Die Steuerpläne der neuen Regierung sehen als ersten Schritt Veränderungen bei der Mehrwertsteuer (TVA) vor. Bevor es 2016 eine größere Steuerreform geben soll, werden offensichtlich ab 2015 die meisten TVA-Steuersätze (mit Ausnahme des niedrigsten Satzes von drei Prozent) um zwei Prozentpunkte erhöht.
Die für Luxemburg wichtigste Änderung innerhalb der TVA findet aber ganz ohne Beteiligung der neuen Regierung statt: Im kommenden Jahr endet die bisher unbeschränkte Hoheit über die Einnahmen aus der TVA auf grenzüberschreitende elektronische Dienstleistungen an Verbraucher (E-Commerce-Steuer). Zwar gilt eine vierjährige Übergangszeit. Danach aber werden die Steuereinnahmen auf den in Luxemburg anfallenden Verbrauch beschränkt.
Über die damit verbundenen finanziellen Konsequenzen hätte man natürlich schon seit geraumer Zeit nachdenken und Kompensationsmaßnahmen einleiten können. Denn dass die E-Commerce-Steuerquelle nicht dauerhaft weitersprudeln würde, ist seit rund zehn Jahren klar. Seit 2007 ist auch die eigens für Luxemburg geschaffene Übergangsregelung bekannt. Echte Konsequenzen sind jedoch lange nicht gezogen worden. Insoweit war zu erwarten, dass die neue Regierung recht schnell reagiert, weil sie Quellen für Ersatzeinnahmen erschließen muss. Dass sie dabei innerhalb der TVA beginnt, erscheint durchaus konsequent.
Bis Ende 2014 kann Luxemburg noch wie bisher von den Einnahmen aus der E-Commerce-Steuer, und zwar nach Maßgabe der luxemburgischen Steuersätze profitieren. 2015 und 2016 darf es noch 30 Prozent des erzielten Aufkommens behalten, 70 Prozent hingegen müssen an die Länder abgeführt werden, in denen die Konsumenten ansässig sind. Für 2017 und 2018 sinkt der Eigenanteil Luxemburgs auf 15 Prozent.
Allerdings ändert sich für die Jahre 2015 bis 2018 auch der Rahmen für die Höhe der jeweiligen Steuereinnahmen. Ab 2015 wird Luxemburg nämlich die E-Commerce-Steuer für die Abnehmer- beziehungsweise Bestimmungsländer der elektronischen Dienstleistungen nach den dort gültigen Steuersätzen berechnen und erheben. Die sind im Durchschnitt etwa fünf Prozentpunkte höher als die Luxemburger Sätze. Die Aufkommensbasis, von der Luxemburg dann 30 beziehungsweise später 15 Prozent behalten darf, liegt allein dadurch um rund 30 Prozent höher als bei Zugrundelegung der jetzigen Luxemburger Sätze. Das Aufkommen 2012 in Höhe von 719 Millionen Euro hätte bei Anwendung dieser Methode schon bei rund 930 Millionen Euro gelegen.
Was folgt daraus für den Luxemburger Staatshaushalt? So ganz genau kann man das für die Jahre 2015 bis 2018 nicht vorhersehen. Das Aufkommen in der Übergangsphase wird von mehreren Parametern bestimmt – vor allem von der branchenkonjunkturellen Entwicklung, auch unter dem Einfluss der durch den Steuersystemwechsel zu erwartenden Preiseffekte, und von der Steuersatzpolitik im Ausland. Nur, dass 2019 ein für Luxemburg sehr wichtiger Einnahmeblock wegfällt und der Umstellungsverlust den Finanzminister schmerzen wird – das steht fest. Und es lassen sich auch einige interessante „Milchmädchenrechnungen“ über die künftig „fehlenden“ Einnahmen anstellen:
(1) Würde man das bisherige Luxemburger Steuerwachstum beim E-Commerce nach den jetzt geltenden Regeln in die Zukunft fortschreiben, so fielen 2019 rund 2,8 Milliarden Euro an Steuern an. Glaubt man an Wachstumsraten des elektronischen Handels von bis zu 30 Prozent pro Jahr, so könnte man 2019 sogar bei 4,5 Milliarden Euro landen. Geld, das aufgrund der europäischen Neuregelung aber auf keinen Fall zur Verfügung stehen wird.
(2) Andererseits sieht es für die Jahre 2015 bis 2018 gar nicht so schlecht aus. Durch Berücksichtigung der höheren ausländischen Steuersätze wird die Übergangsregelung noch einmal für kräftige Zuflüsse sorgen, obwohl nur ein Teil des Gesamtaufkommens in Luxemburg verbleibt. Bei den optimistischsten Wachstumsannahmen könnten 2016 mit rund 0,8 und 2018 mit knapp 0,7 Milliarden Euro für Luxemburg fast genauso hohe Einnahmen übrigbleiben wie 2012. Wenn man die moderaten Werte von jährlich rund elf Prozent (Forrester Research) oder die in Mintel’s European Retail Report prognostizierte Verdopplung bis 2018 zugrunde legt, bleiben immerhin noch zwischen 300 Mio. und 600 Millionen Euro in den ersten beiden Jahren und 2018 zwischen 260 und 670 Millionen Euro übrig. Das Problem des Wegbrechens der Steuereinnahmen aus dem E-Commerce dürfte also nicht schon 2015 auftreten.
(3) Während die Einnahmen aus der E-Commerce-Besteuerung innerhalb der TVA von 2005 bis 2012 um 284 Prozent zugelegt haben, belief sich das Wachstum der gesamten TVA nur auf 65 Prozent. Rechnet man den E-Commerce-Anteil heraus, so ist der „TVA-Rest“ in diesem Zeitraum nur um 40 Prozent gewachsen. Ohne den E-Commerce-Teil wird also auch die Aufkommensdynamik der gesamten TVA entsprechend gedrosselt.
(4) Die E-Commerce-Besteuerung erfreut bisher den Luxemburger Finanzminister, ohne dass sie die Luxemburger Einwohner belastet. Sie wird vom Ausland getragen. Um den Wegfall ab 2019 im Inland zu kompensieren, wird der Finanzminister künftig die Luxemburger Steuerzahler stärker belasten müssen. Im Jahr 2012 hätte eine solche Lastverlagerung jeden Luxemburger Einwohner 1 400 Euro, jeden Haushalt rund 3 500 Euro mehr an Steuern gekostet. Je nachdem, welche der zuvor genannten Prognosen man zugrunde legt, erhöht sich das 2018/19 rein rechnerisch auf Beträge zwischen 7 000 und 20 000 Euro pro Haushalt und Jahr.
Insofern wird der Verlust dieser Steuerquelle längerfristig schwer wiegen. Die jetzt vorgesehene Erhöhung der TVA-Sätze kann nur der allererste Schritt einer weitergehenden Verlagerung der Steuerlasten auf Inländer sein. Mehr als die Hälfte der rechnerischen Ausfälle bezogen auf 2012 wird die Satzerhöhung nicht bringen.
Nun ist die Erhöhung der Sätze allerdings nur ein Weg, um zu TVA-Mehreinnahmen zu gelangen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass man die Liste der mit geringeren TVA-Steuersätzen belegten Güter und Leistungen durchforstet und einige von ihnen mit dem Regelsatz beziehungsweise einem höheren der ermäßigten Sätze belastet. Das würde nicht nur Mehreinnahmen bringen, sondern auch Fehlanreize zumindest teilweise beseitigen, die von der gegenwärtigen Steuersatzstruktur in ökologischer Hinsicht ausgehen. Die Mehrwertsteuer führt nämlich bisher unter anderem auch zur Begünstigung umweltschädlicher Produkte und Verfahren. Wenn man an die Steuersatzdifferenzierung herangeht, dann kann man also gleichzeitig schon etwas für die im Regierungsprogramm angesprochene steuerpolitische Förderung des Umweltschutzes und der Energiewende tun – und dies zunächst ohne Einführung spezieller Umweltsteuern.
Gegenwärtig unterliegen zum Beispiel von den Energieprodukten nur Benzin, Gasöl als Kraftstoff (Diesel) und Kerosin dem regulären Mehrwertsteuersatz von 15 Prozent, während auf Gasöl als Heizstoff (Heizöl) ein reduzierter Satz von 12 Prozent erhoben wird. Auf Flüssiggas, Erdgas, Kohle und Koks sowie Strom liegt nur ein Satz von sechs Prozent. Besonders problematisch sind die ermäßigten Sätze für Heizöl, Erdgas und elektrischen Strom. Sie konterkarieren die mit der Energiebesteuerung geplanten Anreize zur Energieeffizienz und Einsparung, ja verkehren sie sogar ins Gegenteil. So steht zum Beispiel beim Strom einer Verteuerung um ein Cent pro Kilowattstunde durch die Stromsteuer eine Vergünstigung durch die niedrige Mehrwertsteuer von einem bis zwei Cent pro Kilowattstunde gegenüber – nicht gerade ein Beleg für die Rationalität der Steuerpolitik.
Auch die undifferenzierte Beibehaltung der generellen Vergünstigung von Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Gütern – unabhängig von den Umwelteffekten bei ihrer Herstellung – und letztlich aller anderen Sondertatbestände, die durch Anhang III der EU-Systemrichtlinie abgedeckt sind, widerspricht der ökologischen Nachhaltigkeit und der Erklärung der Regierung, dass sie den Umweltschutz bei jeder Maßnahme zur Reform der Besteuerung berücksichtigen beziehungsweise unterstützen will. Zwar engt EU-Recht die nationalen Spielräume ein. Bisher stark ermäßigte Güter und Leistungen dem Regelsatz zu unterwerfen ist aber möglich. Allerdings sind bei der Erhöhung indirekter Steuern im Allgemeinen und der TVA im Besonderen die so-zialen Effekte zu bedenken.
Zur Nachhaltigkeit mit dem Eckziel der sozialen Kohäsion gehört auch eine faire Verteilung dieser neuen Lasten auf die Inländer. Und die ist bei einer Anpassung der indirekten Steuern allein schwer zu erreichen, vor allem nicht allein über TVA-Erhöhungen.
Die TVA weist einen regressiven, mit zunehmendem Einkommen abnehmenden Belastungsverlauf auf. Das heißt, höhere Einkommensgruppen zahlen zwar absolut mehr, aber in Relation zu ihrem Haushaltsnettoeinkommen deutlich weniger als die armen und sehr armen Gruppen. Bei der jetzt geplanten Satzerhöhung werden die Umverteilungseffekte allerdings noch begrenzt sein: Das DIW Berlin spricht von einer durchschnittlichen Mehrbelastung pro Haushalt in Höhe von rund 480 Euro pro Jahr oder 0,74 Prozent des Nettoeinkommens bei einem „leicht regressiven Effekt“. Das heißt, die relative Mehrbelastung bezogen auf das Nettoeinkommen nimmt mit steigendem Einkommen von 0,9 auf 0,6 Prozent leicht ab. Das ist zwar eine Umverteilung in die falsche Richtung, die für sich allein aber noch keine spürbaren Verwerfungen hervorruft. Die fallen unter anderem deshalb so gering aus, weil die Satzerhöhung auch die Verkäufe an Ausländer – vor allem die Treibstoffverkäufe samt der an Tankstellen gekauften Beiprodukte – trifft, wodurch ein Teil der höheren Steuerbelastung erneut auf die Ausländer verlagert wird.
Hinzu kommt, dass das Loch, das der E-Commerce-Ausfall reißt, auch nicht annähernd durch die jetzt geplanten Satzerhöhungen gestopft wird. Weitere Erhöhungen – vor allem bei den stark ermäßigten Sätzen – würden aber deutlichere Regressionsspuren hinterlassen, zumal wenn man begleitend auf der Ausgabenseite des Staatsbudgets Sozialtransfers kürzen will. Zudem bremsen höhere Steuersätze tendenziell auch die Auslandsnachfrage und verstärken damit wiederum die Notwendigkeit, höhere Beträge von den Einwohnern Luxemburgs einzufordern. Bei höherem fiskalischem Konsolidierungsbedarf wird man daher nicht um Beiträge aus der Unternehmensbesteuerung und der persönlichen Einkommenssteuer herumkommen, wenn man eine generell als fair angesehene Progressionsbelastung wahren will.