Eigentlich hatte das im März 2013 gegründete Hohe Komitee für die Unterstützung, die Entwicklung und die Promotion der Industrie seine Schlussfolgerungen schon vor einem Jahr ziehen sollen. Ende Juni 2013, so war es vorgesehen, sollten die verschiedenen Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse vorlegen. Dann kam alles anders als geplant, es gab Neuwahlen und eine neue Regierungskoalition und die Arbeiten im Hohen Komitee lagen auf Eis.
Nun soll ein neuer Anlauf genommen werden. Vergangene Woche traf sich das Hohe Komitee zusammen mit einem halben Dutzend Regierungsmitgliedern. Insgesamt 93 Maßnahmen haben die Arbeitsgruppen zurückbehalten. Bis zum Herbst wird nun aussortiert. Denn wenn einzelne Komitee-Mitglieder die Umsetzung dieser Maßnahmenliste für beschlossene Sache halten, sieht das Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) freilich anders. Verschiedene Punkte seien einfach im „No-go-Bereich“ für die Regierung. Ein Beispiel? „Der Index“ – dass der neue Anlauf im Hohen Komitee zeitlich mit der Index-Tripartite und der Vorstellung des Vorentwurfs des TGV-Gesetz zur administrativen Vereinfachung zusammenfällt, trägt nicht dazu bei, dass trennscharf zu unterscheiden ist, wer wo wie was unternimmt und wo dabei der Mehrwert des Hohen Komitees liegt.
Für Schneider, der sich in der CSV-LSAP-Regierung darüber beklagte, dass er bei Regierungskollegen kein Gehör fand, wenn er Initiativen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit ergreifen wollte, liegt der große Vorteil des Hohen Komitees deshalb zu allererst in der direkten Begegnung der Regierungskollegen mit den Unternehmern. Für ihn und seine Beamten geht es darum, mehr Bewusstsein für die Anliegen der Industrie zu schaffen, ihr einen neuen Stellenwert zu geben, mehr Ansehen, erklärt er im Gespräch mit dem Land, ähnlich wie die EU versuche, horizontal durch die verschiedenen Verwaltungen und Ministerräte, die Re-Industrialisierung Europas zur Priorität zu machen. Die Botschaft, beispielsweise in Bezug auf die Problematik der fehlenden Fachkräfte oder schwerfälliger Prozeduren zur Erfüllung der Umweltauflagen, dringe beim direkten Zusammentreffen von Unternehmern mit den zuständigen Ministern und ihren jeweiligen Top-Beamten besser durch, als wenn das Wirtschaftsministerium die einzige Anlaufstelle für die Privatbranche sei. Dort, im Wirtschaftsministerium, sieht man sich deshalb in einer Koordinierungsrolle. Bis zum Herbst sollen sich andere Ressortministerien zu den sie betreffenden Vorschlägen des Hohen Komitees äußern, dazu inwiefern sie anstrebenswert und umsetzbar sind; das Wirtschaftsministerium soll dafür sorgen, dass sie dies auch wirklich tun.
Was dann an konkreten Maßnahmen übrig sein wird, bleibt abzuwarten. Das zeigt auch das Beispiel des vergangene Woche von Innenminister Dan Kersch (LSAP) vorgestellten TGV-Gesetzes. Denn was Kersch vorlegte, bleibt deutlich hinter den Forderungen zurück, die Etienne Schneider vergangenes Jahr in seinem 21-Punkte-Programm zur administrativen Vereinfachung an den damaligen Staatsminister Jean-Claude Juncker (CSV) stellte. Das sieht auch Schneider so: „Das ist noch nicht das, was ich mir wünsche“, sagt er, „aber mir ist lieber, wir setzen um, was zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist, statt noch zwei Jahre zu verhandeln und in der Zwischenzeit passiert gar nichts.“
Obwohl der Prozess noch nicht abgeschlossen ist, kann Schneider einige handfeste Entscheidungen vorlegen. Allen voran die, dass für die Dauer der Legislaturperiode „die Steuern für die Unternehmen nicht angehoben werden“. „Das hat die Regierung beschlossen.“ Außerdem analysiere man gemeinsam mit dem Immigrations- und dem Bildungsministerium, „in Richtung Green cards“ zu gehen, um mehr qualifizierte Arbeitskräfte nach Luxemburg zu locken. Um den Zugang der Unternehmen zu Finanzierungsmöglichkeiten zu verbessern, hat der Verwaltungsrat der SNCI beschlossen, die Zinsen auf den verschiedenen Kreditinstrumenten zu senken, um sie dem Zinsniveau bei den privaten Banken anzupassen. Eine Machbarkeitsstudie soll klären, wie das Innovationspotenzial in der Verbundstoff-Branche gebündelt werden kann. Ebenso wie analysiert wird, ein Innovations-Cluster für die Automobilbranche zu schaffen – eine Branche, die in den vergangenen Jahren unter dem Schock der Wirtschaftskrise stand. Dabei geht es dem Wirtschaftsminister auch darum, die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. „Wir wollen, dass sich die Firmenchefs in den Clustern engagieren“, sagt Schneider, statt dass sie Vertreter dorthin schicken, die ohnehin nicht entscheidungsbefugt sind.
Dass es bei den Hohen Komitees nicht zuletzt darum geht, die Arbeitgeber mit ihren Forderungen im Zaum zu halten, zeigt sich auch an der Schaffung des Hohen Komitees für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), das vergangene Woche unter dem Vorsitz von Staatssekretärin Francine Closener – die damit en passant das Mittelstandsressort übernahm – lanciert wurde. Die Arbeiten im, nach dem Hohen Komitee für den Finanzplatz und dem Hohen Komitee für die Industrie, dritten Gremium dieser Art, erfolgen auf Basis eines Arbeitsdokumentes, das die neue Regierung von der alten geerbt hat. Die hatte das Beratungsunternehmen E&Y damit beauftragt, Berufskammern, Föderationen und eine handverlesene Auswahl an Firmenchefs zu befragen. Das Ergebnis ist ein breitgefächertes Medley an vagen bis ganz konkreten Maßnahmen, begleitet von Einführungen wie „die Regierung wird, die Regierung engagiert sich, die Regierung setzt sich dafür ein“, und das mitunter für Dinge, die im Widerspruch zu Regierungsprogramm und -erklärung stehen oder in sich selbst widersprüchlich sind. So heißt es dort beispielsweise, die Einführung des Einheitsstatuts werde einer Kostenevaluierung unterzogen, deren Ergebnisse „permettront entre autres d’adapter l’apport budgétaire d’indemnisation de l’État envers la Mutualité des employeurs“, und dass eine Beteiligung der Krankenversicherten am Krankengeld „eingesetzt wird“ während Regierung und Sozialpartner in Wirklichkeit darüber streiten, dass erstere letzteren angesichts der Haushaltssituation keine weiteren Entschädigungen zahlen will und die „Karenztage“ Reizthema zwischen den Sozialpartnern sind. Eine neuerliche Rentenreform wird dort ebenso angesprochen wie Maßnahmen, um das Arbeiten wieder „attraktiver“ zu machen – Stichwort Lohnkosten für unqualifizierte Arbeitnehmer, Arbeiten im öffentlichen Interesse für Arbeitslosengeldbezieher, bezuschusste Wiedereingliederung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Geht einerseits von der Förderung des Unternehmergeistes die Rede und von vereinfachten Firmengründungen mit wenig Kapital, wird an anderer Stelle angekündigt, das Konkursrecht zu verschärfen und den Mindestkapitalbedarf für verschiedene Branchen anzuheben.
So überrascht es nicht, dass einerseits auch die Mitglieder des neuen Haut Comité ob der Vorlage des Arbeitspapiers ein wenig stutzig waren. Und man andererseits im Wirtschaftsministerium betont, es sei keinesfalls als Positionspapier der Regierung, sondern als Forderungskatalog der Arbeitgeber zu betrachten. Denn dass darin massive Veränderungen am Sozialstaat vorgeschlagen werden, riskiert die Gewerkschaften auf den Plan zu rufen, die in die Diskussionen der Hohen Komitees nicht eingebunden sind. Grund zu frohlocken sehen Arbeitgebervertreter, von der Erfahrung in der Index-Tripartite vergangene Woche geläutert, bei denen sie sich nicht durchsetzen konnten, angesichts der radikalen Vorschläge dennoch nicht. Das Papier sieht auch Romain Schmit von der Handwerkerföderation eher als Wunschliste, zum Teil einzelner Firmenschefs, unter die das Beratungsunternehmen zusätzlich eigene Reformvorstellungen gemischt hat. Ein wenig hat er deshalb den Verdacht, dass man es dem Komitee vorgelegt hat, damit sich die Arbeitgeberverbände daran „abarbeiten“. Dass eine Pensionsreform oder eine Reform der Sozialversicherungssysteme Teil des neuen KMU-Plan sein werden, der eigentlich aus den Arbeiten des Hohen Komitees hervorgehen soll, glauben er und seine Kollegen nicht.
Dennoch ist Schmit „vorsichtig optimistisch“, was die Arbeiten im Komitee betrifft. „Zumindest sind nun die Themenbereiche vorgegeben“, sagt er. Vergangene Woche wurden sieben Arbeitsgruppen definiert: Unternehmertum, Arbeitsmarkt, Betriebsfinanzierung, administrative Vereinfachung, sektorielle Entwicklung, Ausbildung und Forschung und Innovation. Darin sollen, wie bei den Kollegen von der Industrie, wiederum Firmenschefs mitarbeiten. Ihre Ergebnisse sollen ebenfalls bis zum Herbst vorliegen, um dann von den verschiedenen Ministerien auf ihre Durchführbarkeit geprüft zu werden. Dann will Wirtschaftsminister Etienne Schneider im Parlament eine neuerliche Debatte über die Wettbewerbsfähigkeit führen – und die breite Öffentlichkeit und die Abgeordneten ins Bild setzen. „Ich will jedes Jahr eine solche Debatte durchführen“, sagt er, nachdem er es vergangenes Jahr zum ersten Mal probiert hatte. Und damit allen Parteien Gelegenheit bieten, sich zu den Vorhaben zu äußern.