiv auf die Bereitschaft zu Modernisierungen, energetischen Sanierungen und Nachverdichtungen aus.
Die reine Flächennutzungsteuer und Flächenansätze, bei denen zusätzlich Äquivalenzzahlen für die einzelnen Nutzungsarten der Fläche berücksichtigt werden, können zwar besser internalisieren, sind üblicherweise auch mit geringem Erhebungsaufwand verbunden, hängen in ihrer Ergiebigkeit aber weitestgehend von ständiger politischer Beschlussfassung über steigende Messzahlen beziehungsweise Hebesätze ab. Sie eignen sich für eine äquivalente Beteiligung der Bürger an den kommunalen Kosten für die Infrastrukturbereitstellung, beteiligen Staat beziehungsweise Gemeinden aber nicht an den dadurch eintretenden Wertsteigerungen. Will man die Gemeindebürger beziehungsweise Steuerzahler nach dem Nutzen der kommunalen Leistungen äquivalent belasten, so wird man die Steuer am Verkehrswert orientieren müssen. Allerdings ist dann der Gebäudewert auszuschließen, da er sich überwiegend aus den Investitionen der Grundstücksbesitzer und nicht aus Gemeindemaßnahmen ergibt.
Damit ist zugleich ein Teil der Gerechtigkeitsfrage angesprochen. Sieht man Kosten- oder Nutzenäquivalenz als „gerecht“ an, so muss man eher zur Flächen- oder Bodenwertsteuer tendieren. Begreift man die Grundsteuer im juristischen Verständnis eher als Besteuerung des „fundierten Einkommens“ und rechtfertigt sie mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip, so kann man sich für eine Steuer auf Grundflächen- und Gebäudewert entscheiden, um zu einer progressiven Belastung bei steigendem Einkommen und Vermögen beizutragen. Im ökonomischen Sinne ist das allerdings mehr als fragwürdig, weil die Grundsteuer als Sollertragssteuer auch ohne realisierte Erträge, also ohne faktische Leistungsfähigkeit anfällt. In diesem Fall muss sie im Übrigen aus den anderen Einkunftsarten entrichtet werden, was – unabhängig von den Überwälzungsannahmen – angesichts der zunehmenden Einkommensrisiken bei vielen Eigenheimbesitzern mit alleinigem Arbeitseinkommen schwer fallen kann. Um den sozial- und familienpolitischen Zielen der Regierung Rechnung zu tragen, müsste man daher wohl die Grundsteuer als Objekt- beziehungsweise Realsteuer „aufbrechen“ und stärker personalisieren, um untere Einkommen zu schützen (oder das Transfersystem entsprechend ausgestalten).
Höhere Steuergerechtigkeit lässt sich allerdings nicht sinnvoll auf Gerechtigkeit innerhalb der Grundsteuer beschränken. Solange die Grundsteuer so niedrig wie bisher ausfällt, gilt die Kritik eher der fehlenden Kosten- oder Nutzenäquivalenz und der unzureichenden Abschöpfung von Wertsteigerungen, die zum Teil durch staatliche Planungsentscheidungen vermittelt werden. Sollte die Grundsteuerbelastung aber in Verbindung mit der Orientierung an Verkehrswerten deutlich ansteigen, wird die Frage nach einer „gerechten“ Besteuerung im Vergleich zu anderen Vermögenswerten stärker in den Vordergrund rücken. Dann wird man einer Diskussion über „faire“ Vermögensbesteuerung auch anderer „Assets“ kaum ausweichen können – durchaus interessant angesichts der Thesen von Thomas Picketty über Das Kapital im 21. Jahrhundert. Auch das zeigt, dass die Grundsteuerreform letztlich nur als Teil eines Gesamtreformkonzeptes der Besteuerung in Luxemburg angegangen werden kann, in dem Aufkommens-, Wachstums-, Verteilungs- und Umweltaspekte neu austariert werden und auch das kommunale Finanzsystem zukunftsfähiger gemacht wird.